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# taz.de -- Gedenktag für Terroropfer: Die Geste war längst überfällig
> Am 11. März soll in Deutschland künftig an Terroropfer erinnert werden.
> Ein wichtiger Schritt. Bislang wurden Angehörige der Opfer
> vernachlässigt.
Bild: Durch den Anschlag am Berliner Breitscheidplatz 2016 starben 13 Menschen
Terror ist meist laut, er ist sichtbar. Leise wird es später, wenn der
erste Schrecken vorbei ist, wenn es um die Opfer und Hinterbliebenen geht.
In Deutschland kümmert man sich um sie bisher wenig. Ab diesem Jahr soll
der 11. März nationaler Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt
werden, das entschied das Bundeskabinett diese Woche. Er werde ein Tag der
Erinnerung, des Mitgefühls, aber auch der Mahnung sein, mit aller
Entschlossenheit gegen terroristische Bedrohungen vorzugehen, [1][sagte
Bundesinnenministerin Nancy Faeser]. Und: „Wir wollen, dass die Opfer nie
vergessen werden.“
In der EU ist der 11. März schon lange Gedenktag. Er erinnert an die
islamistischen Anschläge in Madrid 2004, bei denen 191 Menschen getötet
wurden. In Deutschland hat der Tag bislang wenig Beachtung bekommen.
München, Berlin, Halle, Hanau und Dresden. Fünf Orte, die nicht nur eine
Geschichte von Terror und Verlust erzählen, sondern auch von politischem
Versagen. Bei der rechtsterroristischen Mordserie des NSU wurden Täter über
Jahre im Umfeld der Angehörigen gesucht; sie kämpften gegen die falschen
Verdächtigungen. Während [2][Angehörige der Opfer vom Breitscheidplatz]
noch Krankenhäuser abklapperten auf der Suche nach ihren Kindern,
Ehepartnern, Freunden, andere von Sicherheitsleuten an der Tür zur
Gedächtniskirche abgewiesen wurden, saß Angela Merkel mit
Politiker:innen und Prominenten beim Gedenkgottesdienst.
In Hanau kritisierten Angehörige, dass Beamte ihnen die Todesnachrichten
empathielos überbrachten; später warteten sie lange auf die Freigabe der
Leichen. Nach dem Anschlag in Halle konnte [3][der Kiez-Döner nur durch
Spenden überleben], von der Politik gab es zunächst nur leere Worte,
Händeschütteln.
## Es fehlen noch immer Opferfonds
„Terror richtet sich nicht nur gegen Einzelne, sondern gegen die gesamte
Gesellschaft“, [4][schreibt die Bundesregierung heute]. Sie hat
dazugelernt. In Reaktion auf den Anschlag vom Breitscheidplatz wurde 2018
Edgar Franke erster Opferbeauftragter des Bundes. Am Ende seiner Amtszeit
präsentierte er seinen Abschlussbericht: Härteleistungen für Opfer wurden
erhöht, auch rückwirkend und somit für Hinterbliebene des rechtsextremen
NSU-Terrors. Ein wichtiger Schritt.
Doch bis heute gibt es nicht in allen Bundesländern einen Opferfonds. Immer
noch müssen sich Betroffene mit bürokratischen Hürden herumschlagen, wie
die 24-jährige Ella Paravyan kürzlich [5][im Tagesspiegel] schilderte.
Paravyan überlebte den islamistischen Anschlag 2016 in Nizza. Sie ist
seitdem schwer traumatisiert, muss um Unterstützung kämpfen. Weil das
Attentat im Ausland stattfand, war der Opferbeauftragte nicht einmal für
sie zuständig.
In die Uni musste sie sich einklagen, als Härtefall lehnte man sie ab. Dass
Terror unterschiedliche Spuren hinterlassen kann, offensichtliche, durch
körperliche Verletzungen, und unsichtbare, also psychische Verletzungen,
wird im bürokratischen System übersehen. Paravyan sagt: „Wenn du nicht auf
Medikamenten bist oder in der Klapse sitzt, nehmen die Leute das nicht
ernst. Ja, ich habe äußerlich keinen Kratzer, aber wie sieht es in mir
aus?“
Vor dem Terror am Breitscheidplatz warnten Sicherheitsbehörden bereits vor
einem möglichen großen Anschlag in Deutschland. Auf die Opfer und
Hinterbliebenen aber bereitete man sich nicht vor. Immerhin wurden Fehler
zugegeben. Manche Fragen bleiben aber: Warum kennen wir oft die Namen der
Täter, aber nicht die der Opfer? Warum tun sich Politiker schwer,
ehrliche Gesten der Anteilnahme zu finden? Wo bleibt die Empathie?
Der 11. März ist ein wichtiger symbolischer Anfang, der nicht nur eine
Erinnerung an die Verpflichtung sein sollte, angemessen mit Opfern und
Hinterbliebenen von Terror umzugehen, sondern auch daran, diesen zu
verhindern.
19 Feb 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/NancyFaeser/status/1493896338681044996?s=20&t=80XGe…
[2] /1-Jahrestag-Breitscheidplatz-Anschlag/!5468019
[3] /Antisemitischer-Anschlag-von-Halle/!5803902
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/opferbeauftragter-1725186
[5] https://plus.tagesspiegel.de/gesellschaft/schwer-traumatisiert-aber-unverle…
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Kolumne Grauzone
Terror
Rechtsextremismus
Islamismus
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Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
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