# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Worte und Nischen | |
> Eröffnungsschau im neuen CCA, Isabel Lewis und Dirk Bell spielen mit | |
> scheinbarer Leichtigkeit, Zilberman zeigt Aneignungen von Guido | |
> Casaretto. | |
Bild: Ausstellungsansicht: INTIM/E, Dirk Bell & Isabel Lewis (School of Swans),… | |
Während im denkmalgeschützten Flughafen Tempelhof vor wenigen Wochen die so | |
genannte Kunsthalle Berlin damit eröffnete, dass Künstler Bernar Venet | |
riesige, rostige Stahlträger mit einem Gabelstapler umhieb und ihr | |
gewaltiger Wumms [1][eine noch nicht beendete Debatte] darüber loslöste, | |
wie öffentliche Orte und Gelder zur Spielfläche der privaten Interessen | |
einiger gut Vernetzter aus der Wirtschaft werden können, begann letzten | |
Freitag an der Kurfürstenstraße das ebenfalls öffentlich klingende | |
[2][Center for Contemporary Art Berlin] sein Programm mit galvanisiertem | |
Blech. | |
Anderes Material, anderes Personal, andere Message: Mit den Vierkantrohren | |
der 1985 verstorbenen Charlotte Posenenske stellen die Macherinnen des | |
neuen CCA keine Künstlerpersona in den Mittelpunkt, sondern die Frage nach | |
der Autorschaft von Kunst selbst. Zwischen Skulptur und industriell | |
gefertigtem Nutzobjekt oszillierend vermögen es Posenenskes viel gezeigte | |
Blechfigurationen immer wieder aufs Neue, uns nach unserer Befangenheit und | |
Freiheit in einer durchgetakteten Gesellschaft abzufragen. | |
So auch in den weiten Räumlichkeiten eines ehemaligen Möbelhauses des neu | |
gegründeten CCA. Eine bislang rein private Initiative, unter anderem von | |
Fabian Schöneich, Sandra Teitge und Edwin Nasr. Woher sie das Geld fürs CCA | |
mit seinem anspruchsvollen, mit bekannteren Namen versehenen Programm | |
nehmen? Nicht ganz klar. Aber mit der Lage des CCA, wo gerade [3][vor der | |
Kulisse der Sexarbeit im Straßenbild teure Eigentumswohnungen hochgezogen] | |
werden, und mit Veranstaltungen, die in der ersten Woche Künstlerin Sung | |
Tieu und Architekturforscher Markus Miessen über partizipative Prozesse | |
diskutieren ließen, liegt das CCA schon einmal in der Realität der Stadt. | |
So leicht, so soft, so wortwörtlich lichtdurchlässig war wohl noch keine | |
Ausstellung in der Galerie Wedding wie jetzt [4][„INTIM/E“] von Dirk Bell | |
und Isabel Lewis. Transparente Duschvorhänge teilen den Raum, ein üppiger | |
Blumenstrauß steht inmitten eines sonst minimalen Settings aus Grau, | |
Schwarz und Weiß, Elektrosound hüllt alles in eine sanfte Atmosphäre, und | |
nur leicht zeichnet sich auf einer Queensize-Matratze über dem Eingang das | |
Bild voller, von einem dicken Tropfen benässter Lippen ab. Vor und mit | |
diesem poppig eingängigen und gleichzeitig so unschlüssigen Geschehen zieht | |
unaufhörlich die Weddinger Müllerstraße. Die Schau findet im Rahmen des | |
Programms [5][„Existing Otherwise/ Anders Existieren“] (kurz „XO“) stat… | |
dass [6][2021] in Berlin begann und sich dieses Jahr u. a. am SCCA Tamale | |
[7][in Ghana fortsetzt]. | |
## Schwanensee, entrückt | |
„School of Swans“ nennen Isabel Lewis und Dirk Bell auch ihr kollaboratives | |
Projekt. Denn im Laufe von „INTIM/E“ haben zudem das Blumenstudio Anatomie | |
Fleur, die Tee-Zeremonienmeisterin Dambi Kim oder die Tänzerin Nora | |
Chipaumire ihre Spuren hinterlassen. School of Swans: ein toller Name, der | |
die tatsächliche Schwanensee-Romantik ihrer Ausstellung vorwegnimmt. Denn | |
nur langsam offenbaren sich darin Zeichen, Wörter und Sätze. Und alle | |
drehen sich um die Liebe. | |
Ganze niedergeschriebene Passagen auf den Duschvorhängen und an den Wänden | |
zitieren Literatur und Wissenschaft. Um ein gemeinsames Sein, um das | |
Koexistieren von Organismen, Menschen und Wesen geht es darin. Es zerfallen | |
Begriffe, und es entstehen neue. Auf einem Wandbild werden die Kategorien | |
„Black“ und „White“ zu den mehr bedeutungsoffenen „Lack“ und „Hit… | |
langsam entgleist der schöne Pop dieser Ausstellung, entrücken das | |
Gefällige und das Sanfte den Standards – in eine Nische hinein, die unsere | |
Aufmerksamkeit für das will, was Tag für Tag um uns geschieht. | |
Ganz schön aus der Zeit gefallen wirken da im Vergleich die skulpturalen | |
Arbeiten des in Istanbul lebenden Künstlers Guido Casaretto in der | |
[8][Galerie Zilberman]. Aus Ton geformte Orecchiette-Nudeln, eine | |
überdimensionierte Skulptur wie Michelangelos David in Florenz, aber nun | |
einmal in den fleischigen Formen eines älteren Mannes (nämlich des Komikers | |
und Autors Stephen Fry) oder Kirchenbänke aus geschreddertem Holz und Harz. | |
In „Of Goats, Scapes and Appropriations“ ahmt Casaretto Entstehungsprozesse | |
nach und verfremdet sie, trotzdem bleibt etwas vom Original bestehen. | |
Vergangenes und Jetziges verdichten sich in den melancholischen | |
Installationen, die alle auch immer von dem Verlust einer einstigen | |
Multikulturalität in Istanbul berichten. | |
9 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-Kunsthalle-in-Tempelhof/!5833147 | |
[2] https://cca.berlin/de/ | |
[3] /Kunsttipps-der-Woche/!5821427 | |
[4] http://galeriewedding.de/intim-e/ | |
[5] http://galeriewedding.de/13938-2/ | |
[6] http://galeriewedding.de/programm-2021/ | |
[7] https://xocuratorialprojects.org/projects/existing-otherwise-for-a-new-poli… | |
[8] https://www.zilbermangallery.com/ | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Berliner Galerien | |
Kunst Berlin | |
Kunsthalle | |
Skulptur | |
Word Art | |
Performance | |
Berliner KünstlerInnen | |
zeitgenössische Kunst | |
taz Plan | |
Wochenkommentar | |
taz Plan | |
taz Plan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Kunst der Woche für Berlin: Abriss, Angriff | |
Schlagfertig: die Grupenausstellung „Tagesschau“ bei Mountains; | |
Antikolonial: das Kollektiv CATPC bei KOW; Einsam: Porträts von Aubrey | |
Levinthal. | |
Debatte um Kunsthalle in Tempelhof: Der Dercon-Moment | |
Der Boykottaufruf der Berliner Künstlerschaft gegen die private Kunsthalle | |
im Flughafen Tempelhof ist richtig. | |
Filmkunst in Berlin: Das Kino, in Fragen getaucht | |
Die Regisseurin und Künstlerin Albertina Carri entwirft in der daadgalerie | |
mit „Cinema puro“ ein bewegendes Archiv der Abwesenheiten. | |
Ausstellungsempfehlung für Berlin: Veritable Bildtechnik | |
Die Ausstellung „Mit Parallelität von Widersprüchen wird Komplexes | |
missverständlicher“ bei Schiefe Zähne zeigt das schwer Greifbare der | |
Realität. |