| # taz.de -- Whistleblower packt aus: Bio ist gut, Kontrolle besser | |
| > Was passiert eigentlich, wenn Ökobauern gegen Ökovorschriften verstoßen? | |
| > Zu wenig, sagt Ex-Biokontrolleur Manfred Flegel. | |
| Bild: Whistleblower Manfred Flegel fordert ernsthafte Kontrollen der Biolandwir… | |
| Der Bauer war sauer, denn Kontrolleur Manfred Flegel hatte ihn erwischt. | |
| Auf dem Hof in Niedersachsen mussten sich Flegel zufolge 48 Rinder nur 40 | |
| Fressplätze teilen. Obwohl der Bioverband des Betriebs einen Platz pro Tier | |
| verlangt, damit auch schwächere Rinder genügend Futter bekommen. Flegel | |
| meldete den Verstoß der Zentrale seines damaligen Arbeitgebers, | |
| Deutschlands größter Biokontrollstelle Abcert. Die aber habe daraufhin | |
| weder dem Hof noch den Tieren das Siegel entzogen, ärgert sich Flegel. Der | |
| Landwirt verlor allerdings Zeit, denn Flegel schrieb nach eigenen Angaben | |
| in mühevoller Kleinarbeit die Identifizierungsnummern auf den Ohrmarken | |
| aller Tiere auf. Der Bauer sah sich auch zu langen Rechtfertigungsbriefen | |
| an Abcert genötigt, um schmerzhafte Sanktionen abzuwenden. | |
| Deshalb rief der Betrieb laut Flegel einen Tag vor der nächsten regulären | |
| Kontrolle bei Abcert an. „Sie haben gesagt: ‚Den Flegel wollen wir nicht | |
| mehr haben. Da stimmt die Chemie wohl nicht.‘ Da haben sie dann jemand | |
| anderes hingeschickt“, erzählt der ehemalige Inspekteur, der von 2017 bis | |
| 2021 bei der Kontrollstelle gearbeitet hat. „Das finde ich schon ein | |
| bisschen schräg, dass der Betrieb sich nicht nur die Kontrollstelle | |
| aussuchen kann, sondern auch den Kontrolleur.“ An den zwei Tagen, die er | |
| für die dann abgesagte Kontrolle eingeplant hatte, habe er stattdessen | |
| Urlaub nehmen müssen. „Dann ist der Kontrolleur in der Regel bemüht, lieber | |
| nicht so kontrovers und so kritisch zu kontrollieren, damit er nicht | |
| ausgeladen wird“, sagt der 63-Jährige. | |
| Abcerts Codenummer DE-ÖKO-006 steht auf vielen Biolebensmitteln. Die | |
| Aktiengesellschaft ist wie alle [1][19 von den Behörden zugelassenen | |
| Biokontrollstellen] in Deutschland ein privates Unternehmen. Bezahlt werden | |
| sie von denjenigen, die sie kontrollieren sollen: den Bauern und Firmen, | |
| die mit dem Biosiegel werben. Die Kunden dürfen ihre Kontrollstelle selbst | |
| auswählen – und auch wechseln. So können die Kontrollierten Druck auf die | |
| Inspekteure ausüben. „Abcert will keine Kunden verlieren“, sagt Flegel. | |
| Deshalb würden zu kritische Kontrolleure kaltgestellt, wenn sich die | |
| Betriebe beschweren. Außerdem bestrafe die Zentrale von den Kontrolleuren | |
| festgestellte Verstöße gegen das Biorecht oft zu lasch. | |
| Kritisiert wird schon lange, dass es bei Biokontrolleuren einen | |
| Interessenkonflikt zwischen öffentlichem Auftrag und Gewinnstreben gebe und | |
| sie deshalb manchmal nicht so genau hinschauten – nachweisen ließ sich das | |
| allerdings bisher kaum. Flegel ist der erste Whistleblower, der öffentlich | |
| und mit vollem Namen konkrete Missstände in einer Biokontrollstelle | |
| enthüllt. Manfred Flegel ist der taz zudem seit Jahren bekannt. | |
| Ein weiterer ehemaliger Abcert-Kontrolleur, der anonym bleiben möchte, hat | |
| gegenüber der taz bestätigt, dass die Inspektoren gewechselt werden, wenn | |
| die Betriebe sie ablehnen. „Ich hatte jemanden bei einem richtigen | |
| Anbaubetrug erwischt“, sagt der Kontrolleur. „Der hat mich vom Betrieb | |
| geschmissen, weil ich ihm wirklich auf die Füße getreten bin.“ Abcert habe | |
| dann statt ihm einen sehr jungen Inspekteur mit wenig Erfahrung beauftragt. | |
| „Der hat gesagt: ‚Da war nix, ich habe mich vertan.‘“ Der Ex-Kontrolleur | |
| ist bis heute vom Gegenteil überzeugt. | |
| Der Abcert-Vorstandsvorsitzende Friedrich Lettenmeier bestätigt auf Anfrage | |
| der taz, dass die Kontrollstelle tatsächlich den Inspekteur austauscht, | |
| wenn der Betrieb darum bittet. „Die Norm DIN/ISO 17065 sieht dies so vor“, | |
| behauptet Lettenmeier. Doch der Abschnitt dieser Norm für Zertifizierungen, | |
| den Lettenmeier als Beleg mitschickt, verlangt lediglich, dass die | |
| Kontrollstelle den Inspekteur zur Offenlegung persönlicher | |
| Interessenkonflikte verpflichtet. Er fordert nicht, auf Wunsch des Betriebs | |
| hartnäckige Inspekteure auszutauschen. | |
| Die Enthüllungen sind Sprengstoff für eine Branche, die maßgeblich vom | |
| Vertrauen der VerbraucherInnen abhängig ist. Denn viele zahlen den teils | |
| heftigen Aufpreis für Biolebensmittel, weil sie eben keine Pestizide im | |
| Essen haben wollen und etwas für die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten | |
| sowie den Tierschutz tun wollen. Das soll die [2][Ökoverordnung] der | |
| Europäischen Union garantieren. Biobauern müssen demnach zum Beispiel auf | |
| chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und besonders umweltschädlichen | |
| Dünger verzichten. Sie sind auch dazu verpflichtet, ihren Tieren mehr Platz | |
| im Stall und Auslauf zu gewähren. Die Ökoverordnung schreibt daher vor, | |
| dass Kontrollstellen jeden Biobetrieb mindestens einmal im Jahr überprüfen | |
| müssen. | |
| Doch wie zuverlässig schützen diese Kontrollen vor Betrug? Flegels Berichte | |
| lassen in dieser Hinsicht Zweifel aufkommen. Die Zentrale der Abcert habe | |
| eine lasche Haltung befördert, sagt er. Ein Vorgesetzter habe ihn einmal | |
| sogar gefragt, warum er „so misstrauisch“ sei, erzählt Flegel. „Ich habe | |
| ihm geantwortet: ‚Weil ich kein Pastor bin, sondern Kontrolleur.‘“ | |
| Friedrich Lettenmeier von Abcert schreibt dazu, keine der Führungskräfte, | |
| die er dazu habe befragen können, könne sich an ein derartiges Gespräch | |
| erinnern. Offen bleibt, welche Führungskräfte er gefragt hat. | |
| Flegel ist Agraringenieur, er hat an der Pionier-Ökofakultät der | |
| Universität Kassel/Witzenhausen studiert und hat selbst einen Biobetrieb | |
| gehabt. Er arbeite im Ökolandbau aus Überzeugung, sagt er. Flegel weiß, | |
| welche Schäden Überdüngung und Pestizide der konventionellen Landwirtschaft | |
| in der Umwelt anrichten. | |
| Er hält es für ein Problem, dass Biobetriebe „immer größer und | |
| profitorientierter“ würden. Das seien oft diejenigen, die das System | |
| missbrauchen und Regeln umgingen. So wie ein für die Region sehr großes | |
| Agrarunternehmen aus Niedersachsen, das eine Biogasanlage und eine | |
| Rindermast betreibt. Alles konventionell. Biozertifiziert seien lediglich | |
| die Wiesen, denn dort würden ohnehin keine Pestizide ausgebracht, sagt | |
| Flegel. Dafür zahlt der Staat die vergleichsweise hohen | |
| Ökolandbau-Subventionen. Das geschnittene Gras landet dann aber genauso wie | |
| die Exkremente der Rinder in der konventionellen Biogasanlage, die Strom | |
| erzeugt. Übrig bleibt ein Substrat, das als Dünger auf dem Biogrünland | |
| entsorgt wird. Als aber im Winter der Gärbehälter der Anlage voll war, | |
| kippte der Betrieb laut Flegel mehr nährstoffhaltiges Substrat auf die | |
| Wiesen, als erlaubt war. „Sie mussten den Pott halt leeren, damit sie | |
| weiter Strom produzieren können“, erinnert sich der ehemalige Kontrolleur. | |
| „So haben sie die Flächen völlig überdüngt. Das läuft dann über Gräben… | |
| Nebenflüsse in die Elbe, denn so viel kann der Boden überhaupt nicht | |
| aufnehmen. Das sollte die Landwirtschaft nicht, und die Biolandwirtschaft | |
| erst recht nicht.“ | |
| Wegen Überdüngung habe der Betrieb schon mal eine Abmahnung bekommen. „Nach | |
| dem zweiten Verstoß hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass der mit | |
| Pauken und Trompeten aus dem Kontrollverfahren fliegt“, so Flegel. Aber | |
| Abcert habe ihm nur eine weitere Abmahnung geschrieben. „Dann lernen die | |
| ja, dass sie eigentlich nichts beachten müssen.“ Lettenmeier bestreitet, | |
| dass der Betrieb das Biosiegel trotz zweier Abmahnungen wegen massiver | |
| Überdüngung bekommen hat. Doch biozertifiziert ist das Unternehmen bis | |
| heute, wie eine Abfrage auf der Internetseite von Abcert zeigt. | |
| „Oft sind die Kontrolleure auch nicht kompetent genug für den | |
| Betriebszweig, den sie überprüfen sollen“, sagt der ehemalige Inspektor, | |
| der nicht mit Namen genannt werden möchte. „Die Abcert gewährt einem auch | |
| nicht genug Zeit, sich einzuarbeiten.“ Teils würden Uni-Absolventen ohne | |
| viel Praxiserfahrung auf Kontrollen geschickt. Weil die Firma nicht genug | |
| zahle und der Umgang miteinander nicht gut sei, könne sie nicht genügend | |
| erfahrene Mitarbeiter rekrutieren. Abcert dagegen schreibt: „Aus- und | |
| Fortbildung des Personals ist auch ein Punkt der Überwachung durch | |
| Behörden.“ Die Biokontrollstellenverordnung verlange eine „mindestens | |
| einjährige einschlägige Berufserfahrung“. | |
| Durch die Lappen gegangen ist Abcert auch der Fall des | |
| [3][Bioschweinehalters aus dem Dorf Zargleben] im niedersächsischen | |
| Wendland, der laut Staatsanwaltschaft seinen Tieren im Ökolandbau verbotene | |
| Medikamente und konventionelles Futter gegeben haben soll. Der Landwirt ist | |
| ein Pionier der Bioschweinefleischerzeugung und war mit jährlich rund 7.000 | |
| gemästeten Tieren ein wichtiger Player in der Branche. Allerdings | |
| verabreichte der Betrieb laut dem Niedersächsischen Landesamt für | |
| Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) Sauen Medikamente, die | |
| künstlich die Brunst auslösen. Dadurch warfen sie mehr oder minder | |
| gleichzeitig Ferkel, die Produktionsabläufe sowie die Liefermengen ließen | |
| sich besser planen. Solche extrem unnatürlichen Eingriffe untersagt die | |
| Ökoverordnung. | |
| Doch das Laves hatte nach eigenen Angaben „keine Hinweise auf | |
| Unregelmäßigkeiten in dem betreffenden Betrieb durch Öko-Kontrollstellen | |
| erhalten“, obwohl es als Aufsichtsbehörde über die niedersächsische | |
| Biobranche als erste hätte eingeschaltet werden müssen. Dabei habe der | |
| Landwirt in den „Bestandsbüchern“ dokumentiert, dass er zu „Zeitpunkten … | |
| den Kontrollen“ Sauen mit „nicht zulässigen Hormonen“ behandelt habe. Die | |
| Kontrollstelle habe laut ihrem Bericht an das Laves den | |
| Medikamenteneinsatz überprüft, aber: „Abweichungen wurden nicht vermerkt.“ | |
| Im Gegenteil: Abcert habe den Betrieb im Juli 2020 von der Risikoklasse III | |
| (hohes Risiko für Unregelmäßigkeiten) in die Kategorie II herabgestuft. | |
| Solche Betriebe werden meist seltener unangekündigt überprüft. „Unser | |
| Mitarbeiter hat die in der Kontrolle vorgelegten Unterlagen geprüft und | |
| bewertet. Daraus haben sich keine Hinweise auf Verstöße ergeben“, sagt | |
| Abcert-Chef Lettenmeier dazu. Allerdings gehört zu einer guten Kontrolle | |
| auch, durch Kombination verschiedener Informationen zu erkennen, wenn | |
| Unterlagen fehlen. | |
| Indes ist sogar in der Struktur der Abcert ein Interessenkonflikt angelegt. | |
| Alle Mitglieder ihres Aufsichtsrats sind Vertreter derjenigen, die Abcert | |
| kontrollieren soll: Jan Plagge ist Präsident des größten deutschen | |
| Ökobauernverbands, Bioland. Josef Wetzstein führt dessen bayerischen | |
| Landesverband. Und Aufsichtsratsvorsitzender Hubert Merz ist selbst | |
| Gemüsebauer. Denn Bioland gehören die Abcert-Aktien, wie dem 2018 | |
| erschienenen Nachhaltigkeitsbericht der Kontrollstelle zu entnehmen ist. | |
| „Die ABCERT AG ist aufgestellt wie namhafte Überwachungseinrichtungen zum | |
| Beispiel im technischen Bereich“, entschuldigt Lettenmeier diese Struktur. | |
| Und die Behörden würden ja über die Unparteilichkeit der Abcert wachen. | |
| Von Anbauverbänden unabhängigere Kontrollstellen sind allerdings auch nicht | |
| unbedingt besser. Bei einem der größten Ökoskandale in Deutschland versagte | |
| vor allem eine damals unter dem Namen IMO firmierende Kontrollstelle: 2013 | |
| wurde bekannt, dass über 100 vor allem niedersächsische Legehennenbetriebe | |
| mehr Tiere als erlaubt in ihren Ställen untergebracht hatten. Informierten | |
| die privaten Biokontrolleure das Laves? „Nein, von Kontrollstellen war dem | |
| Laves kein Hinweis auf Überbelegung von Legehennenställen zugegangen“, | |
| schreibt die Behörde auf Anfrage der taz. Vielmehr habe ein Richter die | |
| Sache bemerkt: Vor seiner Kammer stritten sich ein Landwirt und ein | |
| Legehennenlieferant wegen einer Rechnung für eine Lieferung Hennen. Die | |
| Tiere kamen zum selben Zeitpunkt an wie andere Hennen, die die zulässige | |
| Stallkapazität bereits ausschöpften. | |
| Der Fachverein Öko-Kontrolle, der jetzt „Fachgesellschaft“ heißt, schaffte | |
| es laut Landgericht Schwerin erst nach sieben Jahren, einem Bauern in | |
| Mecklenburg-Vorpommern auf die Spur zu kommen, der seinen Bioschweinen | |
| konventionelles Futter gab. Dafür bekam er im April eine Gefängnisstrafe | |
| von zwei Jahren und sieben Monaten wegen schweren Betruges, | |
| Urkundenfälschung und Subventionsbetrug. Durch den Verkauf von rund 6.500 | |
| Schweinen nahm er knapp 900.000 Euro mehr ein, als konventionelle Schweine | |
| eingebracht hätten, wie das Gericht feststellte. | |
| Den Betrug mit der Zufütterung konventionellen Futters kaschierte der | |
| Landwirt dem Gericht zufolge bei den Kontrollen mit gefälschten | |
| Lieferscheinen für Biofutter. Dies habe einerseits von einer hohen | |
| kriminellen Energie gezeugt, sagte der Vorsitzende Richter laut | |
| Gerichtssprecher Detlef Baalcke. Andererseits seien die Fälschungen | |
| laienhaft ausgeführt worden und hätten den Kontrolleuren auffallen können, | |
| wenn diese tatsächlich genau geprüft hätten. | |
| Einen anderen im September vom Landgericht Schwerin verurteilten | |
| Biobetrüger deckte Baalcke zufolge nicht der Fachverein Öko-Kontrolle, | |
| sondern eine zunächst anonyme Anzeige bei der Polizei auf. Der Landwirt | |
| habe über zwei Jahre rund 8.500 konventionelle Schweine gekauft und sie als | |
| Biotiere weiterverkauft. So ergaunerte er sich nach Baalckes Angaben | |
| 850.000 Euro. Obwohl die relevanten Unterlagen des Landwirts unvollständig | |
| gewesen seien, hätten die Kontrolleure nichts gemerkt. | |
| Die jetzige Leiterin der Kontrollstelle, Gerda Lichtenau, verweist darauf, | |
| dass ihre Kollegen damals einen der Fälle an die Aufsichtsbehörde abgegeben | |
| hätten, weil der Landwirt „seinen Informationspflichten nicht nachgekommen | |
| war“. Aber das war sehr spät. | |
| Dass das Biokontrollsystem insgesamt und nicht nur einzelne Kontrollstellen | |
| unter gravierenden Mängeln leiden, hat der [4][EU-Rechnungshof] belegt. | |
| „Viele Erzeugnisse konnten nach wie vor nicht zum landwirtschaftlichen | |
| Erzeuger zurückverfolgt werden“, schrieb die Behörde 2019. Wenn sich aber | |
| nicht herausfinden lässt, welcher Landwirt ein Produkt hergestellt hat, | |
| lässt sich auch nicht feststellen, ob er wirklich ein Biobauer ist. Dieses | |
| Problem zeigte sich bei 42 Prozent der vom Rechnungshof untersuchten | |
| Testprodukte mit mindestens einem Erzeuger, Verarbeiter oder Händler von | |
| außerhalb der EU. Wenn alle beteiligten Unternehmer aus demselben EU-Staat | |
| kamen, versagte das System in 17 Prozent der Fälle. Waren die Unternehmer | |
| aus mehreren EU-Ländern, konnten die Behörden in 29 Prozent der Tests nicht | |
| bis zum Erzeuger zurückverfolgen. | |
| Unter anderem deshalb lautet Flegels Fazit aus vier Jahren Biokontrolle: | |
| „Es funktioniert nicht!“ Er behauptet nicht, dass die meisten Ökolandwirte | |
| betrügen würden. „Meine Familie und ich kaufen auch immer noch überwiegend | |
| Biolebensmittel.“ Aber das System sei „ein zunehmender Verrat an den | |
| Verbrauchern, den anständigen Biobauern, den betroffenen Tieren und der | |
| Umwelt“. | |
| ## Es gibt durchaus Interessenkonflikte | |
| So weit gehen die meisten ExpertInnen nicht. Aber auch Achim Spiller, | |
| Professor für Agrarmarketing an der Universität Göttingen, sieht einen | |
| Interessenkonflikt darin, dass die Biokontrolleure von den Betrieben | |
| bezahlt und ausgesucht werden, die sie überprüfen sollen. „Diesen | |
| Interessenkonflikt gibt es bei allen Zertifizierungssystemen, aber auch bei | |
| der Wirtschaftsprüfung“, sagt Spiller. Was die Sache nicht besser macht. | |
| Wirtschaftsprüfer werden ebenfalls von den Firmen bezahlt, die sie | |
| kontrollieren sollen. So war es auch im Skandal um den | |
| Zahlungsdienstleister Wirecard, der jahrelang Bilanzen manipulierte, ohne | |
| dass die Rechnungsprüfer es bemerkten. | |
| Doch wie lassen sich der Interessenkonflikt der Kontrollstellen und die | |
| Abhängigkeit von ihren Kunden beheben? Antworten kann ein Blick in andere | |
| EU-Staaten geben: In Dänemark und den Niederlanden arbeitet jeweils nur | |
| eine Kontrollstelle. Die Bauern können also nicht wechseln, wenn sie sich | |
| zu streng überprüft fühlen. [5][In Dänemark] sind die Kontrolleure | |
| Mitarbeiter von Behörden, die dem Lebensmittelministerium unterstellt sind. | |
| Und in den Niederlanden arbeiten die entsprechenden Inspekteure bei der | |
| staatlichen Stiftung Skal. | |
| Die beiden Länder zeigen, dass sich die Biokontrolle auch ohne private | |
| Kontrollfirmen organisieren und finanzieren lässt, die von den | |
| kontrollierten Betrieben abhängig sind. In den Nachbarstaaten ziehen keine | |
| privaten Eigentümer Geld in Form von Gewinnen aus dem System. Und es gibt | |
| nicht so viele Kontrollstellenchefs wie in Deutschland. | |
| Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) lehnt ein staatliches | |
| System trotzdem ab. Wichtigstes Argument: Die Lebensmittelbehörden würden | |
| auch in anderen Bereichen nicht optimal arbeiten, zum Beispiel würden sie | |
| nur sehr selten kontrollieren, ob Bauern sich an die Regeln für das | |
| Spritzen von Pestiziden halten würden, sagte Peter Röhrig, | |
| geschäftsführendes Vorstandsmitglied des BÖLW, kürzlich dem NDR. Aber diese | |
| Probleme sind hauptsächlich durch mangelhafte Budgets und zu wenig Personal | |
| bedingt. Für Biokontrolleure dagegen gibt es schon genug Geld: Auch wenn | |
| sie beim Staat angestellt wären, könnten sie weiterhin aus den Gebühren der | |
| Betriebe bezahlt werden. | |
| Allerdings wollen die großen deutschen Parteien nicht an dieses Thema | |
| heran. „Wer eine Verstaatlichung der Biokontrolle fordert, hat alle Lobbys | |
| gegen sich“, sagt ein Brancheninsider. Die traditionell mit dem | |
| Bauernverband verbündete CDU hat kein Interesse an strengeren Kontrollen, | |
| weil sie mehr Aufwand für die Landwirte bedeuten. Nordrhein-Westfalens | |
| CDU-Agrarministerin Ursula Heinen-Esser etwa schreibt der taz auf Anfrage, | |
| zu einer Reform der privaten Öko-Kontrolle „besteht aus meiner Sicht kein | |
| Anlass“. Aber auch bei den Grünen findet sich fast niemand, der eine | |
| radikale Reform der Öko-Kontrolle fordert. Denn die Grünen stehen den | |
| Verbänden der Biobranche nahe, die ebenfalls kein staatliches System | |
| wollen. Berlins grüner Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt antwortete | |
| auf die Frage der taz nach einer Reform des Kontrollsystems, die privaten | |
| Inspekteure würden doch „staatlich überwacht“. | |
| Tatsächlich begleiten Beschäftigte der Länderbehörden regelmäßig einen | |
| kleinen Teil der privaten Kontrollen. Aber in der Praxis gibt es oft ein | |
| Kompetenzwirrwarr zwischen Ämtern und Kontrollstellen, das Betrügern nützt. | |
| [6][Der Bioschweinepionier aus dem Wendland etwa konnte auch dann noch | |
| weiter Ware mit dem EU-Biosiegel verkaufen], als ihn Bioland schon wegen | |
| der schwerwiegenden Vorwürfe gegen ihn ausgeschlossen hatte. Das Laves | |
| erklärte, die privaten Kontrollstellen „können und müssen“ das Zertifikat | |
| aussetzen, wenn die Verstöße das angemessen erscheinen ließen. Doch die | |
| Kontrollstellen fürchten oft Schadenersatzforderungen, wenn nicht das | |
| zuständige Amt gleichzeitig den Entzug des Zertifikats anordnet. Ergebnis: | |
| Oft handelt niemand, weil alle immer auf den anderen warten. | |
| Kontrolleur Flegel hat dieses System so frustriert, dass er seinen Job | |
| kündigte. „Am Ende“, sagt Flegel, „war es irgendwie egal, ob ich die | |
| Landwirte kontrolliere oder nur mit ihnen Kaffee trinke.“ | |
| 4 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/Landwirtschaft/Oekologischer-Lan… | |
| [2] https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/oekologischer-landbau/eg-oeko-… | |
| [3] https://www.bioland.de/verband/landesverbaende/niedersachsen/bremen/pressem… | |
| [4] /EU-Rechnungshof-kritisiert-Oekokontrolle/!5580535 | |
| [5] https://www.foedevarestyrelsen.dk/english/Food/Organic_food/Pages/default.a… | |
| [6] /Vorwuerfe-gegen-Schweinehalter/!5792577 | |
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