# taz.de -- Impfpflicht im Bundestag: „Vor die Welle kommen“ | |
> Fünf Vorschläge haben Abgeordnete und Fraktionen zur Impfpflicht | |
> vorgelegt. Ob einer davon eine Mehrheit bekommt, ist unklar. | |
Bild: Spritze drin dank Impf-Drive-In | |
BERLIN taz | Pünktlich kommt die allgemeine Impfpflicht schon mal nicht. Im | |
Herbst hatte Olaf Scholz, damals noch nicht ganz Bundeskanzler, ihr | |
Inkrafttreten bis Anfang März angekündigt. Als sich erste Probleme | |
abzeichneten, interpretierte die SPD die Zielmarke mal eben um – in einen | |
Bundestagsbeschluss bis Ende März. | |
Daraus wird jetzt wohl auch nichts: Erst seit Mittwoch liegt der letzte von | |
fünf Vorschlägen zur Impfpflicht vor, später als gedacht. Das Parlament | |
kann die Entwürfe erst in der nächsten Sitzungswoche Mitte März erstmals | |
diskutieren. Weil danach genügend Zeit für Ausschussberatungen bleiben | |
soll, fällt vor Anfang April wohl keine Entscheidung. | |
Vor allem aber: [1][Ob einer der Vorschläge eine Mehrheit bekommt], ist | |
offen. Zur Erinnerung: Weil sich die Ampel nicht auf eine Regelung einigen | |
konnte, überließ es die Regierung dem Parlament, frei vom Fraktionszwang | |
eine Lösung zu finden. AfD und Union haben trotzdem als Fraktionen Anträge | |
vorgelegt. | |
Die radikal Rechten wenden sich gegen jede Form der Impfpflicht, die | |
Konservativen fordern eine Pflicht auf Vorrat: Sie würde zunächst nur auf | |
dem Papier existieren und erst scharfgestellt, falls der Bundestag in einer | |
kritischen Pandemielage einen entsprechenden zweiten Beschluss fällt. | |
Eigentlich befürworten CDU und CSU eine Impfpflicht, Bedenken haben sie | |
aber, weil diese gegen die Omikronwelle nichts mehr nütze und unklar sei, | |
wie sich die Pandemie weiter entwickele. Dazu kommen verfassungsrechtliche | |
Einwände. | |
## Impfpflicht kann noch Mehrheit bekommen | |
Die Unterstützung von Ampel-Abgeordneten und einigen Linken verteilt sich | |
dagegen auf drei interfraktionelle Anträge: Eine Gruppe um Wolfgang Kubicki | |
(FDP) fordert, weiter fürs Impfen zu werben, aber es nicht zur Pflicht zu | |
machen. Zwei weitere Gruppen haben als einzige schon fertige Gesetzentwürfe | |
statt reiner Anträge eingebracht: einer, am Mittwoch präsentiert, für eine | |
mögliche [2][Impfpflicht ab 50 Jahren im Herbst]. Und einer, noch | |
weitgehender, für eine Pflicht ab 18 schon vorher. | |
Auf den ersten Blick können diese Entwürfe etwas aus der Zeit gefallen | |
erscheinen: Erst in dieser Woche haben Bund und Länder beschlossen, die | |
Infektionsschutzmaßnahmen bis zum Frühlingsbeginn runterzufahren. Was soll | |
da noch eine Impfpflicht? Die Unterstützer*innen verweisen allerdings | |
auf den nächsten Herbst: Mit ihren Regelungen wollen sie dem Risiko | |
begegnen, dass dann eine neue, gefährlichere Virusvariante zirkulieren | |
könnte. „Unser Ziel ist, endlich mal vor die Welle zu kommen“, sagt Andrew | |
Ullmann (FDP), Initiator des Entwurfs für die Impfpflicht 50+. | |
Auch wenn sich die Befürworter*innen derzeit hinter unterschiedlichen | |
Modellen versammeln: Dass eine Impfpflicht, in welcher Ausgestaltung auch | |
immer, eine Mehrheit bekommt, ist noch möglich. Noch vor der Abstimmung | |
könnte es zu Kompromissen kommen, sodass verschiedene Entwürfe | |
zusammengelegt werden. Denkbar ist auch, dass im April zunächst über den | |
Entwurf der Gruppe 18+ abgestimmt wird. Fällt er durch, würden dessen | |
Anhänger*innen wohl der Pflicht für Ältere zustimmen – wäre ja besser | |
als nichts. | |
Eine Mehrheit wäre aber auch in diesem Fall nicht garantiert. Schon gar | |
keine breite, die bei einem so sensiblen Thema wie der Impfpflicht | |
eigentlich geboten wäre. In den Ampel-Fraktionen hofft man daher auf | |
Kompromissbereitschaft bei CDU und CSU. „Wir suchen jetzt mit allen die | |
Gespräche und sprechen auch die Union an. Ich schließe nicht aus, dass am | |
Ende eine zusammengeführte Fassung verschiedener Modelle zur Abstimmung | |
steht“, sagt Till Steffen (Grüne), der die Pflicht für alle Volljährigen | |
befürwortet. | |
Die Union allerdings will der Koalition, der vor allem wegen der FDP eine | |
eigene Mehrheit zur Einführung der Impfpflicht fehlt, nicht aus der Patsche | |
helfen. Schließlich ist man nun in der Opposition und will sich gegen die | |
Regierung profilieren. „Wir sind nicht die Reservebank der Regierung“, | |
sagte denn auch Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der | |
Unionsfraktion. Er schließe aus, dass sich die Unionsabgeordneten einem der | |
Gruppenanträge anschließen. Wenn keiner davon eine Mehrheit bekomme, sei | |
man aber bereit, über Kompromisse zu sprechen. Im Klartext heißt das: | |
Zunächst einmal soll sich aber die Ampel für alle sichtbar eine blutige | |
Nase holen. | |
## So sehen die fünf Anträge und Entwürfe im Details aus: | |
## | |
## 1. Impfpflicht ab 18 | |
Alle Volljährigen müssen sich bis zum Herbst dreimal impfen lassen, das | |
fordert ein Gruppenantrag, den Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP | |
vorgelegt haben. Es ist der weitestgehende Vorschlag. Ziel ist eine | |
Grundimmunisierung der Bevölkerung, bevor die nächste Coronavirusmutation | |
eine erneute Infektionswelle auslöst. Mittels Impfschutz soll verhindert | |
werden, dass Menschen massenhaft schwer erkranken und im Krankenhaus und | |
auf Intensivstationen behandelt werden müssen. | |
Damit, so die Hoffnung der Antragsteller*innen, erübrigen sich auch erneute | |
Lockdowns im kommen-den Winter. Zuständig für die Kontrolle der | |
Impfnachweise sollen die Krankenkassen sein. Diese sollen bis Mitte Mai | |
alle 73 Millionen Versicherten anschreiben und über Impfangebote | |
informieren, Beratungen anbieten und auf die Impfpflicht verweisen. Wer bis | |
zum 1. Oktober keinen Impfnachweis vorgelegt hat, soll dann mit einem | |
Bußgeld bis zu 2.500 Euro rechnen müssen. (Anna Lehmann) | |
## 2. Impfpflicht ab 50 | |
Eine weitere Gruppe von Abgeordneten aus SPD, Grünen und FDP hat einen | |
Gesetzesentwurf vorgelegt, der eine Impfpflicht für alle Personen ab 50 | |
Jahren vorsieht – und auch das nur unter Vorbehalt. Zunächst soll die | |
Impfkampagne noch einmal ausgeweitet werden. Alle erwachsenen Personen in | |
Deutschland sollen durch ihre Krankenkassen kontaktiert und über Beratungs- | |
und Impfmöglichkeit informiert werden. | |
Bis zum 15. September müssten dann alle Erwachsenen nachweisen, dass sie | |
geimpft beziehungsweise genesen sind oder eine ärztliche Beratung in | |
Anspruch genommen haben. Damit die Impfpflicht für alle über 50 in Kraft | |
tritt, wäre dann im zweiten Schritt ein neuer Bundestagsbeschluss nötig. | |
Bedingung wäre, dass es „die Infektionslage und der Stand der Impfkampagne | |
nach den zum betreffenden Zeitpunkt vorliegenden wissenschaftlichen | |
Erkenntnissen erfordern“. Auch diese Regelung soll bis 31. Dezember 2023 | |
befristet werden. (Tobias Schulze) | |
## 3. Impfpflicht auf Vorrat | |
CDU und CSU im Bundestag haben sich dazu entschieden, einen eigenen | |
Fraktionsvorschlag einzubringen. Sie wollen ein sogenanntes | |
Impfvorsorgegesetz. Das soll jetzt zwar vorbereitet und verabschiedet | |
werden, muss aber bei Bedarf – also wenn sich die Pandemielage | |
möglicherweise im Herbst wieder verschärft – noch vom Bundestag „scharf | |
geschaltet“ werden, wie es Unionsfraktionsvize Sepp Müller nennt. | |
Das Verfahren ist an den Mechanismus zur Feststellung der epidemischen Lage | |
von nationaler Tragweite angelehnt. Wenn bestimmte Voraussetzungen | |
vorliegen, soll eine bestimmte Stufe eines etwa nach Alter oder Tätigkeiten | |
gestaffelten Impfmechanismus in Gang gesetzt werden. Die Voraussetzungen | |
hat die Union konkret noch nicht benannt. Eine allgemeine Impfpflicht zum | |
derzeitigen Zeitpunkt hält die Union für rechtlich nicht durchsetzbar. | |
Zwingend notwendig aber sei die Einführung eines Impfregisters. (Sabine am | |
Orde) | |
## 4. Keine Impfplicht, aber … | |
Gegen eine allgemeine Impfpflicht wendet sich ein Antrag aus den Reihen der | |
FDP, der unter anderem von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki | |
initiiert wurde. Dessen Unterstützer*innen, darunter auch | |
Linken-Abgeordnete wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, halten eine | |
solche Impfpflicht für einen unverhältnismäßigen Eingriff in | |
Persönlichkeitsrechte.Sie sprechen sich zugleich aber für neue | |
Anstrengungen aus, um mehr Menschen mit Impfangeboten zu erreichen. | |
So fordert die Gruppe unter anderem, „niedrigschwellige Beratungsangebote | |
in der Fläche zu schaffen“, etwa für Menschen ohne Hausarzt. Der Antrag | |
enthält einen Dank an Wissenschaftler*innen, die Impfungen ermöglicht | |
haben. Er erkennt den Nutzen der Impfstoffe an und dankt allen | |
Bürger*innen, die sich bereits haben impfen lassen. Und er enthält den | |
Appell, dass sich „weiter möglichst viele Menschen“ durch eine Impfung | |
schützen. (Tobias Schulze) | |
## 5. Keine Impfpflicht | |
Wie die Union bringt auch die AfD einen Fraktionsantrag ein. Sie wendet | |
sich darin nicht nur gegen eine Ausweitung der Impfpflicht, sondern | |
plädiert auch dafür, die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufzuheben. Eine | |
Impfpflicht stellt nach Auffassung der extrem Rechten „einen Eingriff in | |
das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 des | |
Grundgesetzes“ dar. | |
Die AfD fordert in ihrem Antrag die Regierung auf, eine Verordnung zu | |
erlassen oder ein Gesetz vorzubereiten, das „eine direkte sowie eine | |
indirekte Pflicht“ explizit als unzulässig erklärt. In der Begründung | |
verweist die AfD unter anderem darauf, dass bei Corona-Impfstoffen die | |
„Daten zur Nutzen-Risiko-Bilanz noch nicht vollständig“ seien. Als Beispiel | |
führt sie an, dass bei männlichen Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren | |
das Risiko einer Herzmuskelentzündung erhöht sei. Für diese spezifische | |
Gruppe fordert im Bundestag aber auch niemand eine Impfpflicht. (Tobias | |
Schulze) | |
18 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
Sabine am Orde | |
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