# taz.de -- Geflüchtete am Hamburger Hauptbahnhof: Frühling im Krieg | |
> Am Bahnhof steigen drei Frauen aus drei Generationen und ein kleiner Hund | |
> aus dem Zug. Sie müssen für die Nacht eine Unterkunft suchen. | |
Bild: Wie geht es weiter? Geflüchtete aus der Ukraine in Hamburg | |
Ein neuer Frühling ist da. Und ein neuer Krieg. Der Krieg liegt unter der | |
Sonne. Der Krieg liegt unter den Krokussen. Der Krieg in der Ukraine ist | |
jetzt immer in den Gedanken in diesem neu aufbrechenden Frühling. Auch am | |
Hauptbahnhof in Hamburg kommt der Krieg an. | |
Der Arbeiter-Samariter-Bund hat dort in einem Nebenraum der Reiseauskunft | |
eine Anlaufstelle für die Geflüchteten aus der Ukraine eingerichtet. Von | |
den Hunderten, die in diesen Tagen ankommen, wollen viele weiter zu | |
Bekannten in Nachbarländern, andere bleiben. Helfende in gelben Westen | |
sprechen die Menschen an, holen sie vom Gleis ab. | |
An Gleis 8 und 12 kommen [1][die meisten Züge mit Geflüchteten] an, viele | |
reisen über Warschau, Berlin, sie sind seit vier, sechs Tage unterwegs. Es | |
sind meist Frauen mit kleinen Kindern. Sie haben wenig Gepäck dabei. Die | |
Menschen sehen müde aus, aber sie wirken gefasst und ruhig. „Ich frage | |
mich, ob die Tränen aus sind, nach den vielen Tagen, in denen sie unterwegs | |
sind“, sagt eine Helferin. | |
Im Helfer-Raum ist auch ein Zettel angeklebt: „Bitte melden, wenn Ihr an | |
den Gleisen Leute bemerkt, die sich als Helfende ausgeben und sich Frauen | |
und Kindern nähern.“ Es gibt Herren, die an den Bahnhof kommen und hübsche | |
Frauen ansprechen und mitnehmen, sagt die Schichtleiterin. Natürlich können | |
die Geflüchteten zu Bekannten gehen. Aber Fremde sollen sich erst | |
registrieren, bevor sie eine Unterkunft anbieten. | |
## Geflüchtete denken schon an Arbeit | |
Die Geflüchteten kommen in die zentrale Aufnahmestelle nach Rahlstedt, sie | |
haben 90 Tage, um sich zu registrieren. Doch viele denken darüber nach, | |
[2][an welchem Ort sie sich registrieren]. „Sie fragen jetzt schon, kann | |
ich arbeiten, wenn ich als Asylsuchende gemeldet bin“, sagt eine Helferin. | |
„Das finde ich beeindruckend, in dieser Situation so vorauszuplanen, vor | |
allem an Arbeit zu denken.“ | |
An der Station kommen drei Frauen aus drei Generationen an: Eine Großmutter | |
mit Brille, eine Mutter mit blondem Haar und ihre kleine Tochter. Die | |
Mutter hält einen zarten, hellbraunen Chihuahua im Arm. Er trägt ein | |
Jäckchen mit Fellkapuze. Der Hund ist sehr still, sagt die Mutter auf | |
Englisch. „She has no voice“, wiederholt sie. Sie ist still, wenn es für | |
uns wichtig ist. | |
Eine Helferin wendet sich an die Mutter: „In das Quartier in Rahlstedt | |
können keine Hunde mitgenommen werden. Es gibt aber eine Gruppe, die die | |
Tiere aufnimmt“, erklärt sie ihr. „Sie können den Hund dort besuchen.“ … | |
Mutter macht einen Witz: „Es gibt eine Unterkunft für den Hund? Aber nicht | |
für uns?“ Dann lacht sie und nickt, sie hat verstanden, was es bedeutet. | |
„Meine Mutter möchte nicht ohne den Hund sein“, sagt sie dann fest. „Das | |
geht nicht.“ Sie zeigt ein Foto von einem Husky, den sie schon nicht | |
mitnehmen konnten. | |
Die Mutter wartet jetzt auf die Schwester, die bereits aus Odessa nach | |
Hamburg geflohen ist. Vielleicht hat sie einen Schlafplatz, wo sie alle | |
zusammen mit dem Hund unterkommen können. Sonst könnte sie den Hund | |
vielleicht im Pulli verstecken, scherzt die Mutter. Er ist doch so klein, | |
so leise. Er würde niemanden stören. | |
Die Großmutter zeigt auf ihrem Handy [3][Fotos aus ihrem Leben in Kiew]: | |
Der Hund in verschiedenen Kleidern, alle selbst von der Großmutter genäht. | |
Sie zeigt auf den Hund: „Jetzt hat sie nur noch dieses eine Mäntelchen.“ | |
## Kleider für den Frühling | |
Die Mutter zeigt Bilder von den Warteschlangen vor der Grenze nach Polen. | |
„Wir haben stundenlang bis in die Nacht gewartet, ohne uns zu bewegen. Es | |
war so kalt.“ Dann zeigt sie ein Foto von ihrem Bruder in der Ukraine. Ein | |
Mann, aufgerichtet, in Militärkleidung: „He is fighting now.“ | |
Wo könnten wir Kleider bekommen, fragt die Mutter. Sie blickt auf die | |
Tochter, die hohe Winterstiefel trägt. In Polen war es kalt. In Deutschland | |
ist das Wetter schön. Während ihrer Flucht ist es Frühling geworden. | |
Dann endlich kommt ihre Schwester. Die Frauen umarmen sich. Für diese Nacht | |
haben sie eine Unterkunft, zusammen mit dem Hund. Sie verlassen die | |
Station. Eine Familie von vielen, die in diesem Frühling ein neues Zuhause | |
braucht. | |
13 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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