# taz.de -- Bundesregierung verschleppt Gesetz: Whistleblower müssen warten | |
> Die Regierung hat ein Gesetz zum Schutz von Whistleblower:innen noch | |
> nicht umgesetzt. Nun hat die EU-Kommission ein Verfahren eingeleitet. | |
Bild: Die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen | |
Auf globaler Bühne hat jüngst die ehemalige [1][Facebook-Mitarbeiterin | |
Frances Haugen dafür gesorgt, dass problematische Geschäftspraktiken des | |
Konzerns ans Licht kamen]. Doch in Deutschland sind Whistleblowing-Fälle | |
selten – auch weil das Gesetz Hinweisgeber:innen kaum schützt. Eine | |
EU-Richtlinie sollte das eigentlich ändern. Doch Deutschland hat die neuen | |
Regeln mehr als zwei Jahre nach deren Verabschiedung noch nicht umgesetzt, | |
weshalb die EU-Kommission nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die | |
Bundesrepublik und mehrere weitere Mitgliedstaaten eingeleitet hat. | |
„Wir haben in Deutschland bis auf ganz wenige Ausnahmen noch gar keine | |
Regeln zum Schutz von Hinweisgeber:innen“, kritisiert Sebastian Oelrich, | |
Co-Leiter der Arbeitsgruppe Hinweisgeberschutz von Transparency | |
Deutschland. Die Bundesrepublik hinke, was den Schutz von | |
Hinweisgeber:innen angeht, im internationalen Vergleich hinterher. | |
Die europäische Whistleblowing-Richtlinie wurde 2019 beschlossen. | |
Vergangenen Dezember trat sie in Kraft, dann hätten eigentlich sämtliche | |
Mitgliedstaaten sie in nationales Recht umsetzen müssen. Die neuen Regeln | |
sollen Menschen, die Missstände etwa in Unternehmen oder Behörden melden, | |
besser schützen und die Meldung selbst einfacher machen. So ist | |
beispielsweise vorgesehen, dass Hinweisgeber:innen einen Missstand | |
nicht zunächst intern melden müssen, wie es die deutsche Rechtsprechung | |
bisher vorgesehen hatte, sondern sich auch etwa an die Staatsanwaltschaft | |
oder eine Behörde wenden können. | |
Das ist ein wichtiger Punkt, weil eine reine interne Meldung etwa dazu | |
führen kann, dass das Unternehmen Beweise vernichtet. Darüber hinaus müssen | |
Unternehmen und Firmen ab einer bestimmten Größe interne Kommunikationswege | |
für Hinweisgeber:innen bereitstellen und spezielle | |
Ansprechpartner:innen benennen. Die Richtlinie verbietet es | |
Unternehmen außerdem, hinweisgebende Personen mit Repressalien zu belegen. | |
## Einige offene Fragen | |
Die schwarz-rote Vorgängerregierung hatte sich zwar an einem | |
[2][Gesetzentwurf] versucht – sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie | |
einigen können. Jetzt ist also die neue Koalition am Zug. Im | |
Koalitionsvertrag ist das Thema erwähnt, doch ergeben sich aus dem Absatz | |
einige offene Fragen. So [3][bemängelte etwa das Whistleblower-Netzwerk], | |
es bleibe unklar, „in welchem Ausmaß die Vorgaben der Richtlinie auf | |
nationales Recht ausgedehnt werden“. Denn die EU-Richtlinie bezieht sich | |
erst einmal nur auf EU-Recht. Die Mitgliedstaaten können den Schutz jedoch | |
ausdehnen, etwa auf das jeweilige nationale Strafrecht und | |
unternehmensrechtliche Bußgeldtatbestände. | |
Oelrich nennt ein Beispiel für die Unterschiede, die sich in der Praxis | |
ergeben könnten. Fall 1: Eine Hinweisgeberin meldet der zuständigen | |
Aufsichtsbehörde einen schwerwiegenden Datenschutzverstoß bei dem | |
Unternehmen, in dem sie arbeitet. Dabei sei sie auch dann geschützt, wenn | |
die Bundesregierung die EU-Richtlinie nur 1:1 umsetzen würde. Denn die | |
Datenschutz-Grundverordnung ist EU-Recht. | |
## „Möglichst schnell“ geplant | |
Fall 2: Ein Hinweisgeber meldet schwerwiegende Fälle von sexueller Gewalt | |
am Arbeitsplatz. Hier sei der Hinweisgeber nur dann geschützt, wenn die | |
Bundesregierung die EU-Richtlinie entsprechend auf nationales Strafrecht | |
ausdehne. Aktuell bestehe in diesem Fall gar kein Schutz. Im Gegenteil: Der | |
Arbeitgeber könne den Hinweisgeber sogar verklagen. Das musste etwa die | |
Altenpflegerin Brigitte Heinisch feststellen, die Missstände in dem | |
Pflegeheim angeprangerte, gekündigt wurde – [4][und erst bei ihrer Klage | |
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Recht bekam]. | |
„Wir hoffen, dass die Koalition mit ihrem Gestzentwurf einen möglichst | |
breiten Anwendungbereich abdeckt“, sagt daher Transparency-Experte Oelrich. | |
Schließlich könnten potenzielle Hinweisgeber:innen in den allermeisten | |
Fällen überhaupt nicht absehen, welche Rechtsgebiete von ihrer Meldung | |
betroffen sein könnten. Das federführende Bundesjustizministerium sagte | |
dazu auf taz-Anfrage, man plane mehr, als die Richtlinie lediglich 1:1 | |
umzusetzen. Wie weit das gehen soll, dazu könne man aber noch keine Aussage | |
treffen. Was den Gesetzgebungsprozess angehe, sei geplant, den Schutz für | |
Whistleblower:innen nun „möglichst schnell“ auf den Weg zu bringen. | |
15 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Enthuellungen-um-Facebook/!5806676 | |
[2] https://www.whistleblower-net.de/wp-content/uploads/2021/02/Referentenentwu… | |
[3] https://www.whistleblower-net.de/online-magazin/2021/11/25/koalitionsvertag… | |
[4] /Nach-dem-EGMR-Urteil-fuer-Altenpflegerin/!5115723 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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