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# taz.de -- Zwei Jahre nach dem Hanau-Attentat: Im Sinne der Betroffenen
> Zum Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau wird auch
> Innenministerin Faeser anreisen. Ein bewusstes Zeichen in für sie
> unruhigen Zeiten.
Bild: Nancy Faeser (SPD) am Jahrestag des Hanauer Attentats bei der Kranznieder…
taz Es war schon kurz nach dem Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau, als
Nancy Faeser das erste Mal bei Familie Kurtović im Wohnzimmer saß. Bei dem
Attentat war Hamza, der zweitälteste Sohn der Familie, erschossen worden.
Eines von zehn Mordopfern, neun mit Migrationsgeschichte. Faeser kam damals
als hessische SPD-Innenpolitikerin, mit mehreren Parteikolleg:innen. Sie
hörte der Familie zu, ihrer Trauer, ihren offenen Fragen. Warum wurden sie
so spät von der Polizei über das Schicksal ihres Sohnes informiert? Warum
erfuhren sie nichts von Hamzas Obduktion? Hätte die Tat wirklich [1][nicht
verhindert werden können]?
„Das Treffen war ein gutes Zeichen“, erinnert sich heute Vater Armin
Kurtović. „Ich glaube, dass sie unsere Sorgen wirklich ernst nimmt und sich
um Taten bemüht.“ Und auch bei Nancy Faeser hinterließ der Besuch Eindruck.
„Als Mutter werde ich diesen Besuch niemals vergessen“, sagte sie später im
Hessischen Landtag. Am Samstag nun wird Nancy Faeser Familie Kurtović
wiedersehen. Auf dem Hauptfriedhof in Hanau. Dort, wo nun Hamza Kurtović
begraben liegt, neben zwei weiteren Anschlagsopfern, Ferhat Unvar und Said
Nesar Hashemi.
An dem Tag wird dem 2. Jahrestag des Hanau-Anschlags gedacht, mit rund 100
geladenen Gästen. Faeser wird diesmal aus Berlin anreisen, als
Bundesinnenministerin. Für die 51-Jährige ist es eine Rückkehr. Nach
Hessen, wo sie 18 Jahre für die SPD im Landtag saß, als Innenexpertin und
zuletzt als Fraktions- und Landeschefin – bis sie im Dezember von Olaf
Scholz zur Bundesinnenministerin ernannt wurde. Und eine Rückkehr zu dem
Thema, das ihr bisheriges politisches Engagement prägt. Es ist allerdings
auch eine Reise in für Faeser unruhigen Zeiten.
Die Fahrt nach Hanau passt jedenfalls zu der Ansage, die sie seit ihrem
Antritt als Innenministerin macht: Die größte Bedrohung hierzulande sei der
Rechtsextremismus. Bei einem Onlinegespräch diese Woche mit Said Etris
Hashemi, dem Bruder des ermordeten Said Nesar Hashemi, sagte Faeser, der
Hanau-Anschlag sei „mit das Schlimmste, was ich je erlebt habe“.
Am Mittwoch knüpfte Faeser daran im Bundestag an, bei einer Aktuellen
Stunde zum Jahrestag des Attentats. Die Tat sei bis heute ein „tiefer
Einschnitt für unser Land“. Schon zuvor hatte sie bis Ostern einen
Aktionsplan gegen Rechtsextremismus angekündigt. Hatte Telegram den Kampf
gegen Hassbeiträge angesagt und gewalttätigen Coronaprotestierenden
Gegenwehr „mit aller Härte“ versprochen.
Parallel aber lief zuletzt von rechts eine Kampagne gegen Faeser an, von
der Jungen Freiheit bis zur AfD und Union. Gemeinsam attackierten sie
Faeser für einen [2][früheren Gastbeitrag] bei dem Magazin der „Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA). Ein
Verband, der einst von Holocaustüberlebenden gegründet wurde und heute von
einigen Verfassungsschutzämtern beobachtet wird. Und eine
Sicherheitsbehörde stach an die Bild ein Papier durch, in dem gewarnt wird,
Faesers Migrationspolitik könne zu mehr illegaler Zuwanderung führen.
Es sind schwierige Tage für eine Sozialdemokratin, die in ein Ministerium
kommt, das 16 Jahre lang von der Union geführt wurde. Und die auf eine
Union trifft, die bei der Inneren Sicherheit eine offene Flanke der Ampel
wittert. Umso mehr ist die Reise nach Hanau für Faeser ein willkommener
Kontrapunkt. Man kann ihr aber glauben, dass ihr dieser Besuch ein echtes
Anliegen ist. „Rechtsextremismus führte mich in die Politik“, sagte sie im
März 2021 im Hessischen Landtag – auch das bei einer Debatte zum
Hanau-Anschlag. „Damals, als Jugendliche, hätte man noch gesagt: Wehret den
Anfängen. Heute, muss ich sagen, ist es dafür viel zu spät.“ Man müsse den
Rechtsextremismus „mit aller Entschlossenheit bekämpfen“.
Tatsächlich machte Faeser schon als hessische Innenpolitikerin den
Rechtsextremismus zum Schwerpunkt. In Hessen gab es auch allen Grund dafür:
Hier geschah der NSU-Mord an Halit Yozgat, das Attentat auf Walter Lübcke,
dann Hanau. Faeser engagierte sich im NSU-Untersuchungsausschuss – eine
Arbeit, die sie sehr prägte, wie sie später mal sagte. Sie forderte
Aufklärung auch zum Lübcke-Mord und trat vehement für einen U-Ausschuss
auch zum Hanau-Anschlag ein, von dem anfangs nicht alle überzeugt waren.
Und Faeser fand deutliche Worte. Hessens CDU-Innenminister Peter Beuth warf
sie eine „schreckliche Sprache einer kaltherzigen Bürokratie“ vor. Dass der
Hanauer Polizeinotruf nicht nur in der Tatnacht, sondern seit Jahren
unterbesetzt und technisch veraltet war, nannte sie eine „organisierte
Verantwortungslosigkeit“. Die Landespolizei forderte sie zu mehr
Kommunikation mit den Opferfamilien auf. Sie habe gehofft, dass die
Sicherheitsbehörden nach dem NSU und Lübcke-Mord schon viel weiter seien,
sagte sie. Hanau aber habe gezeigt: „Es braucht offenbar noch sehr viel
Bewusstseinsveränderung in unseren Behörden.“
Dabei suchte Faeser immer wieder den Kontakt zu den Betroffenen, lotste
auch Olaf Scholz im Sommer 2021 zur Familie Kurtović. Dem erschossenen Vili
Viorel Păun, der den Attentäter noch verfolgt hatte, attestierte Faeser
eine „beeindruckende Zivilcourage“. Ajla Kurtović, die Schwester von Hamza,
ließ sie von ihrer Partei als Wahlfrau zur Bundespräsidentenwahl
aufstellen.
Faeser selbst weiß, wie rechte Bedrohung aussieht. Zwei Mal erhielt sie
rechtsextreme „NSU 2.0“-Drohschreiben. „Ich werde mich niemals
einschüchtern lassen“, antwortete sie darauf. Und den Hanau-Opfern gab sie
ein Versprechen: „Wir schulden den Angehörigen die Aufklärung. Das ist eine
Frage des Vertrauens in unseren Staat.“ Auch für viele andere Menschen, die
von Rassismus betroffen seien.
Es ist ein Versprechen, das Faeser auch am Mittwoch im Bundestag
erneuerte. Bis heute seien zum Hanau-Anschlag „noch viel zu viele Fragen
offen“. Sie wolle für mehr Transparenz sorgen, es brauche „einen Staat, der
handelt und Konsequenzen zieht“. Schon in ihrer ersten Rede als
Innenministerin hatte sie sich direkt an Serpil Temiz-Unvar gewandt, die in
Hanau ihren Sohn Ferhat verlor. „Wir werden Ihre Kinder nie vergessen“,
versprach Faeser ihr. „Und wir werden alles tun, um die Menschen, die in
unserem Land bedroht und angegriffen werden, besser zu schützen.“
Es ist eine Opferperspektive, die man so von Faesers CSU-Vorgänger Horst
Seehofer eher nicht hörte. Serpil Temiz-Unvar erreichten diese Worte. „Das
war ein positives Signal“, sagt sie. „Und es ist eine Chance, dass wir nun
gehört werden und wirklich zusammenarbeiten gegen den Rassismus in der
Gesellschaft.“ Und auch Said Etris Hashemi sagte, er sei froh, dass Faeser
nun Innenministerin sei. „Wir setzen da sehr viel Hoffnung rein.“
Aber noch bleibt offen, wie viel Faser wirklich bewegen kann. Am Mittwoch
führte die Bundesregierung schon mal einen Nationalen Gedenktag für
Terroropfer ein, den 11. März. Die Opferfamilien verdienten mehr Empathie,
sagte Faeser dazu. Ihr Aktionsplan aber ist bisher nur Ankündigung.
Rechtsextreme Netzwerke sollen zerschlagen, die Szene entwaffnet, ihre
Finanzströme ausgetrocknet werden.
Zudem sollen Extremisten schneller aus dem öffentlichen Dienst fliegen und
das lange geforderte Demokratiefördergesetz kommen. Leicht wird all das
nicht. Mit der Waffenrechtsreform scheiterte schon Seehofer in der letzten
Legislatur. Und die Zahl der Rechtsextremen mit legalen Waffen stieg
zuletzt. Die Entlassung von Beamten hat hohe Hürden. Und um rechtsextreme
Finanzströme aufzudecken, bräuchte es wohl mehr Ermittlungs- oder
Überwachungsbefugnisse.
Und dazu kommt der Gegenwind von rechts. Am Mittwoch scheute sich die Union
nicht, Faeser selbst in der Hanau-Gedenkstunde des Bundestags noch einmal
für ihren VVN-BdA-Beitrag zu attackieren. Schon zuvor geschah dies hinter
den verschlossenen Türen des Innenausschusses, gemeinsam mit der AfD.
Diesmal aber soll Faeser, die anfangs die Vorwürfe nur als „durchschaubar“
zurückwies und schwieg, zurück ausgeteilt haben.
Was dieser Reflex solle, ständig einen Extremismus gegen den anderen in
Stellung zu bringen, soll sie laut Teilnehmern gesagt haben. In ihrer
heutigen Rolle würde sie den Beitrag nicht mehr schreiben. Inhaltlich aber
– es ging schlicht um die NSU-2.0-Drohserie – sei daran nichts auszusetzen.
Und zudem: Unterschrieb nicht auch jüngst Hessens CDU-Finanzminister
Boddenberg zusammen mit der VVN-BdA einen Erklärung gegen den rechten
Corona-Protest?
Kritik aus Sicherheitsbehörden
Tatsächlich kommt der Vorwurf, Faeser stehe Linksextremen nahe,
überraschend. Denn in ihrem hessischen SPD-Landesverband zählte Faeser zum
rechten Flügel, stellte sich immer wieder vor die Polizei, kritisierte
Angriffe auf Polizisten im besetzten Dannenröder Forst scharf und arbeitete
früher als Anwältin in einer Wirtschaftskanzlei im Frankfurter
Bankenviertel, nicht gerade eine Bastion des Antikapitalismus.Und auch die
von Union und AfD geübte Kritik an Faesers angekündigter liberalerer
Migrationspolitik ignoriert, dass die Sozialdemokratin auch „konsequente
Rückführungen“ und einen Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex forderte
– und auch mit Seehofer auf EU-Ebene schon eine Allianz aufnahmebereiter
Staaten schmieden wollte.
Gefährlicher für Faeser ist dagegen, dass diese Kritik auch aus einer der
Sicherheitsbehörden durchgestochen wurde. Offensichtlich fremdeln dort noch
einige mit ihrem Kurs. Tatsächlich rumort es etwa an der Spitze der
Bundespolizei, weil bereits seit Wochen über eine Ablösung von Präsident
Dieter Romann, der schon Merkels Asylpolitik kritisierte, spekuliert
wird.Faeser machte am Mittwoch indes eine Ansage, die auch dorthin zielen
dürfte: Man müsse sich nun an eine Frau an der Spitze des Innenministeriums
„mit klarer Haltung“ gewöhnen.
Mit ihrer Fahrt nach Hanau setzt Faeser nun das nächste Zeichen. Seehofer
reichte im vergangenen Jahr noch ein kurzer Tweet zum ersten Jahrestag des
Anschlags. Faeser fährt nun direkt nach Hanau, will dort eine Rede halten,
die Hinterbliebenen treffen – an einem Wochenende, wo sie auch zur Münchner
Sicherheitskonferenz hätte fahren können. Es ist ein Zeichen, das durchaus
notiert wird. „Sie ist mit dem Herzen dabei“, sagt Armin Kurtović. „Und …
weiß, welche Probleme es in Hessen gibt und dass etwas passieren muss. Ich
habe Hoffnung, dass mit ihr wirklich etwas besser wird.“ Diese Hoffnung
teilen auch Said Etris Hashemi und Serpil Temiz-Unvar. Für Faeser ist das
eine Chance – aber auch ein Anspruch, an dem sie gemessen wird.
17 Feb 2022
## LINKS
[1] /Neue-Erkenntnisse-zum-Attentat-in-Hanau/!5820850
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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