| # taz.de -- Flüchtlinge aus der Ukraine: Die neue Bahnhofsmission | |
| > Freiwillige Helfer nehmen im Berliner Hauptbahnhof geflüchtete Menschen | |
| > aus der Ukraine in Empfang. Die kommen zunehmend mit Zügen aus Warschau | |
| > an. | |
| Bild: Freiwillige bieten den Ankommenden heiße Getränke an | |
| BERLIN taz Im Hauptbahnhof weisen Aufsteller mit blau-gelben Balken und | |
| Pfeilen den Weg. Wer ihnen folgt, landet im hinteren, unteren Teil des | |
| Bahnhofs, wo es auch Richtung U-Bahn geht. Dort stehen am Mittwochmorgen | |
| etwa 200 Menschen mit ihrem Gepäck in Rucksäcken und Tüten in kleinen | |
| Gruppen zusammen, einige sitzen auf Koffern oder an den dort aufgestellten | |
| Holztischen und -bänken. Viele der Menschen, die derzeit vor dem Krieg in | |
| der Ukraine flüchten, [1][kommen mit Direktzügen aus Warschau] in Berlin | |
| an, täglich gibt es fünf planmäßige Verbindungen. | |
| „Wer in Berlin bleiben möchte, bitte auf diese Seite“, sagt Marcus, ein | |
| freiwilliger Helfer, auf Englisch, und dirigiert zwei Frauen auf die rechte | |
| Seite eines Absperrbands. Alle anderen, die sich unsicher sind oder | |
| weiterreisen möchten, bittet er auf die andere Seite. Und den Freiwilligen, | |
| die ebenfalls stetig ankommen, erklärt er, wie sie sich nützlich machen | |
| können. | |
| Auf dem zugigen Durchgang über den unteren Gleisen ist in den vergangenen | |
| Tagen ein inoffizieller Info-Punkt entstanden, an dem zahlreiche | |
| Helfer*innen in gelben Warnwesten die ankommenden Kriegsflüchtlinge aus | |
| der Ukraine in Empfang nehmen und ihnen erklären, wie es weitergeht. Denn | |
| zunehmend kommen Menschen aus der Ukraine am Bahnhof an. | |
| Das offizielle Ankunftszentrum des Landes, in dem sie alle registriert und | |
| teils auch ein paar Tage untergebracht werden können, ist allerdings in | |
| Reinickendorf. Die Helfer*innen erklären daher, wo es zu den Bussen | |
| geht, und versorgen die Geflüchteten mit dem Nötigsten. In einer Ecke steht | |
| ein Tisch mit Flyern. An weiteren Tischen schmieren Freiwillige Brote, | |
| verteilen gespendete Lebensmittel und schenken Tee aus, auch Hygieneartikel | |
| können die Flüchtlinge hier bekommen. Eine junge Frau verteilt Münzen für | |
| den Toilettenbesuch. „Das ist doch wirklich dumm, dass die Klos hier nicht | |
| frei zugänglich sind“, sagt sie. | |
| ## Schlange vor dem Reisezentrum | |
| Viele der neu Angekommenen wirken müde, aber gefasst. Einem jungen Mädchen | |
| laufen die Tränen über das Gesicht, sie weint leise, aber ohne aufzuhören. | |
| „Wir kommen aus Kyiv und sie kann nicht fassen, dass wir weg mussten“, sagt | |
| ihre Mutter. Weiter hinten sitzt einsam ein kleiner Junge mit | |
| Spiderman-Kapuze auf einem Berg von Taschen und spielt mit einem Handy. Ein | |
| Pärchen trägt neben den Koffern auch zwei durchsichtige Plastikrucksäcke | |
| mit seinen Katzen darin. | |
| Ein junger Mann aus Marokko fragt, wie es weitergeht. Er sei seit sechs | |
| Tagen unterwegs, zu Fuß habe er die Grenze zu Polen überquert. „Alle ohne | |
| ukrainischen Pass mussten einen ganzen Tag an der Grenze warten“, erzählt | |
| er. „Darunter waren auch viele Frauen und Kinder. Einige sind vor Schwäche | |
| ohnmächtig geworden.“ Nur mit zwei kleinen Rucksäcken ist am Morgen mit dem | |
| Zug aus Warschau angekommen, er will erst mal in Berlin bleiben. „Ich habe | |
| Zahnmedizin in der Ukraine studiert. Ich hatte viele Pläne“, sagt er. | |
| „Jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll. Vielleicht finde ich ja Hilfe | |
| hier.“ | |
| Vor dem Reisezentrum auf der mittleren Ebene des Bahnhofs hat sich eine | |
| lange Schlange gebildet. Wer weiterfahren will, bekommt hier von der Bahn | |
| ein kostenloses Ticket – wenn er oder sie einen ukrainischen Pass hat oder | |
| eine Niederlassungserlaubnis. Hier helfen Freiwillige als | |
| Sprachmittler*innen für Ukrainisch und Russisch. | |
| Die Freiwilligen organisieren sich spontan. „Wer helfen will, kann einfach | |
| herkommen“, sagt Marcus. „Wir brauchen jeden, der Zeit hat.“ Seinen | |
| Nachnamen möchte er nicht öffentlich machen. Er selbst ist schon seit | |
| einigen Tagen dabei. „Ich habe gesehen, dass die Ankommenden hier | |
| kurzfristig und unbürokratisch Unterstützung brauchen“, sagt er. „Klar | |
| fände ich es auch geiler, wenn der Senat das organisiert hätte. Aber das | |
| macht der halt nicht.“ | |
| ## Innensenatorin ist dankbar | |
| Berlins [2][Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke)] betonte am | |
| Mittwoch, sie sei den freiwilligen Helfer*innen „unendlich dankbar“. | |
| Denn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine steigt. „Wir | |
| haben eine [3][extremst dynamische Situation], die Lage hat sich über die | |
| vergangenen Tage dramatisch verändert“, sagte Kipping bei dem spontan | |
| anberaumten Pressestatement. In der Nacht zu Mittwoch habe rund 1.400 | |
| Menschen in Unterkünften untergebracht. Am Montag seien es noch 350 | |
| gewesen. | |
| Noch sei es kein Problem, alle Menschen unterzubringen – auch weil viele | |
| privat bei Familie oder Bekannten in der Stadt unterkämen. „Wer ein Bett | |
| brauchte, hat eines bekommen“, sagte Kipping. Wie viel Kapazität es am | |
| Mittwoch noch gab, konnte sie nicht sagen. Der Senat hatte am Dienstag | |
| versprochen, zunächst Unterbringungsmöglichkeiten für 20.000 Geflüchtete | |
| schaffen zu wollen. Seit Mittwoch sei nun auch in Neukölln eine Unterkunft | |
| einsatzbereit, sagte Kipping. In Pankow habe man Containerunterkünfte | |
| reaktiviert. Auch in Spandau sei eine Unterkunft ans Netz gegangen, genauso | |
| wie ein umfunktioniertes Hostel in Friedrichshain. Weitere Plätze sollen | |
| auch in Potsdam vorhanden sein. | |
| Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte, Berlin brauche | |
| die Unterstützung anderer Bundesländer. Die 20.000 Plätze könnten schnell | |
| belegt sein. Berlin habe durch die Flüchtlingszuwanderung 2015 viel | |
| Erfahrungen sammeln und Modelle entwickeln können, aber diese ließen sich | |
| nicht so einfach von heute auf morgen wieder realisieren. | |
| Indes ist der Aufenthaltsstatus der Ukraine-Flüchtlinge weiter unklar. Die | |
| EU-Kommission will nun am heutigen Donnerstag zu einer Verabredung darüber | |
| kommen, dass sie als Kriegsflüchtlinge gelten. Sie bekämen dann zunächst | |
| einen Aufenthaltsstatus für zwwi Jahre und eine Arbeitserlaubnis. | |
| Kurz vor 14 Uhr bereiten sich die Freiwilligen auf die Ankunft des nächsten | |
| Zugs aus Warschau vor. Zwei Frauen halten Pappschilder mit blau-gelben | |
| Herzen darauf hoch. Freiwillige Helfer*innen kleben sich Schilder mit | |
| ihren Namen und den Sprachen, die sie sprechen können, auf ihre Westen. Der | |
| Zug fährt ein, doch statt der erwarteten 800 steigen nur rund 100 Menschen | |
| aus. Die Helfer*innen begleiten sie die Treppen hinunter, fragen, ob sie | |
| weiterreisen oder in Berlin bleiben wollen. | |
| 2 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Abschied-von-Kiew/!5838067 | |
| [2] /Fluechtlinge-aus-der-Ukraine-in-Berlin/!5837688 | |
| [3] /-Nachrichten-zum-Ukrainekrieg-/!5838872 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| Anna Klöpper | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Ukraine | |
| Flüchtlinge | |
| Freiwillige | |
| Fluchtrouten | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Berlin | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schulstreik | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Katja Kipping | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Essensversorgung für Flüchtlinge: Äpfel und Sandwichs reichen nicht | |
| Die Freiwilligen vom Berliner Hauptbahnhof kritisieren die Versorgung durch | |
| den Senat als mangelhaft. Es sollte rund um die Uhr warmes Essen geben. | |
| Flüchtlingsaufnahme in Berlin: Zwei Schritte hinterher | |
| Berlin tut sich mit der Registrierung der Flüchtlinge aus der Ukraine | |
| schwer. Dabei ist sie wichtig für die Menschen und würde die Stadt | |
| entlasten. | |
| Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine: „Ganz klares Racial Profiling“ | |
| Noch immer werden Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine in Polen und | |
| Deutschland anders behandelt als weiße, kritisiert Jeff Klein vom Verein | |
| EOTO. | |
| Fluchthelfer*innen in Berlin: Behörden schaffen es nicht alleine | |
| Bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine ist das Land auf die | |
| Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen – wieder einmal. Ein Wochenkommentar. | |
| Ankunft von Geflüchteten in Berlin: Giffey fordert Hilfe von Bund | |
| Die Zahl der in Berlin ankommenden Menschen aus der Ukraine steigt rasant. | |
| Berlins Regierende Bürgermeisterin fordert deswegen Unterstützung. | |
| Fridays-for-Future-Demo gegen den Krieg: „Einfach Solidarität zeigen“ | |
| Die Klimabewegung ist Donnerstag gegen den Krieg in der Ukraine auf die | |
| Straße gegangen. Viele Schüler*innen waren dabei. Fünf Protokolle. | |
| +++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: Russische Angriffe werden härter | |
| EU-Innenminister beschließen vereinfachtes Aufnahmeverfahren für | |
| Geflüchtete. Die Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland gehen weiter. | |
| Rolle von Belarus im Ukraine-Krieg: Schützenhilfe für Putin | |
| Die Ukraine fürchtet einen Großangriff durch das Nachbarland Belarus. Doch | |
| dort könnte es auch Verbündete geben. | |
| Klimaaktivist:innen gegen Krieg: Fridays for Future für die Ukraine | |
| Die Klima-Aktivist:innen stecken in den Vorbereitungen für den Streik | |
| am 25. März. Nun demonstrieren sie am Donnerstag gegen den Krieg. | |
| Ankunft von Ukraine-Flüchtlingen: Sprunghafter Anstieg | |
| Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) spricht von „dynamischer | |
| Situation“. Fünf Direktzüge kommen pro Tag aus Warschau. |