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# taz.de -- Aktivistin über die „Letzte Generation“: „Die größtmöglic…
> Die Blockaden der Klimaaktivist:innen der „Letzten Generation“
> gehen weiter. Aimée van Baalen über die Symbolik, Ziele und Grenzen der
> Aktionen.
Bild: Die „Letzte Generation“ blockiert Ende Januar die Auffahrt der Autoba…
taz: Frau van Baalen, warum [1][blockiert man als Essensretter*in eine
Autobahn]?
Aimée van Baalen: Wir brauchen momentan die größtmögliche Störung, diesen
symbolischen Stopp, um Politik und Menschen darauf aufmerksam zu machen,
auf welche Katastrophe wir gerade zusteuern. Wir müssen endlich anfangen,
darüber nachzudenken, welche Schritte wir jetzt sofort machen können, damit
wir in Zukunft nicht in einer zwei, drei oder vier Grad wärmeren Welt
leben.
Die Verschwendung von Lebensmitteln, die Sie anprangern, steht da wirklich
an allererster Stelle?
Wir fordern von der Bundesregierung ein Essen-retten-Gesetz. Das würde
denen zugutekommen, die sich Nahrungsmittel schon jetzt nicht mehr leisten
können. 1,6 Millionen Menschen sind bereits auf die Tafeln angewiesen,
darunter 400.000 Kinder, und die Zahlen steigen, während die Ernteerträge
leider fortlaufend sinken. Lebensmittelverschwendung bedeutet aber auch,
dass durch die Überproduktion für den Konsumenten sinnlos CO2 produziert
und unsere Böden strapaziert werden. Deshalb ist unsere zweite zentrale
Forderung die nach einer Agrarwende, um den absoluten Klimakollaps zu
verhindern.
Laut Umweltbundesamt macht die Verschwendung von Lebensmitteln jährlich nur
etwa vier Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland aus. Ist das nicht doch
ein sehr kleiner Fokus, den Sie da setzen?
Die Lebensmittelverschwendung ist ein leichtes Ziel, das sofort umgesetzt
werden kann. Es gibt einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf der
Klimaorganisation German Zero, und der Blick nach Frankreich, wo es seit
2016 ein Essen-retten-Gesetz gibt, zeigt, dass es funktioniert. Menschen
können das nachvollziehen, dass es keinen Sinn macht, Nahrungsmittel
wegzuwerfen, wenn sie noch genießbar sind.
Angenommen, das Gesetz käme jetzt sofort – dann wäre doch trotzdem für das
Klima noch nicht viel gewonnen. Sie müssten also nahtlos weiterblockieren,
um Ihren hohen Ansprüchen zu genügen.
Natürlich brauchen wir einen Systemwandel, und wir wollen die Politik auch
weiterhin dazu anhalten, unsere Lebensgrundlage zu sichern. Die
Klimakatastrophe ist ja schon vor unserer Haustür angekommen, wie die Flut
im Ahrtal gezeigt hat, und wir können es uns nicht mehr leisten,
wegzuschauen und keine Maßnahmen zu ergreifen. In jedem Fall würden wir
aber erst mal von der Straße gehen, wenn die Politik verspricht, das
Essen-retten-Gesetz umzusetzen und sofortige Maßnahmen für eine Agrarwende
zu ergreifen.
Ein Versprechen ist jetzt aber nicht allzu belastbar.
Natürlich ist so ein Gesetz nicht innerhalb von zwei Tagen umgesetzt, das
wissen wir auch. Deswegen werden wir der Politik erst mal vertrauen, wenn
wir ein öffentliches Versprechen bekommen.
Glauben Sie, dass die genervten Leute im Stau den Zusammenhang herstellen,
dass es beim Thema Lebensmittelverschwendung eigentlich ums große Ganze
geht?
Es ist für viele eine Störung, und ich kann verstehen, dass sie genervt von
uns sind. Ich spüre den Unmut. Aber ein Blick in die Geschichte zeigt, dass
massive Störungen des Alltags – zum Beispiel die Proteste der
Frauenrechtsbewegung – auch zu großen Veränderungen geführt haben. Wir
wollen aber auch gar nicht den einzelnen Bürger, die einzelne Bürgerin
adressieren.
Warum nicht?
Es wird von der Politik viel auf den Einzelnen abgewälzt. Letztendlich
brauchen wir einen Wandel, der von politischen Entscheidungen herrührt. Wir
müssen kollektiv eine zukunftstaugliche Veränderung anstreben.
Müssen Sie nicht vielmehr gerade jede und jeden Einzelne*n überzeugen, um
kollektiv etwas zu erreichen?
Wir können nicht kontrollieren, was ein Privathaushalt wegwirft. Wir
könnten aber schnell und flächendeckend per Gesetz kontrollieren, was ein
großer Supermarkt an Lebensmitteln entsorgt. Das wäre ein großer
Fortschritt.
Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat gesagt, man gewinne „ganz
sicher keine gesellschaftlichen Mehrheiten, wenn man Krankenwägen, Polizei
oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert“.
Es geht nicht darum, jeden einzelnen davon zu überzeugen, dass unsere
Protestform richtig ist. Es geht darum, die Menschen zu informieren, in was
für einem Notstand wir uns befinden und die Politiker*innen dazu
anzuhalten, endlich die Wahrheit zu sagen.
Aber kommt diese Information bei der Erzieherin an?
Ich wünsche es mir, aber ich weiß es natürlich nicht. Ja, unsere Forderung
wird nicht den Klimakollaps aufhalten, da machen wir uns nichts vor. Aber
es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, weil wir die unnötigste
aller Emissionen einsparen. Selbst wenn Menschen diese Verbindung nicht
herstellen, verstehen sie, dass es auch unter sozialen Gesichtspunkten
nicht gut sein kann, Essen wegzuwerfen.
KritikerInnen sagen, dass Sie Menschenleben gefährden, wenn Sie etwa
Rettungswege blockieren.
Natürlich machen wir uns Gedanken darüber. Aber wir haben den Konsens, dass
wir auf jeden Fall eine Gasse bilden, wenn ein Rettungswagen durchmuss, und
natürlich wählen diese Wagen auch immer die schnellste Route, um zum
Krankenhaus zu kommen. Wenn die sehen, dass da schon ein Stau herrscht,
nehmen sie eine andere.
Es gab die Meldung, eine Schwangere auf dem Weg zur Entbindung in ihrem
privaten Pkw sei im Stau stecken geblieben und schließlich von der Polizei
mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren worden.
Wir stehen in Kontakt mit der Polizei, damit sie uns Bescheid sagt und wir
diese Menschen durchlassen können. Menschenleben sind immer wichtiger als
der Protest. Andererseits provoziert die Politik aktuell, dass Millionen
oder, global gesehen, Milliarden Menschen sehr viel größeren Bedrohungen
ausgesetzt sein werden.
Ist Ihre Bewegung durch die Protestaktionen in den letzten zwei Wochen
eigentlich gewachsen?
Wir sind auf jeden Fall mehr geworden. Die Blockaden haben in Berlin
angefangen, jetzt blockieren wir auch in Freiburg, Stuttgart, Hamburg und
München aktiv. In Berlin sind pro Blockadeort etwa 13 Personen aktiv im
zivilen Widerstand.
Wie gehen Sie mit der Kritik um, da protestierten vor allem junge
Mitglieder einer weißen, akademischen Mittelschicht?
Ich kann das nicht wirklich nachvollziehen. Wir sind keine akademische
Initiative, das ist gut durchmischt. Es machen Menschen über 60 bei uns mit
und auch Menschen, die eher aus dem Arbeitermilieu kommen. Wir hätten gerne
auch mehr PoC bei uns und würden sie sehr gern integrieren, wenn sie sich
bei uns melden würden.
Müssten Sie nicht eher aktiv auf Leute zugehen?
Das versuchen wir. Unsere Container-Aktionen zum Beispiel haben auch viele
Menschen aus dem Globalen Süden angezogen, die sich solidarisch mit uns
erklärt haben.
Sie selbst waren jetzt bei einigen Blockaden in Berlin dabei. Können Sie
kurz erklären, wie Sie persönlich diese Aktionen erleben?
Ich gehe ängstlich dorthin, weil ich weiß, in was für eine unangenehme
Situation ich mich begebe. Da sind Menschen, die sehr hart auf mich
reagieren. Das macht Angst, aber ich weiß, wofür ich es tue und dass es das
Richtige ist. Deswegen gehe ich zugleich gefasst auf einen solchen Protest.
Bisher wurde ich einmal festgenommen.
Haben Sie sich auch schon mal angeklebt?
Bei diesen Protesten bislang nicht, denn das ist wirklich sehr belastend.
Wobei es emotional auch sehr belastend ist, wenn wir uns vorstellen, wie es
uns und unseren Familien in 20 Jahren gehen wird. Wir haben nur noch drei
bis vier Jahre, um diese Zukunftsvision zu verändern.
Weitaus ungefährlicher und inhaltlich nicht abwegig wäre es, sich vor ein
Ministerium oder ein Kohlekraftwerk zu setzen.
Wir haben das schon getan. Wir haben im Regierungsviertel gestanden, wir
haben vor Kraftwerken gestanden, wir haben uns laut gemacht und teilweise
auch blockiert. Und wir haben gesehen, dass die Politik solche Proteste
einfach ignoriert.
Sie glauben, das wird auf der Autobahn anders?
Wir sehen zumindest, dass es einen größeren Diskurs darüber gibt, und
hoffen, dass die Politik wahrnimmt, dass viele Menschen Angst vor dem
Klimawandel und seinen Folgen haben. Viele Menschen haben Panik, ihre
Kinder in diese Welt zu entlassen, in eine Zukunft, in der man eigentlich
nicht leben möchte.
Das erinnert an die Stimmung in den 1980ern, als Menschen Straßen
blockierten, um gegen das atomare Wettrüsten zu protestieren. Auch diese
globale Bedrohung ist heute wieder ganz real – aber bei Ihnen kein Thema.
Ausgeweitet ist es eigentlich genau unser Thema. Wenn die Ressourcen
weltweit immer knapper werden und Menschen deshalb ihre Heimat verlassen
müssen, ist das ein sehr wahrscheinlicher Grund für kriegerische Konflikte,
neben den aktuellen Ereignissen, die wir leider nicht so richtig
beeinflussen können. Natürlich wollen wir die Unversehrtheit aller Menschen
gesichert sehen.
Haben Sie schon mal daran gedacht, dass solche polarisierenden Aktionen dem
Klimaschutz auch schaden könnten?
Das denke ich nicht. Das sieht man auch, wenn man in die Vergangenheit
schaut. Die Proteste, die Martin Luther King angeführt hat, haben stark
polarisiert, viele Menschen haben gesagt, das werde dem Thema eher schaden.
Letztendlich sind aber immer mehr Menschen darauf aufmerksam geworden und
die Politik hat verstanden, dass hier ein Unrecht behoben werden muss.
Die Innensenatorin hat ein härteres Vorgehen gegen Sie angekündigt.
Beeindruckt Sie das?
Wir machen auf jeden Fall weiter, einige von uns sind auch bereit, ins
Gefängnis zu gehen. Wir stehen komplett hinter der Sache und lassen uns
nicht einschüchtern. Ich glaube auch nicht, dass die Politiker*innen
mit gutem Gewissen Mütter und Väter einsperren können, die sich für das
Leben ihrer Kinder einsetzen. Vor allem, wenn sich dies durch einen
wissenschaftlich fundierten Klimaschutz vermeiden ließe.
Ziehen Sie eigentlich weitere Eskalationsstufen in Betracht? Ist Gewalt
gegen Dinge, also Sabotage, auch ein künftiges Mittel für Ihren Widerstand?
Unsere Protestform ist das nicht, wir ziehen dort eine Linie. Die
Geschichte hat uns gezeigt, dass Protest friedlich bleiben muss, in der
Sprache, gegenüber Menschen und ebenso gegenüber Gegenständen.
Und morgen geht es wieder auf die Straße?
Ja.
14 Feb 2022
## LINKS
[1] https://letztegeneration.de/
## AUTOREN
Anna Klöpper
Claudius Prößer
## TAGS
Letzte Generation
Lebensmittelrettung
IG
Schwerpunkt Fridays For Future
U-Bahn Berlin
Innensenatorin Iris Spranger
Lebensmittelverschwendung
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Autobahn
Schwerpunkt Klimawandel
A100
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