# taz.de -- Im Gespräch mit einer Impfgegnerin: Sabine hofft auf Omikron | |
> Die Impffrage spaltet. Umso mehr gilt es, im Gespräch zu bleiben, findet | |
> unsere Autorin. Sie traf Sabine – die ist ungeimpft und will es bleiben. | |
Wäre ich mit Sabine in einem Café oder einem Geschäft zufällig ins Gespräch | |
gekommen, es hätte sich wohl schnell ein vertrautes Gefühl eingestellt. Wir | |
leben beide im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, sind beide | |
ungefähr Mitte 40 und Akademikerinnen. Wir haben beide zwei Kinder. Sabine | |
hat früher im Kulturbereich gearbeitet und will jetzt Lehrerin werden, ich | |
kenne einige, die wie sie in den Lehrerjob wechseln. Sabine hatte lange die | |
taz abonniert, ich arbeite bei der taz. | |
Wir haben also viel gemeinsam. Und doch stehen wir auf verschiedenen | |
Seiten. Denn Sabine ist ungeimpft und will es auch bleiben. | |
So sitzen wir an einem Nachmittag Mitte November, getestet und mit Abstand, | |
ganz oben im taz-Haus. Nach einem ruhigen Sommer steigt die Inzidenz in | |
diesen Wochen deutlich, vor allem in Sachsen, Thüringen und Bayern. Das | |
Unverständnis gegenüber Leuten wie Sabine ist groß, auch in der | |
taz-Redaktion, auch bei mir. In politischen Talkshows wird hart diskutiert, | |
in den sozialen Medien über die „Schwurbler“ und „Covidioten“ geschimp… | |
Die Impfgegner:innen wiederum verhöhnen die Mehrheit, die blind der | |
Pharmalobby folge. Die Spaltung geht durch Freundeskreise und Familien. Ist | |
bei privaten Begegnungen jemand nicht geimpft, steht schnell ein | |
unangenehmes Schweigen im Raum. Weil man schon ahnt, dass ein Austausch | |
schwierig würde und die Entfremdung offensichtlich. | |
Sabine und ich wollen versuchen, miteinander zu reden. Einmal, vielleicht | |
auch mehrmals. Sie hat den Eindruck, dass Impfkritiker:innen in den | |
Medien zu wenig Gehör finden. Ich wiederum habe Fragen: Sieht sie | |
angesichts der vielen Ungeimpften auf den Intensivstationen nicht, dass die | |
Entscheidung gegen das Impfen schwere Folgen hat für alle? Was meint sie, | |
wie wir aus der Pandemie jemals herauskommen sollen, wenn nicht durchs | |
Impfen? Ich möchte auch verstehen, wie sich der gesellschaftliche Druck auf | |
Sabines Leben auswirkt. Was es im Alltag inzwischen heißt, ungeimpft zu | |
sein. | |
Wir wissen beide nicht, ob das Gespräch entgleisen wird. Es steht keine | |
Freundschaft auf dem Spiel. Wir sehen uns an diesem Tag zum ersten Mal, | |
eine Bekannte hat den Kontakt vermittelt. | |
„Tragen wir weiter Maske oder nicht?“, frage ich. In Strickjacke und Jeans | |
sitzt Sabine mir gegenüber. Die langen Haare hat sie hinten | |
zusammengebunden. Sie lacht. „Ich habe keine Angst vor Corona“, sagt sie, | |
ihretwegen könnten wir die Masken ruhig abnehmen. Wir duzen uns | |
automatisch. Sabine heißt in Wirklichkeit anders. Weil Impfgegner:innen | |
derzeit angefeindet werden, trägt sie in diesem Text einen anderen Namen. | |
Sabine wirkt umgänglich und freundlich. Sie redet ruhig, selbst wenn sie | |
etwas empört. Dann zieht sie missbilligend die Augenbrauen zusammen. Zum | |
Beispiel, wenn sie über 2G spricht. Wir hätten uns für das Gespräch nicht | |
in einem Café treffen können, weil sie nicht mehr hinein darf. Das | |
empfindet sie als Schikane. „Wir müssen draußen bleiben, als wären wir | |
Hunde.“ | |
Normalerweise geht Sabine regelmäßig ins Schwimmbad. Als Jugendliche hatte | |
sie einen Autounfall beim Trampen, dabei hat sie sich den Rücken gebrochen. | |
„Ich brauche das Schwimmen, sonst habe ich Schmerzen.“ Doch auch das Bad | |
ist ab Mitte November nur noch mit Impfnachweis zugänglich. „Das ist für | |
mich wirklich ein Verlust.“ | |
Für 2G gibt es Gründe. Delta ist im November die verbreitete | |
Coronavariante. Wenn Ungeimpfte weniger Kontakte haben, gibt es weniger | |
schwere Verläufe, die Kliniken werden dann nicht so schnell überlastet. | |
Geimpfte [1][infizieren sich bei Delta] zudem seltener und sind, wenn sie | |
sich doch infizieren, kürzer ansteckend als Ungeimpfte, heißt es vom Robert | |
Koch-Institut. | |
Sabine sagt, sie lasse sich immer testen, um Ansteckungen zu vermeiden. | |
„Damit habe ich kein Problem.“ So aber fühlt sie sich ausgegrenzt. „Wir | |
diskriminieren jetzt nicht mehr nach Hautfarbe oder nach Geschlecht, | |
sondern nach Lebensentscheidung.“ Sich doch impfen zu lassen, um ins | |
Restaurant oder ins Bad zu können, kommt für sie nicht in Frage. „Ich lasse | |
mich nicht erpressen.“ | |
Sabine hat ein gespaltenes Verhältnis zur herkömmlichen Medizin. Sie hatte | |
früher mit einer chronischen Entzündung zu kämpfen. Antibiotika und | |
Kortison halfen irgendwann nicht mehr, die Ärzte sagten ihr, sie sei | |
austherapiert. Sie wandte sich an eine Homöopathin, danach ging es ihr | |
besser, erzählt sie. „Ich kann das auch nicht erklären, aber ich bin total | |
glücklich, dass ich seitdem wieder ein funktionierendes Immunsystem habe.“ | |
Impfungen seien eine tolle Erfindung, sagt sie, doch immer auch ein | |
Eingriff. Ihre Kinder hat sie gegen Masern impfen lassen, aber nicht gegen | |
Mumps und Röteln. „Bisher war es immer möglich, dass ich selber einen Weg | |
finden durfte.“ | |
Dann kam Corona. Die Bilder aus Bergamo hätten sie getroffen, sagt Sabine. | |
Die Lockdowns hielt sie für notwendig. „Ich dachte auch, dass ich mich wohl | |
impfen lassen muss.“ Das änderte sich im vergangenen Jahr. Sie hatte im | |
Sommer das Studium fertig und hörte Podcasts von Biologen und Medizinern | |
aus den USA. Bei Youtube stieß sie auf ein Video über Ivermectin, ein | |
Medikament, das normalerweise zur Behandlung von Krätze oder Würmern | |
eingesetzt wird. Ivermectin helfe auch sehr gut bei Covid, hieß es in dem | |
Video. Kurz darauf wurde es gelöscht. | |
## Der Hype um Ivermectin | |
Tatsächlich gab es 2021 in den USA einen Hype um Ivermectin. Eine Gruppe | |
von Ärzten pries das Medikament als Wunderwaffe gegen Corona, es wirke auch | |
präventiv. Weder die WHO noch die amerikanische Gesundheitsbehörde | |
bestätigen bis heute eine Wirksamkeit. Trotzdem besorgten sich viele | |
US-Amerikaner das Arzneimittel und nahmen es, in Kliniken mussten Menschen | |
[2][wegen Vergiftungen] behandelt werden. | |
Es gibt also Gründe, warum Beiträge über den angeblichen Nutzen des | |
Medikaments gelöscht wurden. Sabine aber machte die „Zensur“, wie sie es | |
nennt, misstrauisch. Sie suchte und fand weitere positive Berichte über | |
Ivermectin, die kurz darauf entfernt wurden, und war bald überzeugt, dass | |
Ivermectin hilft, aber diese Information unterdrückt werden soll. „Das ist | |
auch total leicht zu erklären: Mit einem Medikament, das schon lange auf | |
dem Markt ist, ist kein Geld zu machen.“ | |
Sabine glaubt, dass es ein wirksames Medikament gibt, dass Politik und | |
Wissenschaft dieses Mittel den Menschen aber vorenthalten, weil der | |
Patentschutz längst abgelaufen ist und es – anders als die Impfung – keinen | |
Profit bringt. Dass Biontech und Pfizer an der Impfung verdienen, stimmt. | |
Aber glaubt Sabine wirklich, dass die Impfung allein aus Geschäftsgründen | |
durchgesetzt wird? Die Pharma-Lobby sei stark, sagt sie, ihr erscheine das | |
plausibel. | |
Sabine beschäftigte sich auch mit den mRNA-Impfstoffen, die sie sehr | |
kritisch betrachtet: „Man kann das guten Gewissens eine Gentherapie | |
nennen“, sagt sie. Gentherapie hieße, dass die DNA im Zellkern verändert | |
würde. Das sei sehr unwahrscheinlich, heißt es dazu [3][vom | |
Paul-Ehrlich-Institut], dafür bestehe „kein erkennbares Risiko“. Sabine | |
überzeugt das nicht. Sie sagt: „Das möchte ich mir erst mal ein paar Jahre | |
angucken.“ | |
In der Gesellschaft ist Sabine mit dieser Haltung in der Minderheit. Sie | |
muss sich gegen Kritik wappnen, vielleicht liest sie deshalb so viel zum | |
Thema. Nicht nur in den gängigen Medien, auch auf Seiten wie dem | |
Onlinemagazin Multipolar. Dort findet man Artikel darüber, dass die Medien | |
hauptsächlich Regierungspropaganda lieferten oder dass die Zahl der | |
Coronapatienten in den Krankenhäusern massiv übertrieben sei. | |
Auch in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis ist Sabine eine Ausnahme. Ihr | |
Mann will sich wie sie nicht impfen lassen, ihre engsten Freunde sind | |
jedoch geimpft. „Sie finden es legitim, dass ich es nicht möchte“, erzählt | |
sie. Wenn sie sich treffen, testet sich Sabine vorher, selbst wenn die | |
Freunde das nicht von ihr verlangen. | |
Es gibt auch andere Erlebnisse, etwa mit ihrer Nachbarin. Die Kinder sind | |
im gleichen Alter, Sabine wurde sonst immer zu ihrem Geburtstag eingeladen. | |
Dieses Jahr nicht. „Darf ich keine andere Meinung mehr haben? Das hat mich | |
echt getroffen“, sagt sie. | |
Sabine hat traditionell die Grünen gewählt. Im September, als in Berlin | |
Bundestag und Abgeordnetenhaus gewählt wurden, nicht mehr. „Das ging gar | |
nicht. Die Grünen haben so gehetzt. Sie haben alle, die sich nicht impfen | |
lassen wollen, als faul und dumm dargestellt.“ Es erschrecke sie, dass sie | |
ihre Position bei Corona am ehesten von der AfD vertreten sehe, die würde | |
sie nie wählen. Sabine verteilte ihre Stimmen schließlich auf Die Partei | |
und die Linkspartei. „Was Sahra Wagenknecht sagt, kann ich zu hundert | |
Prozent unterschreiben.“ | |
Es ist kalt in dem Raum, in dem wir sitzen, ich muss niesen. „Ich könnte | |
jetzt Angst haben, dass du irgendwas hast. Man darf ja nicht mal mehr | |
husten, ohne dass der neben einem böse wird“, sagt Sabine. Sie glaubt, dass | |
die Angst vor Corona die Gesellschaft verändert. „Das ist wie bei Kindern. | |
Du kannst Kindern Angst machen, dann gehorchen sie eher. Aber langfristig | |
hast du ein verängstigtes Kind.“ | |
Sie verweist auf ein [4][Papier des Innenministeriums] vom März 2020. | |
Tatsächlich formulierte die Bundesregierung darin, dass man den Menschen | |
Angst machen müsse, damit Corona nicht verharmlost werde. Um „die | |
gewünschte Schockwirkung zu erzielen“, solle die „Urangst“ des Erstickens | |
bedient werden, heißt es unter anderem. [5][Die taz hat damals] über das | |
Papier berichtet. Auch mich befremden solche Formulierungen, Angst ist kein | |
gutes Mittel in der Politik. Ich wende aber ein, dass die Regierung zu | |
Beginn der Pandemie nicht wusste, wie schlimm es noch werden würde. | |
Wir diskutieren auch über die Situation in den Kliniken. Die Mehrheit der | |
Menschen auf den Intensivstationen ist ungeimpft, sie sind eine enorme | |
Belastung für Pflegende und Ärzte, sage ich. Wichtige Behandlungen und | |
Operationen werden ihretwegen verschoben. Wer sich nicht impfen lässt, | |
gefährdet also nicht nur das eigene Leben. Wie kann sie das verantworten?, | |
möchte ich wissen. Sabine bezweifelt die Statistiken, sie betont, dass auch | |
viele Geimpfte auf den Intensivstationen liegen. Eine Überlastung habe es | |
nicht gegeben, behauptet sie. Und wenn die Kliniken doch vor der | |
Überlastung stünden, müsse man das Gesundheitssystem besser ausstatten, | |
statt Betten abzubauen. | |
Es geht hin und her, bei diesem Thema wirkt Sabine auf mich etwas | |
unsicherer als zuvor. Am Ende verweist sie auf sich selbst. „Ich bin nicht | |
70 Jahre alt, ich bin kein Raucher, ich habe keine Vorerkrankungen. Mein | |
Risiko, auf der Intensivstation zu landen, ist nicht besonders hoch. Dann | |
möchte ich bitte selbst entscheiden, ob ich mir eine neumodische Medizin | |
spritzen lasse oder nicht.“ Sollte Corona sie erwischen, habe sie sich zur | |
Sicherheit Ivermectin besorgt, das würde einen schlimmeren Verlauf | |
verhindern. | |
Während des Gesprächs wird mir klar, dass sich die Fragen, die mich | |
umtreiben, aus Sabines Sicht erübrigen. Für sie ist Corona eine große | |
Panikmache. Sie geht davon aus, dass es längst ein Medikament gibt, mit dem | |
schwere Verläufe und die Überlastung der Kliniken verhindert werden | |
könnten. Deshalb wäre eine Impfung für sie auch kein Akt der Solidarität, | |
wie viele Linke argumentieren. In ihren Augen könnte man Corona einfach | |
laufen lassen, das wäre ihr Weg aus der Pandemie. Das Problem sind für sie | |
die Politiker:innen, die den Interessen der Pharmalobby folgen, wie auch | |
immer das genau aussehen mag, und die durch die Einschränkungen Druck | |
machen auf Ungeimpfte wie sie. | |
Nach über zwei Stunden gehen wir an diesem Nachmittag auseinander. Wir | |
haben uns nicht gestritten. Aber jede ist bei ihrem Standpunkt geblieben. | |
## Eine Impfpflicht würde Frust erzeugen | |
Erst danach merke ich: Die Begegnung macht etwas mit mir. Als Ende November | |
in Berlin 2G auch im Einzelhandel eingeführt wird, empfinde ich keine | |
Genugtuung. Früher war der erste Gedanke: Pech für die Ungeimpften, sollen | |
sie sich halt endlich impfen lassen. Nun muss ich an Sabine denken. Sie | |
kann weder ins Schwimmbad noch ins Café und auch nicht mehr in einen | |
Klamottenladen. Weil ich weiß, dass sie die Regelungen als kränkend | |
empfindet, bleibt die Schadenfreude aus. | |
Am 30. November spricht sich Olaf Scholz, zu der Zeit noch designierter | |
Bundeskanzler, erstmals für eine Impfpflicht für alle aus. Einerseits denke | |
ich, dass es das vielleicht braucht, um Corona endlich in den Griff zu | |
bekommen. Andererseits habe ich Sabine vor Augen. Ich kann ihr bei den | |
Argumenten gegen die Impfung nicht folgen. Aber ich habe verstanden, dass | |
sie ihr zutiefst widerstrebt. Sie will selbst bestimmen, was mit ihrem | |
Körper passiert. Eine Impfpflicht würde Frust, Verzweiflung und Wut | |
erzeugen. Nicht nur bei ihr, sondern auch bei vielen anderen, die die | |
Impfung ablehnen. Ist es das wert? | |
Ich schreibe ihr eine Nachricht, „jetzt scheint es ja doch auf eine | |
Impfpflicht hinauszulaufen“. Sie antwortet prompt. „Das warten wir mal ab. | |
Da müssen ja so einige Gesetze ausgehebelt werden.“ | |
Wir wollen uns im Dezember wieder verabreden, aber finden keinen Termin. | |
Delta geht um in diesen Wochen, gleichzeitig wächst die Sorge vor der neuen | |
Variante Omikron. Ich ergattere einen Termin für eine Boosterimpfung und | |
freue mich. | |
Ich möchte mehr wissen über Ivermectin, das Medikament, auf das Sabine | |
setzt, und telefoniere mit zwei Forscherinnen des Universitätsklinikums | |
Würzburg. Die Biologin Stephanie Weibel und die Ärztin Maria Popp haben im | |
Sommer die vorhandenen Studien zu Ivermectin ausgewertet. „Wir mussten | |
viele Studien ausschließen, die nicht den Qualitätsstandards klinischer | |
Forschung entsprachen“, sagt Popp. Mal habe es keine geeignete | |
Vergleichsgruppe gegeben, mal seien die Patienten nicht per Zufallsprinzip | |
in die Gruppen verteilt worden. | |
In den verbliebenen Daten fanden sie keine Hinweise darauf, dass Ivermectin | |
den Zustand von Erkrankten verbessert oder die Zahl der Todesfälle | |
reduziert. Mehrere neue Studien wurden seit dem Sommer publiziert. Weibel | |
sagt: „Auch die gehen in die Richtung, dass Ivermectin keinen Effekt hat.“ | |
Drei große Studien seien zudem in Arbeit, unter anderem von der Universität | |
Oxford. | |
An einem Nachmittag Mitte Januar klappt es dann doch mit einem Treffen. Die | |
Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 428, besonders viele Infektionen gibt es | |
inzwischen in der Impfhochburg Bremen und in Berlin. Ich verabrede mich mit | |
Sabine wieder in der taz. Sie trägt einen Rock und gemütliche Lederstiefel. | |
Sabine erzählt, dass sie wegen 2G an Weihnachten vor allem Socken und | |
Mützen verschenkt habe, die gab es im Sortiment des Bio-Supermarktes. Dinge | |
online zu bestellen lehnt sie ab. Weil sie nicht mehr schwimmen gehen kann, | |
habe sie etwas zugenommen seit unserem letzten Treffen. | |
Ich frage sie, ob unser Gespräch auch bei ihr etwas ausgelöst habe. Sie | |
sagt, es mache ihr Hoffnung, dass sich überhaupt noch jemand für die andere | |
Seite und ihre Kritik am Impfen interessiere. „Die Aufgabe der Medien ist | |
die Kontrolle der Macht. Ich finde, die kommt einfach zu kurz.“ | |
Sie redet schneller als beim ersten Gespräch, auch ihr Ton ist schärfer. | |
Das liegt vor allem an den Problemen, die ihre Kinder inzwischen wegen des | |
Impfthemas haben. Die Jüngere steht vor dem Wechsel an die Oberschule, sie | |
will sich an einer Schule in der Nähe bewerben. Beim Vorstellungsgespräch | |
sind aber nur geimpfte Eltern zugelassen. „Ich lasse mich testen, ich bin | |
nicht krank, das ist doch absurd“, sagt Sabine. Sie hat eine Freundin | |
gefragt, ob sie die Tochter begleitet. „Aber welchen Einfluss hat das auf | |
die Aufnahme?“ Ihre Tochter will wegen des Ärgers inzwischen nichts mehr | |
von der Schule wissen. Dabei hatte ihr das Profil eigentlich gefallen. | |
Die große Tochter wiederum plant ein Auslandsjahr. Das Vorbereitungstreffen | |
fand gerade statt, für Jugendliche ab 14 galt 2G, sie konnte nicht hin. | |
Es ist nicht in Ordnung, wenn Kinder darunter leiden, dass ihre Eltern | |
gegen das Impfen sind. Sabines große Tochter wäre gerne geimpft, wie alle | |
anderen in ihrer Klasse. „Sie ist total verzweifelt.“ Sabines Haltung | |
erscheint mir hart. Sie könnte nachgeben, das will sie aber nicht. Sie | |
sagt: „Das Risiko meiner Tochter, schwer zu erkranken, geht gegen null.“ | |
Sie haben sich viel gestritten deshalb, man merkt, das macht auch Sabine zu | |
schaffen. Inzwischen haben sie einen Kompromiss ausgehandelt. „Wenn es bis | |
zum Sommer nicht vorbei ist, dann darf sie sich impfen lassen, aber mit | |
einem anderen als diesen mRNA-Impfstoffen.“ Mit dem Mittel Novavax, das | |
demnächst kommen soll, oder mit dem Totimpfstoff Valneva könnte sie eher | |
leben, für ihre Tochter wie für sich selbst. | |
Ich frage Sabine, ob sie angesichts des gesellschaftlichen Drucks radikaler | |
geworden ist in den vergangenen Monaten. Das Wort „radikal“ lehnt sie ab. | |
„Ich bin ja kein gewalttätiger Mensch.“ Sie habe zu einer Demo gehen | |
wollen, organisiert von Schauspielerinnen, aber die sei verboten worden. | |
„Dabei hatten sie ein Hygienekonzept. Sie haben sich auch extra von rechts | |
distanziert.“ Früher habe sie Berührungsängste mit Querdenkern gehabt, aber | |
bei den Protestdemos seien gar nicht so viele Rechte, ist sie nun | |
überzeugt. Die Medien würden das nur so darstellen. | |
Wir sprechen auch über die Impfpflicht. Sabine wirkt bei der Frage nicht so | |
empört, wie ich es erwartet habe. Sie glaube nicht, dass die Impfpflicht | |
komme, sagt sie. Die Antikörper ließen nach einer Impfung zu schnell wieder | |
nach. Sie hoffe zudem auf Omikron. „Man kann ja schlecht eine Impfpflicht | |
für einen Schnupfen durchsetzen“, sagt sie spöttisch. | |
Wir diskutieren wie beim letzten Mal über die Zahl der Ungeimpften in den | |
Kliniken. Sabine sagt, die Daten seien manipuliert worden. Während wir | |
sprechen, macht [6][eine Meldung] der Vereinigung der Intensiv- und | |
Notfallmedizin Divi die Runde. Demnach sind fast zwei Drittel der | |
Coronapatient:innen auf den Intensivstationen ungeimpft. | |
Ich erzähle ihr auch von meinem Gespräch mit den beiden Forscherinnen aus | |
Würzburg über Ivermectin. Sie hört zu und entgegnet dann, große Studien | |
würden eben von der Pharmaindustrie in Auftrag gegeben und die habe kein | |
Interesse daran, deshalb fehlten aussagekräftige Daten. Ich weise darauf | |
hin, dass auch neuere Untersuchungen zu Ivermectin keinen positiven Effekt | |
belegen, und erzähle von den laufenden großen Studien, unter anderem der | |
Uni Oxford. Sie fragt: „Und warum dauern diese Studien so lange?“ | |
Am Beispiel Ivermectin wird deutlich, was uns grundlegend unterscheidet: | |
Ich vertraue Wissenschaftler:innen wie Weibel und Popp und ihren | |
Verfahren. Ich bin überzeugt: Wenn es ein Medikament gäbe, das wirkt, dann | |
wäre es inzwischen längst anerkannt. Sabine wiederum sieht ökonomische | |
Interessen am Werke. | |
Ebenso bei der Impfung. Ich vertraue auf das Zulassungsverfahren. Sabine | |
nicht, sie fühlt sich von Wissenschaft, Politik und Medien getäuscht. | |
Skeptisch gegenüber der herkömmlichen Medizin war sie schon vor Corona, im | |
letzten Jahr ist daraus etwas viel Größeres geworden. Sie hat sich von den | |
politischen Institutionen entfremdet. | |
Dieses tiefe Misstrauen wird bleiben, wenn die Pandemie vorbei ist. Bei | |
Sabine, bei anderen Impfgegner:innen. Was aber heißt das für die | |
Gesellschaft? Wie kann ein Zusammenleben dann funktionieren? Sabine sagt: | |
„Ich wünsche mir, dass wir das aufarbeiten, die Spaltung, die Ausgrenzung. | |
Sonst haben wir es bald wieder.“ | |
Immerhin, sie spricht von „wir“. | |
Sie und ihr Mann denken auch übers Auswandern nach. Spanien würde ihnen | |
gefallen, sagt Sabine, weil dort Gerichte 2G- und 3G-Regelungen gekippt | |
haben. „Es ist nur nicht so einfach. Man kann ja nicht mal eben so gehen.“ | |
Später, auf der Treppe nach unten, gibt es einen versöhnlichen Moment. | |
Sabine seufzt. Sie sagt: „Das nervt. Hoffentlich geht das endlich vorbei.“ | |
Dass Corona bald verschwinden möge, darauf können wir uns einigen. | |
29 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2021.26.41.21… | |
[2] https://www.fda.gov/consumers/consumer-updates/why-you-should-not-use-iverm… | |
[3] https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;… | |
[4] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/co… | |
[5] /Strategiepapier-des-Innenministeriums/!5675014 | |
[6] https://www.divi.de/presse/pressemeldungen/presseinformation-daten-aus-dem-… | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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sein. |