| # taz.de -- Neue Erkenntnisse zum Attentat in Hanau: Sie hätten fliehen können | |
| > Hätte ein geöffneter Notausgang die Opfer des Hanau-Attentats retten | |
| > können? Laut einer Untersuchung wäre dieser jedenfalls erreichbar | |
| > gewesen. | |
| Bild: Said Etris Hashemi erhob am Montag im hessischen Untersuchungsausschuss V… | |
| Hanau/Berlin taz | Es gab für die fünf Personen in der Hanauer Arena Bar | |
| scheinbar keinen Ausweg. Als am späten Abend des 19. Februar 2020 der | |
| Attentäter Tobias R. die Bar betrat, flüchteten sie sich in eine Ecke. | |
| Schutz vor den Schüssen bot das nicht, zwei junge Männer wurden tödlich | |
| verletzt: Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Dabei hätte es auch einen | |
| Notausgang gegeben. Der aber, so sagten mehrere der Anwesenden später, | |
| [1][sei schon lange verschlossen gewesen]. | |
| Die Gruppe Forensic Architecture, ein Team von Wissenschaftler:innen | |
| aus Berlin und London, die Menschenrechtsverletzungen nachgehen, haben nun | |
| mithilfe der Aufnahmen von sechs Videokameras aus der Bar den Tatablauf | |
| noch einmal detailliert untersucht. Hätten die fünf Männer fliehen können, | |
| wenn der Notausgang offen gewesen wäre? Ihre Antwort: Sie hätten. | |
| Vor den Morden in der Arena Bar hatte Tobias R. bereits sieben Menschen mit | |
| Migrationsgeschichte [2][in einem benachbarten Kiosk und einer Shisha Bar] | |
| in der Hanauer Innenstadt erschossen. Die Bundesanwaltschaft schloss erst | |
| vor wenigen Tagen [3][ihre Ermittlungen dazu ab]: Das Motiv sei klar | |
| rassistisch gewesen, Tobias R. ein Einzeltäter. | |
| ## Erst nach Anzeige der Familien wurde ermittelt | |
| Die Angehörigen aber fragen sich bis heute, ob der Anschlag [4][nicht hätte | |
| verhindert werden oder weniger Opfer haben können]. Die Frage des | |
| verschlossenen Notausgangs gehört dazu. Ermittelt wurde hierzu erst nach | |
| einer Strafanzeige von Opferanwälten. Die Staatsanwaltschaft Hanau hatte | |
| die Ermittlungen [5][im August jedoch eingestellt]: Es sei weder sicher, ob | |
| der Notausgang tatsächlich verschlossen war, noch ob die Getöteten | |
| überhaupt die Chance hatten, zu dem Ausgang zu gelangen. | |
| Forensic Architecture sieht nun zumindest Letzteres belegt. Beauftragt | |
| wurde die Gruppe von der Opferanwältin Seda Başay-Yıldız und der Initiative | |
| 19. Februar, in der Betroffene und Unterstützer:innen aktiv sind. | |
| Anhand der Bilder der Überwachungskameras [6][erfassten und simulierten sie | |
| die Bewegungen der damals fünf Anwesenden] – vom Moment, in dem diese | |
| erstmals den Attentäter wahrnehmen bis zu dessen Betreten der Bar. | |
| Das Ergebnis: Wären sie nicht in die hintere Ecke gelaufen, sondern zum | |
| Notausgang und wäre dieser offen gewesen, hätten es alle Fünf rechtzeitig | |
| aus der Bar geschafft. Nach der Berechnung hätten sie dafür neun Sekunden | |
| Zeit gehabt – das hätte gereicht. Einzig der letzte der Fünf wäre dann noch | |
| für einen Sekundenbruchteil im Blickfeld des Täters gewesen, aber auch er | |
| bereits acht Meter entfernt. Es sei daher „extrem unwahrscheinlich“, dass | |
| er noch getroffen worden wäre, so die Forscher:innen. | |
| Die Staatsanwaltschaft verweist in ihrer Einstellungsverfügung dagegen | |
| darauf, dass der Notausgang nahe des Bareingangs lag und die Flüchtenden | |
| somit erstmal in Richtung des nahenden Täters hätten rennen müssen – alle | |
| aber hätten sich „von der Gefahrenquelle weg“ bewegt. Die Behörde sah auch | |
| nur ein Zeitfenster von fünf bis sechs Sekunden für die Flucht – was | |
| Forensic Architecture nun widerlegt sieht. | |
| ## Für die Staatsanwaltschaft ist ungeklärt, ob die Tür zu war | |
| Für die Staatsanwaltschaft ist zudem ungeklärt, ob der Notausgang | |
| tatsächlich überhaupt verschlossen war. Zeugen hätten sich dazu | |
| widersprüchlich geäußert. So hatten Stammgäste der Bar ausgesagt, dass der | |
| Notausgang seit Jahren fast immer verschlossen war, was allseits bekannt | |
| gewesen sei. Einige behaupteten gar, dies sei im Einvernehmen mit der | |
| Polizei geschehen, um Fluchtversuche bei Drogenrazzien zu verhindern. Auch | |
| ein Polizist hatte in einem Protokoll festgehalten, dass der Notausgang | |
| „bei der Tatortaufnahme verschlossen“ war. Und in einem Polizeivideo war zu | |
| sehen, wie ein Beamter versuchte, die Tür zu öffnen – was nicht gelang. | |
| Andere Zeugen hatten dagegen den Ermittlern berichtet, dass die Tür | |
| durchaus gelegentlich oder dauerhaft offen gewesen sei. Auch der | |
| Barbetreiber erklärte, dass diese nur manchmal klemme. Vor | |
| Polizeibeamt:innen hatte er sie mit kräftigem Anlehnen geöffnet | |
| bekommen. Auch das Bauamt habe der Bar zuletzt keine baurechtlichen Mängel | |
| attestiert, so die Staatsanwaltschaft. Und für eine Anweisung der Polizei, | |
| den Notausgang zu verschließen, gebe es keine Belege. Die | |
| Staatsanwaltschaft hielt darauf fest, dass „nicht mit letzter Gewissheit | |
| geklärt“ sei, ob die Tür in der Tatnacht nun verschlossen war. | |
| ## Bruder des Toten erhebt Vorwürfe in Ausschuss | |
| Am Montag betonte dagegen auch Said Etris Hashemi, der Bruder des | |
| erschossenen Said Nesar Hashemi, im hessischen Untersuchungsausschuss zu | |
| dem Anschlag, es sei allen bekannt gewesen, dass der Notausgang | |
| verschlossen war. Wäre er offen gewesen, hätte man eine Chance aufs | |
| Entkommen gehabt. Hashemi war damals selbst in der Bar und wurde schwer am | |
| Hals verletzt. Er übergab dem Ausschuss den Bericht von Forensic | |
| Architecture und forderte, der Sache weiter nachzugehen. | |
| Im Ausschuss schilderte er auch, wie er nach der Tat auf einer | |
| Rettungsliege von Sanitätern als „Schutzschild“ benutzt worden sei, als es | |
| fälschlich hieß, der Täter sei wieder da. Auch habe die Polizei den | |
| Krankenwagen erstmal nicht zum Krankenhaus fahren lassen. Warum, wisse er | |
| nicht, so der 25-Jährige. Zudem habe er später eine Art Gefährderansprache | |
| von der Polizei erhalten, sich vom Vater das Attentäters fernzuhalten, der | |
| weiter in Tatortnähe wohnt – während ausgerechnet dieser Schreiben an | |
| Behörden verschickte, in denen er [7][die Opfer rassistisch beleidigte]. Da | |
| habe er sich gefragt, wer hier eigentlich wen schütze, sagte Hashemi. | |
| 20 Dec 2021 | |
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| [6] https://vimeo.com/657458962 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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