| # taz.de -- Interview mit Opferbeauftragten Kober: „Behörden müssen sich er… | |
| > Deutschland begeht erstmals einen Gedenktag für Terroropfer. Der | |
| > Bundesopferbeauftragte Kober fordert, der Staat müsse mehr auf Betroffene | |
| > zugehen. | |
| Bild: Fordert mehr Zugehen des Staates auf Terrorbetroffene: der Bundesopferbea… | |
| taz: Herr Kober, am Freitag wird in Berlin [1][erstmals der Nationale | |
| Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt] begangen. Warum ist das ein | |
| nötiges Zeichen? | |
| Pascal Kober: Terroristische Anschläge richten sich gegen die ganze | |
| Gesellschaft. Der Anschlag ist für den Täter Mittel zum Zweck, um seinen | |
| perversen Protest gegen die demokratische Grundordnung auszudrücken. Dem | |
| setzen wir ein Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen entgegen: Die | |
| Opfer sind nicht allein, wir stehen zu ihnen. Wir sind uns bewusst, dass | |
| wir durch diese Taten als Gesamtgesellschaft getroffen sind und deshalb | |
| eine Verantwortung haben. | |
| Der Gedenktag wurde [2][erst Mitte Februar von der Bundesregierung | |
| eingeführt]. Warum gab es ihn nicht schon früher? | |
| Ich bin erst seit Jahresbeginn im Amt und kann das aus heutiger Sicht nicht | |
| vollständig erklären. Die Europäische Union hat bereits 2005 einen | |
| entsprechenden Gedenktag eingeführt. In Deutschland gab es dagegen lange | |
| eine Sprachlosigkeit des Staates gegenüber Opfern terroristischer Gewalt. | |
| Das hat sich erst mit dem [3][Anschlag auf dem Breitscheidplatz 2016] | |
| verändert. Erst da begangen Diskussionen über einen besseren Opferschutz. | |
| Damals wurde mit [4][Kurt Beck] ein Ansprechpartner für die Opfer auf | |
| Bundesebene benannt. Er und sein Nachfolger Edgar Franke haben bereits | |
| vieles bewirkt. Die Einführung des Gedenktags war ein logischer nächster | |
| Schritt. Das Land hat einen Lernprozess durchgemacht. Ich kann es nur | |
| begrüßen, dass der Staat heute den Opfern so beiseite steht: Dass er die | |
| Betroffenen wahr und ernst nimmt und ihnen die zustehende Unterstützung | |
| gewährleistet. | |
| Auf dem Gedenktag werden Sie oder Bundesinnenministerin [5][Nancy Faeser] | |
| sprechen. Terroropfer selbst werden jedoch nicht vor Ort sein. Warum nicht? | |
| Es war mir und der Koalition wichtig, dass dieser Gedenktag schon in diesem | |
| Jahr begangen wird. Das haben wir umgesetzt, in einem kleinen Rahmen – was | |
| einerseits der Corona-Pandemie geschuldet ist, andererseits der kurzen | |
| Vorbereitungszeit. Ich habe diejenigen Betroffenen, die mit unserer | |
| Geschäftsstelle in Kontakt stehen, angeschrieben und ihnen angekündigt, | |
| dass sich dies im kommenden Jahr ändern wird. Am Freitag wird Frau Petra | |
| Terhoeven von der Universität Göttingen sprechen, die zur Rolle von | |
| Terroropfern in modernen Gesellschaften forscht. Sie kann natürlich nicht | |
| für die Opfer sprechen, aber sie wird deren Perspektive einbringen. | |
| Zuletzt beklagten die Opfer des Hanau-Anschlags, dass sie nach der Tat von | |
| Behörden [6][schlecht behandelt und kaum informiert] wurden. Ähnliches | |
| hörte man auch nach den Anschlägen in Halle, auf dem [7][Breitscheidplatz] | |
| oder beim [8][NSU-Terror]. Warum wiederholt sich das immer? | |
| Jeder Anschlag stellt die Behörden vor neue Herausforderungen. Es ist aber | |
| wichtig, aus den Erfahrungen Schlüssen zu ziehen und Verbesserungen zu | |
| erreichen. Das genau ist meine Aufgabe. Ich möchte zum einen, dass die | |
| Beteiligten – Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichtsmedizin oder | |
| Versorgungsämter – besser geschult werden im Umgang mit traumatisierten | |
| Terroropfern. Und dass sie frühzeitiger das Gespräch mit den Betroffenen | |
| suchen, um ihr Handeln zu erklären und sich, wenn nötig, auch für Fehler | |
| entschuldigen. Der Rechtsstaat muss sich an bestimmte Grundsätze halten, | |
| aber er hat auch die Aufgabe, diese den Opfern zu vermitteln. So muss etwa | |
| Angehörigen gut erklärt werden, warum es wichtig ist, dass ein Todesopfer | |
| obduziert wird. | |
| Genau das passierte in Hanau nicht. | |
| Genau das passierte in Hanau nicht. Ja, die Kommunikation mit den | |
| Betroffenen dort hätte besser laufen müssen. Der hessische Innenminister | |
| etwa hat bis heute nicht mit den Opfern gesprochen. Es gab | |
| Missverständnisse und Verletzungen. Und das müssen wir dringend vermeiden, | |
| um das Vertrauen der Betroffenen in unseren Rechtstaat nicht zu | |
| erschüttern. | |
| Viele Terrorbetroffene beklagen auch eine überbordende Bürokratie bei | |
| Hilfsanträgen. Was kann dagegen getan werden? | |
| Hier muss und kann tatsächlich etwas getan werden. Wir brauchen einen Abbau | |
| dieser Bürokratie und einen einfacheren Zugang zu Hilfen. Das Ziel muss es | |
| sein, dass die zuständigen Stellen sich in Fallkonferenzen organisieren und | |
| selbst auf die Betroffenen zugehen, um sie über Hilfsangebote informieren – | |
| wie es heute etwa bei Unfallkasse geschieht. Wichtig sind auch dauerhafte | |
| Ansprechpartner. Damit wäre schon viel erreicht. | |
| Viele Opfer leiden ihr Leben lang unter der Tat, können teils nicht mehr | |
| arbeiten. Braucht es mehr finanzielle Unterstützung für sie? | |
| Die finanziellen Hilfen sind wichtig und zuletzt wurden ja auch die | |
| Härteleistungen bereits verdreifacht. Zudem gibt es inzwischen auch in | |
| mehreren Ländern Entschädigungsfonds, weitere sind in Planung. Das ist eine | |
| wichtige Entwicklung, weil mit den Geldern auch unbürokratisch geholfen | |
| werden kann. | |
| Aber braucht es nicht mehr als einmalige Zahlungen, etwa eine Grundrente | |
| auch für Terroropfer? | |
| Wir müssen uns immer den Einzelfall anschauen und wo finanzielle Hilfen | |
| nötig sind, sollten wir diese ermöglichen. Grundsätzlich sollte es aber | |
| unser Ziel sein, den Menschen Hilfen zu bieten, die ihnen eine Rückkehr ins | |
| Leben und den Berufsalltag ermöglichen. Entscheidend sind da etwa | |
| psychotherapeutische Angebote oder Traumatherapien, und das auf fachlich | |
| hohem Niveau. | |
| Betroffene beklagen auch immer wieder einen [9][mangelnden | |
| Aufklärungswillen der Behörden] nach den Terrortaten und fehlende | |
| Fehlereingeständnisse. Was kann sich hier ändern? | |
| Gerade die Opfer des Hanau-Anschlags haben diesen Punkt sehr deutlich | |
| gemacht. Und ich sehe auch, dass dieser Punkt für die Verarbeitung der Tat | |
| und des eigenen Traumas von großer Bedeutung ist. Es kann sein, dass nach | |
| solchen Taten nicht alles aufzuklären ist. Aber dann gilt, was ich eingangs | |
| sagte: Die Behörden müssen sich erklären und, wo nötig, auch entschuldigen. | |
| Wir dürfen die Betroffenen nicht mit offenen Fragen zurücklassen, das hat | |
| fatale Auswirkungen. Da tragen wir alle eine Verantwortung. | |
| 11 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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