# taz.de -- Dresen-Film über den Fall Kurnaz: Laut und verletzlich | |
> Der Fall Murat Kurnaz inspirierte Andreas Dresen zu seiner neuen | |
> Tragikomödie. „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ läuft im | |
> Berlinale-Wettbewerb. | |
Bild: Bernhard Docke (Alexander Scheer) und Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) in Wa… | |
Die Frau haut so schnell nichts um. Rabiye Kurnaz ist laut, herzlich, | |
aufdringlich und erst auf den zweiten Blick ebenso verletzlich. Gespielt | |
von der Komikerin Meltem Kaptan, schrammt sie hart am Klischee entlang und | |
gern über jegliche Begrenzungsmarkierungen hinweg. | |
Das macht sie zum unbestrittenen Kraftzentrum von [1][Andreas Dresens] Film | |
„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der sich dem Fall des für fünf Jahre | |
ohne Anklage in Guantánamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz aus der | |
Perspektive seiner Mutter nähert. | |
Als Rabiye Kurnaz zu Beginn des Films erfährt, dass ihr Sohn im November | |
2001 ohne ein Wort in Richtung Karatschi abgereist ist, ahnt sie schnell, | |
dass der Imam der Bremer Abu-Bakr-Moschee dahintersteckt. Auch wenn dieser, | |
von ihr zur Rede gestellt, alles abstreitet. Dann hört sie im Januar 2002 | |
das Wort „Guantánamo“ und dass Murat Kurnaz dort festgehalten werde. Sie | |
nimmt sich einen Anwalt. | |
[2][Mit Bernhard Docke] bringt Dresen einen sehr hanseatischen Gegenpart | |
ins Spiel. Alexander Scheer gibt den engagierten Menschenrechtsanwalt, der | |
in gut Bremer Manier mit dem Rad bei Gericht vorfährt, mit passabler Bremer | |
Diktion und der gebotenen Steifheit. Ein bisschen zu eindeutig vielleicht | |
ist er der ausgeglichene Pol zur kaum beziehungsweise nicht zu bremsenden | |
Rabiye Kurnaz. Das wäre alles ein bisschen viel des Guten, wenn Dresen die | |
Konstellation bloß statisch nutzen würde. | |
## Etwas mehr offene Kritik wär angebracht gewesen | |
Doch an entscheidenden Stellen zieht Dresen seiner Hauptfigur buchstäblich | |
den Stecker. In einer Szene, Kurnaz und Docke sind in Washington, wo das | |
titelgebende Verfahren am Supreme Court ansteht, sitzen sie in einer Bar, | |
Kurnaz schnattert förmlich drauflos, während Dockes Blick ständig zum | |
Fernseher wandert. | |
Als Kurnaz fragt, was das für ein Mann sei, der da auf einem Block steht, | |
eine spitze Haube über seinem Gesicht, und wenig später lernt, [3][was sich | |
hinter dem Namen Abu Ghraib verbirgt], fällt ihr zuvor noch mit Lachfalten | |
gespanntes Gesicht in sich zusammen. | |
Man fragt sich gleichwohl, ob diese halbe Wohlfühlform für die Geschichte, | |
die Dresen erzählen will, die beste ist. Der eigentliche Skandal des Falls, | |
die deutsche Beteiligung an dem sich scheinbar ohne erkennbaren Grund | |
hinziehenden Verfahren, taucht im Film in wohldosierten Andeutungen am Rand | |
auf, bestimmte Namen werden aber nicht genannt. | |
Der von [4][Frank-Walter Steinmeier] etwa, dem nicht bloß manche Bremer bis | |
heute verübeln, wie dieser in seiner Eigenschaft als Kanzleramtsminister | |
Murat Kurnaz hat hängenlassen. Zur Wiederwahl Steinmeiers als | |
Bundespräsident wäre so ein Hinweis im Film zum richtigen Zeitpunkt | |
gekommen. | |
14 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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