# taz.de -- Kritik an Gedenken zum Hanau-Anschlag: „Hätten uns das anders ge… | |
> Vor dem Gedenken zum Hanau-Anschlag gibt es Unmut von Hinterbliebenen. | |
> Freunde seien nicht eingeladen worden, auch Bouffier steht in der Kritik. | |
Bild: Gedenken am in Hanau zum 1. Jahrestag des rassistischen Anschlags | |
HANAU/BERLIN taz | Es wird ein hochrangig besuchtes Gedenken. Am | |
Samstagvormittag wollen Bundesinnenministerin [1][Nancy Faeser (SPD)], | |
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und andere | |
Politiker:innen auf dem Hanauer Hauptfriedhof dem [2][rassistischen | |
Anschlag in der Stadt vor zwei Jahren] gedenken. Doch kurz vorher gibt es | |
Unmut unter einigen Hinterbliebenen: Mehrere Verwandte der Mordopfer und | |
Freunde können nicht an der Veranstaltung teilnehmen. | |
Organisiert haben das Gedenken die hessische Staatskanzlei und die Stadt | |
Hanau. Geladen sind auf den Hauptfriedhof – wo die Mordopfer Hamza | |
Kurtović, Said Nesar Hashemi und [3][Ferhat Unvar] beerdigt sind –, neben | |
Politiker:innen die direkten Angehörigen der Mordopfer und | |
Religionsvertreter:innen. Bouffier, Faeser und Hanaus Oberbürgermeister | |
Claus Kaminsky (SPD) wollen Kränze ablegen und Reden halten. Auch mehrere | |
Betroffene sollen sprechen. Aber die Teilnahme ist begrenzt: auf 100 | |
geladene Gäste. | |
Daran gibt es nun Kritik – auch weil die Opferfamilien davon spät erfuhren. | |
„Wir werden am Samstag nicht mit allen, die wollen, gemeinsam auf dem | |
Hanauer Friedhof sein können“, heißt es in einer aktuellen Erklärung der | |
Initiative 19. Februar, in der sich Hinterbliebene der Anschlagsopfer und | |
Unterstützer:innen engagieren. „Viele, die sonst an jedem 19. an | |
unserer Seite sind, bleiben durch die Auflagen des Landes Hessen | |
ausgeschlossen.“ | |
Seit der „kurzfristigen Bekanntgabe“ der Auflagen gebe es zahlreiche | |
Nachfragen, berichtet die Initiative. „Darauf zu reagieren fällt schwer und | |
schmerzt. Wer eingeladen wird und wer nicht, das haben wir, die | |
Familienangehörigen, nicht entscheiden können.“ Und: „Wir hätten uns das | |
anders gewünscht.“ | |
## „Ich weiß nicht, wie ich das den Leuten erklären kann“ | |
Said Etris Hashemi, der Bruder des ermordeten Said Nesar Hashemi, hatte | |
bereits am Dienstag in einem [4][Onlinegespräch mit Innenministerin Faeser] | |
und SPD-Chef Lars Klingbeil beklagt, dass viele Freund:innen und selbst | |
ein Überlebender des Attentats, auf den geschossen wurde, nicht zu dem | |
Gedenken eingeladen seien. Das mache ihn „traurig und auch ein bisschen | |
wütend“, sagte Hashemi. „Ich weiß nicht, wie ich das den Leuten erklären | |
kann.“ | |
Der Überlebende soll inzwischen doch zu dem Gedenken eingeladen worden | |
sein. Aber der Unmut bleibt. Die hessische Staatskanzlei ließ eine Anfrage | |
zu der Gedenkveranstaltung zunächst unbeantwortet. Die Stadt Hanau | |
begründete den eingeschränkten Teilnehmerkreis mit der Coronapandemie und | |
dem begrenzten Platz auf dem Friedhof. Die Veranstaltung sei aber über den | |
städtischen Opferbeauftragten mit den Hinterbliebenen abgestimmt, auch was | |
die Einladungen angehe, versicherte eine Sprecherin. Allen direkten | |
Angehörigen der Opfer werde die Teilnahme ermöglicht. „Wir gehen nach | |
Möglichkeit auf die Wünsche der Opferfamilien ein.“ | |
Aus dem Kreis der Initiative hält man indes dagegen, dass der Friedhof | |
durchaus Platz für mehr Teilnehmende biete und man mit Masken und | |
Impfnachweisen für Infektionsschutz sorge. Einige Betroffenen kritisierten | |
zudem, dass überhaupt der Friedhof für das Gedenken ausgewählt wurde. | |
Dieser sei ein Ort der Trauer, nicht der politischen Reden. Von der Stadt | |
heißt es dazu, man habe den Friedhof gewählt, eben weil er „ein Ort des | |
Trauerns und des Innehaltens“ sei. Zudem sei dort mehr Platz als in der | |
Congresshalle, in der das letztjährige Gedenken stattfand. | |
## Bouffier schon länger in der Kritik | |
Zudem regte sich Kritik auch am angekündigten Auftritt von Bouffier. | |
Angehörige hatten ihn und Innenminister Peter Beuth (CDU) immer wieder | |
kritisiert und beiden mangelnden Aufklärungswillen zu dem Anschlag | |
vorgeworfen. So seien bis heute Fragen zum [5][kaum erreichbaren Notruf] in | |
der Tatnacht oder [6][einem verschlossenen Notausgang] an einem der Tatorte | |
ungeklärt. Auch habe sich die Landesregierung wenig empathisch mit den | |
Opferfamilien gezeigt. | |
Emis Gürbüz, die Mutter des erschossenen Sedat Gürbüz, nannte Bouffier im | |
hessischen Untersuchungsausschuss zu dem Anschlag „herzlos, gefühllos, | |
eiskalt“. Und auch [7][Serpil Temiz-Unvar], Mutter des ermordeten Ferhat | |
Unvar, beklagte am Freitag in einem Offenen Brief an die Bundesregierung, | |
dass die Hinterbliebenen „fast zwei Jahre von den Verantwortlichen in | |
Hessen mit Worten vertröstet, aber doch wie Menschen zweiter Klasse | |
behandelt wurden“. Bis heute fehle es an Aufklärung. „Zwei Jahre sind | |
vergangen und noch immer warten wir auf Antworten. Antworten auf Fragen, | |
die uns quälen.“ | |
Die Initiative 19. Februar verweist nun auch auf Gedenken, die am Samstag | |
auf den Friedhöfen in Offenbach und Dietzenbach stattfinden sollen, wo die | |
Mordopfer Mercedes Kierpacz und Sedat Gürbüz beerdigt sind. Dort könne man | |
„gemeinsam gedenken“. Zudem sei dies auch auf einer Demonstration am | |
Nachmittag in Hanau und bei Gedenken am Abend an den zwei Tatorten in der | |
Stadt möglich. Auch in vielen weiteren Städten wollen Initiativen am | |
Samstag mit Demonstrationen und Kundgebungen an den Anschlag erinnern. | |
## Hinterbliebene fordert Aufklärung und Gedenken | |
Serpil Temiz-Unvar setzt in ihrem Offenen Brief aber auch Hoffnung in den | |
hessischen Untersuchungsausschuss. Und auch mit der neuen Bundesregierung | |
gebe es nun die Chance, dass sich etwas ändere. „Seit ein paar Monaten | |
sprechen wir endlich über Rechtsextremismus“, schreibt sie. Die Veränderung | |
stehe aber „noch am Anfang und muss weitergehen“. | |
So brauche es Aufklärung nicht nur zum Hanau-Anschlag, sondern auch zu | |
anderen rassistischen Taten der vergangenen 30 Jahre. „Wagen Sie einen | |
Neuanfang, rollen Sie die Geschichten neu auf“, appelliert Temiz-Unvar an | |
die Regierung. „Denn Hanau war nicht der Anfang.“ Die Opfer müssten gegen | |
Rechtsextremismus verteidigt und endlich angemessen entschädigt werden. | |
„Unterstützen Sie uns bei unserem Kampf für Aufklärung und Gerechtigkeit in | |
Hanau – und darüber hinaus.“ | |
Bei dem Anschlag in Hanau hatte ein 43-Jähriger [8][am 19. Februar 2020 | |
neun Menschen in drei Bars und einem Kiosk erschossen]: Ferhat Unvar, Hamza | |
Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan | |
Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Danach tötete… | |
auch seine Mutter und sich selbst. Zuvor hatte er in Schreiben und Videos | |
einen Verfolgungswahn und rassistisches Gedankengut offenbart. | |
18 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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