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# taz.de -- Karl Lauterbach über Pandemie und Amt: „Ich bin nicht harmonies�…
> Enttäuschte Fans, hasserfüllte Gegner, dazu Probleme bei Impfpflicht und
> Stress mit der „Bild“: All das scheint dem Gesundheitsminister wenig
> auszumachen.
Bild: „Die Bild-Zeitung und der Springer-Verlag fahren Kampagnen gegen mich�…
taz am wochenende: Herr Lauterbach, wenn man sich die Corona-Entwicklung
und die politische Debatte ansieht – wäre es da nicht ehrlicher zu sagen:
„Aus der allgemeinen Impfpflicht wird nichts“?
Karl Lauterbach: Nein, das wäre falsch. Wir kämpfen [1][für die
Impfpflicht]. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten will sie. Und sie ist
notwendig. Wir haben noch so viele Ungeimpfte, dass wir im Herbst ohne
Impfpflicht wieder erhebliche Probleme bekommen werden. Ich bin überzeugt
davon: Es wird am Ende im Bundestag eine Mehrheit für die Impfpflicht
geben.
Aber die Lage hat sich doch verändert: Trotz niedriger Impfquote und extrem
hoher Infektionszahlen gibt es keine Überlastung des Gesundheitswesens.
Das stimmt. Trotzdem können wir im Herbst wieder eine Omikron-Welle
bekommen – und vielleicht sogar eine gefährlichere Variante. Und selbst die
aktuelle Omikron-Welle haben wir nur durch die Beschränkungen in den Griff
bekommen. Ansonsten hätte es eine Überlastung der Krankenhäuser gegeben.
Diesen Weg mit allen Einschränkungen, mit Schulschließungen und
Kontaktbegrenzungen, müssten wir im Herbst wieder beschreiten, wenn Omikron
zurückkäme. Und das wäre noch der günstigste Fall.
Wenn man nicht weiß, was im Herbst passieren wird, ist dann der Vorschlag
der Union – jetzt alles vorbereiten, später entscheiden – nicht der bessere
Weg?
Die Impfung ist die Vorbereitung. Außerdem wissen wir sehr wohl etwas über
den Herbst. Ohne die Impflücke zu schließen, wären in Deutschland dann
wahrscheinlich wieder Einschränkungen notwendig. Schwere Verläufe sind mit
drei Impfungen um mindestens 85 Prozent reduziert. Mit einer Impfpflicht
würden wir uns im Herbst ersparen, was wir jetzt erleben mussten.
Auf den Intensivstationen landen vor allem Ältere. Reicht dann nicht eine
Ü50-Impfpflicht?
Damit riskiert man hohe Fallzahlen bei den Jüngeren. Bei einer Variante wie
Delta gäbe es bei Jüngeren schwere Verläufe, bei Diabetikern, an Krebs
Vorerkankten, Übergewichtigen und Menschen mit eingeschränkter
Nierenfunktion. Wir brauchen ein handwerklich überzeugendes Ergebnis.
Die Union hat das Angebot der SPD-Fraktion, einen Kompromiss zu verhandeln,
abgelehnt. Damit gibt es für die Impfpflicht ab 18 keine Mehrheit.
An diesen Spekulationen beteilige ich mich nicht. Ich kämpfe für ein gutes
Ergebnis.
Noch mal: Die FDP will die Impfpflicht ab 18 nicht, die Union auch nicht.
Wo soll die Mehrheit für die allgemeine Impfpflicht herkommen?
Ich arbeite dafür, dass am Ende ein gemeinsamer Antrag vorliegt und viele
Unionsabgeordnete ihre staatstragende Verantwortung ernst nehmen. Wenn im
Herbst wieder Einschränkungen nötig sind, wird sich jeder daran erinnern,
wer aus parteipolitischem Kalkül die Impfpflicht verhindert hat.
Aber kann nicht auch die Einführung der Impfpflicht ein Desaster werden? In
Teilen der Bevölkerung gibt es starken Widerstand. Es drohen enorme
gesellschaftliche Konflikte, ohne dass die Impfquote am Ende deutlich höher
ist.
Das halte ich für völlig abwegig. Wir erhöhen die Impfquote nicht durch
noch eine Impfkampagne, sondern nur durch die Impfpflicht.
Viele dürften sich einen gefälschten Impfpass oder ein Attest von einem
impfkritischen Arzt besorgen. Oder die Strafe bezahlen. Oder hoffen, dass
ohnehin nicht kontrolliert wird.
Das sind Vermutungen, mehr nicht. Wenn es die Impfpflicht gibt, wird sie
kontrolliert werden und es wird Sanktionen geben. Es ist spekulativ zu
glauben, die Impfpflicht bringe nichts. Ich glaube, dass viele, die sich
nicht freiwillig impfen lassen, sich der Pflicht beugen würden.
Sie wollten Anfang Januar einen Gesetzentwurf einbringen, haben dann einen
Rückzieher gemacht. War das ein Fehler?
Die Regierung hat entschieden, dass das Parlament Anträge einbringt. Ich
kann keinen Gesetzesentwurf als Bundesgesundheitsminister einbringen, wenn
das Parlament dies tut.
Der Eindruck war: Die Regierung weiß nicht, was sie will. Mitte Januar gab
es erneut einen kommunikativen Störfall. Das Robert-Koch-Institut (RKI)
[2][verkürzte die Gültigkeit des Genesenenstatus] von sechs auf drei
Monate, obwohl Sie zuvor versichert hatten, solche Änderungen würden
langfristig angekündigt. War das Ihr Fehler?
Die Ankündigung, dass der Genesenenstatus auf drei Monate verkürzt wird,
kam nicht von mir. Ich habe dazu gesagt: Diese Regelung ist inhaltlich in
Ordnung, aber die Art der Kommunikation geht so nicht. Deshalb wird das
Ministerium jetzt übernehmen.
Aber Sie sind politisch verantwortlich. Bleibt RKI-Chef Lothar Wieler im
Amt?
Er genießt weiter mein Vertrauen, er ist im Amt und ein sehr guter
Wissenschaftler. Die Entscheidungen zum Genesenenstatus, zum Impfstatus, zu
Quarantäne- und Isolationsregeln sind aber politische Entscheidungen. Es
ist besser, wenn ich sie künftig nach wissenschaftlicher Beratung selbst
treffe und kommuniziere. Deshalb haben wir das geändert.
Sie sind in Umfragen der zweitbeliebteste Politiker. Aber viele frühere
Lauterbach-Fans sind enttäuscht, dass Sie jetzt vieles mittragen, was Sie
vorher kritisiert haben. Können Sie das nachvollziehen?
Dass man als Minister Kompromisse machen muss, gehört zum Geschäft dazu.
Wir regieren ja in einer Koalition. In der Vergangenheit konnte ich
Positionen vertreten, die etwa beim Schutz der Bevölkerung noch weiter
gingen als das, was jetzt machbar ist. Dass ich da den einen oder anderen
Unterstützer verliere, verstehe ich gut. Aber das ist der Preis dafür, dass
man deutlich mehr Einfluss hat.
Gleichzeitig ist in den sozialen Medien viel Hass auf Sie zu erleben von
Menschen, die die Maßnahmen völlig übertrieben finden.
Es gibt diejenigen, denen ich zu wenige Maßnahmen mache, und andere, oft
viel aggressiver, die sich gegen die Maßnahmen insgesamt wenden. Ich
versuche, mit Augenmaß das Richtige zu tun. Ich werde dabei jeden Tag
bedroht, beschimpft und verleumdet, besonders von Coronaleugnern. Dieser
Hass ist nicht schön. Aber ich komme damit klar. Denn ich bin überzeugt
davon, dass die Arbeit, die ich leiste, die Bevölkerung gut schützt. Und
davon lasse ich mich auch durch Hass nicht abbringen.
Hat Sie im Ministeramt etwas überrascht?
Ich hatte nicht erwartet, dass sich die ersten zwei Monate anfühlen wie
zwei Jahre. Und auch nicht, wie viele wichtige Termine ich jeden Tag
abarbeiten muss. Ein großer Teil aller Gesetze und Verordnungen, die die
Ampel bisher gemacht hat, sind über meinen Schreibtisch gegangen. Zudem
versuche ich abends, mich wissenschaftlich auf dem Laufenden zu halten. Ich
arbeite im Moment von morgens bis spät in die Nacht. Das ist schon eine
maximale Belastung.
Vielleicht verbringen Sie ja zu viel Zeit damit, in Talkshows zu sitzen
oder Einschätzungen zu wissenschaftlichen Studien [3][zu twittern], anstatt
das Ministerium auf Vordermann zu bringen?
Das ist einfach falsch. Ich twittere sehr wenig, höchstens noch zehn
Prozent von dem, was ich früher gemacht habe. Und es ist nötig, dass ich
mich selbst mit solchen Studien beschäftige. Sonst ist der
wissenschaftsbasierte Ansatz, mit dem ich versuche, die Pandemie zu
managen, nicht mehr zu halten. Ich war mir zum Beispiel relativ früh
darüber im Klaren, dass die Omikron-Welle nicht mit der Delta-Welle
vergleichbar sein wird. Würde ich nicht mehr wissenschaftlich arbeiten,
ginge der Vorteil, dass ein Wissenschaftler das Ministerium macht,
verloren.
Sie haben also keinen Fehler gemacht?
Jeder macht Fehler. Aber einen schweren Fehler kann ich nicht erkennen.
Auch wenn die Bild-Zeitung dauernd versucht, [4][mir dies anzudichten].
Gerade hat Bild behauptet, dass es nach Angaben des Ministeriums [5][nie
eine Überlastung des Gesundheitssystem]s gab.
Die Bild-Zeitung und der Springer-Verlag fahren Kampagnen gegen mich und
verbreiten Unwahrheiten. Ziel ist es, die Pandemie zu verharmlosen und die
Schutzmaßnahmen zu diskreditieren. Dass es nie eine Überlastung des
Gesundheitssystems gegeben hätte, ist zum Beispiel eine manipulative
Fehldarstellung. Richtig ist: Über 70 Prozent der Intensivstationen waren
zum Höhepunkt der Pandemie teilweise oder komplett überlastet. Es gab nur
keine deutschlandweite Überlastung des Gesundheitssystems, also keine an
allen Stellen gleichzeitig. Aber Patienten mussten von einem Bundesland
ins andere Bundesland verlegt werden. Wir mussten Patienten nach Italien
fliegen. Operationen mussten verschoben werden. Die Situation war
dramatisch. Die Bild-Zeitung weiß das und macht daraus: Es gab nie eine
Bedrohung. Das ist eine manipulative Falschmeldung.
Trotzdem geben Sie Bild und Bild TV regelmäßig Interviews. Warum?
Weil ich auch mit den Leuten ins Gespräch kommen muss, die das lesen und
schauen. Die Wahrheit verteidigt sich nicht von alleine.
Auf Twitter trendet gerade [6][#LauterbachRücktritt]. Haben Sie in den
letzten acht Wochen mal an Rücktritt gedacht?
Nein. Weshalb sollte ich? Ich bin in der Bevölkerung beliebt. Unsere Arbeit
funktioniert. Wir haben den Verlauf der Pandemie exakt vorhergesagt. Mit
Boostern, Kontaktbeschränkungen und Mahnungen sind wir gut durch zwei
schwere Wellen gesteuert. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern also
eine respektable Bilanz. Beim Treffen der europäischen Gesundheitsminister
haben mich viele darauf angesprochen. Deutschland hat etwa ein Drittel
weniger Corona-Tote pro Kopf als Europa. Das zählt. Kritik kann ich gut
aushalten, solange die Ergebnisse stimmen. Ich bin nicht harmoniesüchtig.
19 Feb 2022
## LINKS
[1] /Impfpflicht-im-Bundestag/!5831697
[2] /Diskussion-um-RKI-Chef-Wieler/!5830654
[3] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1494457024817635329?cxt=HHwWgoC9…
[4] https://www.bild.de/politik/kolumnen/kolumne/kommentar-lauterbach-liegt-fal…
[5] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/lauterbachs-faz…
[6] https://twitter.com/hashtag/lauterbachr%C3%BCcktritt
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
Stefan Reinecke
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