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# taz.de -- Gesundheitssystem in der Coronakrise: Fake-Anzeigen, echter Notstand
> Impfgegner*innen haben sich dazu verabredet, falsche Inserate von
> ungeimpften Pfleger*innen zu schalten. Das Problem könnte dennoch real
> sein.
Bild: Laut RKI sind 90 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen gegen Cov…
Hannover taz | Wer am vergangenen Wochenende im Landkreis Harburg oder
Stade die Kreiszeitung Wochenblatt in die Hand nahm, konnte den Eindruck
bekommen, um die medizinische Versorgung und die Pflege stünde es sehr
schlecht. „Ungeimpft – Job in der Pflege passé“, titelte das kostenlose
Anzeigenblatt. Das sei dramatisch, kommt der ärztliche Direktor des
Krankenhauses Buchholz, Christian Pott, im Leitartikel zu Wort. „Jede
Person, die geht, wird fehlen“, so Pott weiter. Als Belege führte die
Kreiszeitung Wochenblatt in dem Text zusätzlich zwanzig Stellengesuche im
eigenen Anzeigenteil an. Ein No-Go in der Berichterstattung: Das Trennen
von Anzeigenteil und redaktionellen Inhalten ist ein journalistischer
Grundsatz.
„Krankenschwester, jahrzehntelange Erfahrung, c-impffrei, vielseitig
interessiert, sucht ab 16.03.2022 neue Herausforderung“ steht in einer
Anzeige etwa. Handynummern ließen die wenigsten Inserate auf der Suche nach
einem „neuen Wirkungsfeld“ abdrucken, lediglich anonyme Chiffren für
Rückfragen über das Anzeigenblatt. Die Inserierenden, die tatsächlich eine
Telefonnummer angaben, waren per Anruf und auch per Nachricht nicht zu
erreichen. In der Rotenburger Rundschau, deren Verbreitungskreis an den der
Kreiszeitung Wochenblatt angrenzt, finden sich in der Ausgabe vom 22.
Januar mehrere zum Teil identische Inserate.
Jede Woche werden laut Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter etwa 65,8
Millionen dieser Zeitungen gedruckt. Oftmals erreichen die kostenlosen
Printerzeugnisse auch Ecken, wo es sonst keine Lokalmedien mehr gibt. Diese
Reichweite wollen nun scheinbar Verschwörungsideolog*innen nutzen.
Ungereimtheiten rund um die vermeintlichen Stellengesuche fielen zuerst dem
RBB-Journalisten Andreas Rausch auf. Er stolperte in Bautzen [1][über 126
Inserate], abgedruckt auf einer ganzen Seite des lokalen Anzeigenblattes.
Auch im Fränkischen Boten und im Traunsteiner Tageblatt wurde inseriert.
„t-online“ berichtet, dass sich Impfgegner*innen auf Telegram
abgesprochen hätten, am 29. Januar die Heilbronner Stimme mit
Stellengesuchen zu „fluten“.
## Noch keine Kündigungen wegen der Impfpflicht
Etwa 225 Euro dürfte die Aktion bei der Kreiszeitung Wochenblatt die
Impfgegner*innen gekostet haben. Das Anzeigenblatt hat mittlerweile den
Fehler erkannt und einen Artikel über die Gesuche veröffentlicht. Am
Telefon sagte eine Redakteurin der Kreiszeitung Wochenblatt gegenüber der
taz, die Kolleg*innen in der Anzeigenabteilung bearbeiteten oft Hunderte
Anfragen. Man habe nicht mit einer derartigen Aktion gerechnet, sei
lediglich auf die hohe Anzahl an Inseraten aufmerksam geworden. Bei der
Rotenburger Rundschau dagegen sieht man erst einmal keine Probleme mit den
Anzeigen. Alle Inserierenden seien reale Personen und die Kontaktangaben
seien korrekt. Mehr könne man nicht prüfen.
Obwohl die Anzeigen falsch sind, werfen sie eine Frage auf: Ist es denn
wirklich so schlimm um das medizinische Personal bestellt, wie die Gesuche
suggerieren? Auf taz-Anfrage antworten mehrere Kliniken im
Verbreitungsgebiet der beiden Anzeigenblätter, man habe noch keine
Kündigungen wegen der branchenspezifischen Impfpflicht erhalten.
Ähnliches ergeben auch Nachfragen bei den drei großen Klinikträgern in der
niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und der Arbeiterwohlfahrt. In
den Einrichtungen von Diakovere seien beispielsweise etwa 95 Prozent der
Beschäftigten geimpft. „Wir erreichen nicht alle, aber die
Leistungsfähigkeit ist absolut gegeben und wird weiterhin gegeben sein,
sowohl im medizinischen Bereich als auch in der Altenpflege“, so Matthias
Büschking, Unternehmenssprecher von Diakovere. Man werde weiter mit allen
Angestellten sprechen und versuchen, diese zu überzeugen.
Nach einer Befragung des Robert-Koch-Instituts aus dem vergangenen Oktober
waren damals bundesweit bereits über 90 Prozent der Angestellten im
Gesundheitswesen geimpft. Vom Bundesgesundheitsministerium heißt es auf
Anfrage der taz, man gehe nicht davon aus, dass die Regelung zu Kündigungen
in größerer Zahl führe. „Es liegen keine Daten vor, ob und wie viele
Beschäftigte in Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern und
Arztpraxen aufgrund der Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht
bereits jetzt eine Arbeitslosigkeit ab Mitte März 2022 bei einer
Arbeitsagentur angezeigt haben“, heißt es weiter.
Tatsächlich könnte sich in manchen Teilen des Landes trotzdem ein echtes
Problem hinter den Fake-Gesuchen verbergen. „Wir bekommen zunehmend
Rückmeldungen aus den Mitgliedsbetrieben, dass Beschäftigte mit Blick auf
die kommende einrichtungsbezogene Impfpflicht beabsichtigen zu kündigen“,
sagt Bernd Meurer, Vorstand des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer
Dienste (BPA) gegenüber der taz. „In vielen besonders stark betroffenen
Bundesländern können wir nicht garantieren, dass die Versorgung überall
aufrechterhalten werden kann“, so Meurer. „Ohne zusätzliche Kräfte – ob…
der Bundeswehr oder aus dem Katastrophenschutz – drohen erhebliche Gefahren
für die Versorgung.“
Auch Norbert Böttcher, Geschäftsführer des Krankenhauses Buchholz, dessen
ärztlichen Direktor schon die Kreiszeitung Wochenblatt zitiert hatte, warnt
gegenüber der taz vor Problemen, wenn zehn Prozent der Angestellten
plötzlich nicht mehr beschäftigt werden dürften. Die branchenspezifische
Impfpflicht helfe nicht beim Personalmangel und führe letztendlich zu einem
Branchenwechsel derer, die sich nicht impfen lassen wollen. Böttcher
fordert als Lösung eine Gleichbehandlung aller – und damit eine allgemeine
Impfpflicht.
27 Jan 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/verrauscht/status/1484831560494981124
## AUTOREN
Michael Trammer
## TAGS
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