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# taz.de -- Die Kunst der Woche für Berlin: Abriss, Angriff
> Schlagfertig: die Grupenausstellung „Tagesschau“ bei Mountains;
> Antikolonial: das Kollektiv CATPC bei KOW; Einsam: Porträts von Aubrey
> Levinthal.
Bild: Schlagfertig: Die Gruppenausstellung „Tagesschau“, Installationsansic…
Die roten Boxhandschuhe scheinen kurz davor, mit Wucht auf einen
einzuschlagen, derart spannt Katja Aufleger sie mit sich biegenden
Plastikrohren zwischen Decke und Boden der [1][Galerie Mountains].
„Argument“ heißt ihre Arbeit schlicht, während Eric Meier dahinter aus
einer glänzenden Epoxidharzschicht die ungelenke Handschrift von der Tafel
einer Eckkneipe mit „Ab 13 Uhr auf / Cuba Libre: 3,50€“ ankündigen läss…
wie solch Argument auch ausgetragen werden könnte. Cuba Libre, das ist so
etwas wie FaKo in Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“: das Gesöff
für ganz unten.
Implodierende Aggressionen oder beinahe explodierende Aggressionen lassen
sich aus jeder Arbeit der zehn Künstler:innen herauslesen, die der
Künstler-Kurator Eric Meier hier unter dem lakonischen Titel „Tagesschau“
versammelt hat. Da sind Ahmet Öğüts Hundeattacken aus Bronze. Im Moment des
Angriffs festgehalten, könnten sie im kleinen Gartenskulptur-Format auch
vor einer Manager-Villa stehen. Da sind Sebastian Jungs tolle Zeichnungen,
die er in Wohnungen einer Chemnitzer Abriss-Platte installierte, um die man
weiß, dass sie mittlerweile weg ist.
Abriss, Saufen, Schlagen, Angriff: Es sind die vielen, alltäglichen
Gewalttätigkeiten einer heutigen Normalität in der Bundesrepublik, auf die
„Tagesschau“ anspielt. Durchaus auch mit Humor. Und diesen Part spielt der
aus Chemnitz kommende Osmar Osten mit seinen sowohl feinsinnigen wie groben
Malereien wunderbar aus. Schon allein für seine Arbeiten „Kein Durst ist
kein Geld“ oder „Wollt ihr die totale digitale Scheiße“ kann man sich di…
Ausstellung ansehen.
## Kollektiv zur Restitution
Man weiß gar nicht, wo einhaken in einer lang sich drehenden
Wirtschaftsspirale von Kolonialismus und Kapitalanhäufung, die sich nur in
die Richtung zuspitzt, allen Reichtum vom globalen Süden in den globalen
Norden zu spülen bis er über das Sponsoring von Kunst wieder reingewaschen
wird. Das von den kongolesischen Palmölplantagen kommende Kunstkollektiv
CATPC (für Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise) setzt in
der [2][Galerie KOW] mit einem Ghost an, und zwar als NFT, als virtuelles
Original im Netz.
Es handelt sich bei diesem techno-spirituellen Kunstgriff um den Geist des
belgischen Offiziers Maximilian Balot, den die auf den Plantagen
arbeitenden Pende 1931 in einem Aufstand gegen seine Grausamkeiten töteten.
Eine kleine Skulptur mit der Darstellung des Offiziers diente lange als
Kultobjekt eines Erinnerungsritus bis die Pende, die auf den
Palmölplantagen faktisch als Versklavte arbeiteten, die Figurine in den
1970er Jahren aus materieller Not an Touristen verkauften.
Nun dreht sich der virtuelle „Balot“ als Zeichen einer zumindest digitalen
Restitution auf einem Bildschirm der Galerie, während das US-amerikanische
Virginia Museum of Fine Arts [3][nicht vom tatsächlichen „Balot“ lassen
will]. Auf sechs weiteren Bildschirmen zeichnet das CATPC den Weg der
Skulptur vom Aufstand bis zur hochklimatisierten Museumsvitrine nach. Und
immer wiederholt sich auf den Flatscreens ein Bild: das eines schneeweißen
Museumsbaus des Superbüros OMA inmitten der dünn-grünen Plantagenfelder im
Kongogebiet, die einst der Firmengigant Unilever bestellen ließ.
Unter Vermittlung des niederländischen Künstlers Renzo Martens konnten die
Plantagenarbeiter:innen den ewigen Fluss von Palmöl und Geld kurz zu
ihren Gunsten umkehren und dieses Gebäude in ihrem Dorf finanzieren (Renzo
Martens 78-minütige, durchaus ambivalente Doku „White Cube“ in der Galerie
zeigt, wie es dazu kam). Doch der modernistische White Cube – Sinnbild und
Irrwitz der westlichen Kunstwelt – steht leer.
## Sisyphos der Einsamkeit: Aubrey Levinthal
Zwischen Schönheit und Ernüchterung schwanken die Malereien von Aubrey
Levinthal. Farblich und flächig geradezu geschmackvoll komponiert ist das
eigentliche Sujet ihrer Bilder ein gesellschaftliches, das vom Zustand der
Einsamkeit inmitten einer nur nach unserer Funktionsfähigkeit fragenden
Lebenswelt.
In den Räumlichkeiten der Charlottenburger [4][Galerie Haverkampf
Leistenschneider] reihen sich mit Farbe auf Holz die melancholischen
Portraits der US-amerikanischen Künstlerin. Sie zeigen Menschen aus ihrer
Umgebung und auch sie selbst in Momenten des Alltags, im Auto an der Ampel
wartend, im Café aus dem Fenster schauend, zu Hause das Baby in den Schlaf
wiegend.
Ihr Blick geht ins Leere, sie steigen aus und womöglich fällt da gerade
eine Erkenntnis über die Portraitierten ein, die auch Albert Camus in
seinem Mythos des Sisyphos so prominent ausführte: die der ziemlichen
Sinnlosigkeit.
23 Feb 2022
## LINKS
[1] https://mountains.gallery/
[2] https://kow-berlin.com/kow
[3] https://www.theguardian.com/artanddesign/2022/feb/19/congolese-statue-loan-…
[4] https://haverkampfleistenschneider.com/
## AUTOREN
Sophie Jung
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