# taz.de -- Polnischer Politologe über SPD im Ukraine-Konflikt: „Das ist ein… | |
> Wie schaut man in Polen auf die Haltung der deutschen Politik gegenüber | |
> Russland? „Scholz wird seiner Aufgabe nicht gerecht“, sagt Piotr Buras. | |
Bild: Russischer Soldat feuert während eines Manövers in der Region Rostov ei… | |
taz am wochenende: Herr Buras, wie blickt man in Warschau auf die | |
Spannungen mit Russland? | |
Piotr Buras: Sehr besorgt. Die Ukraine ist unser Nachbar. Ein Einmarsch | |
Russlands würde einen Krieg an der Grenze Polens bedeuten. Damit ist unsere | |
Sicherheit unmittelbar betroffen. Aber es geht noch um mehr – um die | |
Sicherheitsarchitektur Europas und die Glaubwürdigkeit der Nato. Beide | |
stehen auf dem Prüfstand. Zumindest für Polen ist das die schwierigste | |
sicherheitspolitische Krise seit 1989/90. Für Europa waren die Balkankriege | |
und der Kosovo auch sehr gefährlich. Aber ich glaube, nicht einmal diese | |
Kriege wurden mit so viel Sorge beobachtet. | |
Wie unterscheidet sich die jetzige Situation mit dem russischen Aufmarsch | |
an der ukrainischen Grenze von 2014, als Russland die Krim annektierte und | |
in der Ostukraine begann, Separatisten mit Soldaten und Waffen zu | |
unterstützen? | |
Wladimir Putin hat jetzt im Dezember klipp und klar gesagt, worum es ihm | |
geht – eben nicht mehr nur um territoriale Gewinne in der Ukraine. Sondern | |
ums große Ganze, um die Regeln und Grundsätze, auf denen die europäische | |
Sicherheitsarchitektur aufgebaut ist. Er will diese Regeln umschreiben und | |
seine eigenen schaffen. Russland soll bestimmen können, was seine Nachbarn | |
zu tun und zu lassen haben. Das macht es so gefährlich. | |
Wie schätzt man vor diesem Hintergrund in Warschau die außenpolitische | |
Debatte in Deutschland ein? | |
Das Image Deutschlands als Sicherheitspartner Polens war schon in den | |
vergangenen Jahren nicht so gut. Viele sind nicht überrascht, dass | |
Deutschland in dieser Krise nicht entschlossen handelt. Verblüfft ist man | |
aber schon über die chaotische Kommunikation in Berlin. Die Bundesregierung | |
hat sehr lange nicht mit einer Stimme gesprochen. Man hat viele Meinungen | |
gehört, aber keine klare Linie gesehen. | |
Sie vermissen Führung? | |
Ja, und zwar sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch in Europa. Olaf | |
Scholz hat die Russlandpolitik zur Chefsache erklärt. Er ist dieser Aufgabe | |
aber überhaupt nicht gerecht geworden. Deutschland erhebt keinen | |
Führungsanspruch mehr in der Russlandpolitik. Egal, wie man zur Politik | |
Angela Merkels stand – es war unumstritten, dass sie die federführende | |
Person in der EU-Russlandpolitik war. Sie hat sich aktiv um den Konsens in | |
der EU gekümmert. Diese Lücke versucht nun Emmanuel Macron zu füllen. Das | |
Problem ist nicht, dass die deutsche Politik so viel schlechter als die | |
Politik anderer europäischer Länder ist. Da sind sicher einige unschlüssig. | |
Das Problem ist, dass Deutschland eine viel größere Verantwortung zukommt. | |
Ich glaube, es wird in Deutschland oft nicht wirklich begriffen, wie groß | |
diese Verantwortung ist und welche Erwartungen aus ihr erwachsen. | |
Deutsche Politiker verweisen oft auf die deutsche Vergangenheit. Deshalb | |
müsse man sich gerade gegenüber Russland zurückhalten. | |
Das war jahrzehntelang ein wichtiges Argument, ist aber doch längst | |
überholt. Wir haben europaweit Meinungsumfragen gemacht und ein Ergebnis | |
war ganz klar, dass die meisten Europäer Deutschland die Führungsrolle | |
zutrauen. Das ist vielleicht auch eine Konsequenz der Merkel-Ära. Sie hat | |
das Vertrauen in Deutschland massiv gestärkt. Der ehemalige polnische | |
Außenminister Radosław Sikorski hat einmal gesagt: „Deutsche Macht fürchte | |
ich heute weniger als deutsche Untätigkeit.“ Das gilt für viele in Europa. | |
In der deutschen Außenpolitik ist die Vergangenheit oft nur noch eine | |
Ausrede. Gerade auch in dem aktuellen Konflikt mit Russland. | |
Wie meinen Sie das? | |
Es geht um die Verteidigung der Ukraine, deren Menschen unter den Nazis | |
mindestens genauso gelitten haben wie die Russen. Aber es geht vor allem | |
auch um die Verteidigung von Prinzipien, die aus der Erfahrung des Zweiten | |
Weltkriegs heraus entwickelt wurden – wie etwa das Recht auf | |
Selbstbestimmung und die Unversehrtheit der Grenzen. Verantwortung | |
gegenüber der deutschen Vergangenheit bedeutet da, diese Prinzipien zu | |
verteidigen. | |
Die SPD tritt sehr zögerlich auf. Einige in der Partei plädieren mit | |
Verweis auf Willy Brandts Entspannungspolitik dafür, gegenüber Russland | |
keinen zu harten Kurs zu fahren. | |
Willy Brandt ist natürlich eine anerkannte Persönlichkeit, aber die | |
SPD-Ostpolitik hat in Polen eher einen schlechten Ruf – es wird ihr | |
unterstellt, sich vor allem auf Russland zu konzentrieren. Aus meiner Sicht | |
war die Entspannungspolitik Willy Brandts in den 1970er Jahren die richtige | |
Strategie. Nur ging es damals darum, den Status quo anzuerkennen. Und dann | |
über persönliche Kontakte und Verhandlungen zu Verbesserungen etwa bei den | |
Menschenrechten zu kommen. Heute will Wladimir Putin den Status quo | |
überwinden. Er will das Recht des Stärkeren durchsetzen. Insofern ist es | |
eine völlig andere Situation. Sich da auf eine Strategie zu berufen, der | |
ganz andere Ausgangsbedingungen zugrunde lagen, ist keine gute Idee. | |
In der SPD findet man auch die größten Befürworter der Ostseepipeline Nord | |
Stream 2. Polen hat sie von Beginn an scharf abgelehnt. | |
Das ist natürlich der größte Zankapfel zwischen Polen und Deutschland. | |
Polen wehrt sich seit Jahren gegen die Pipeline, weil es darin ein | |
außenpolitisches Instrument der Russischen Föderation sieht – ein | |
Infrastrukturprojekt, mit dem die Sicherheitslage in Europa beeinflusst | |
werden kann. Unter anderem dadurch, dass man die Gaslieferungen über die | |
Ukraine umgehen und sie so unter Druck setzen kann. Und dadurch, dass man | |
mit der Pipeline Westeuropa und vor allem Deutschland noch abhängiger von | |
russischem Gas macht. Mit diesen Warnungen fühlt man sich heute absolut | |
bestätigt. Man sagt: „Seht mal, was da passiert. Die Russen haben die | |
Gaslieferungen nach Europa gedrosselt. Die Russen sagen: Wir werden mehr | |
Gas liefern, wenn Nordstream 2 in Betrieb geht. Und sie setzen die Ukraine | |
unter Druck. Das ist genau das, was wir vorausgesagt haben.“ | |
Können Waffenlieferungen der Ukraine jetzt helfen? | |
Abschreckung ist nicht die beliebteste Strategie in Deutschland, aber sie | |
ist in diesem Fall bitter nötig. Mit anderen Mitteln können wir eine | |
Verschärfung des Konflikts nicht verhindern. Wir werden die Ukraine nicht | |
in die Nato aufnehmen, wir werden keinen Krieg führen, wir werden selber | |
keine Soldaten dahin schicken. Das ist uns klar, und das ist Putin klar. Er | |
kalkuliert aber die Kosten einer Invasion. Und diese Kosten kann man mit | |
Waffenlieferungen in die Höhe treiben. Es geht nicht darum, die Ukraine | |
militärisch genauso stark zu machen, wie es Russland heute ist. Das wäre | |
völlig illusorisch, das zu versuchen. Aber je besser die Ukraine sich | |
verteidigen kann, desto höher wären die Kosten für die russische Armee. | |
Die Bundesregierung will bisher nur mit 5.000 Helmen helfen. Man liefere | |
keine Waffen in Krisengebiete. | |
[1][Das ist, Entschuldigung, ein bisschen heuchlerisch.] 2021 war der | |
größte Käufer deutscher Waffen Ägypten, ein Land, das in den Krieg im Jemen | |
verwickelt ist und weit von demokratischen Verhältnissen entfernt. Die | |
Waffenexportgesetze verbieten solche Lieferungen nicht generell. Zur | |
Selbstverteidigung sind Ausnahmen möglich. Und man kann wirklich nicht | |
bestreiten, dass es in diesem Fall darum geht, dass die Ukraine sich | |
verteidigen will. | |
Abseits von Waffenlieferungen – was kann die EU jetzt tun? | |
Bei Sanktionen wird gern gesagt, man möchte sich noch nicht in die Karten | |
schauen lassen. Aber man sollte ein Optionspaket auf den Tisch legen, wie | |
das die Amerikaner gemacht haben. „Wir wissen noch nicht genau, was wir | |
machen werden, aber das sind unsere Möglichkeiten.“ Dass das in der EU | |
nicht vorbereitet wurde, halte ich für unverzeihlich. | |
In der EU gibt es auch auf anderen Feldern tiefgehende Risse – etwa wegen | |
Polens Justizreform. Kann man dennoch eine gemeinsame Russlandpolitik | |
hinbekommen? | |
Die Rechtsstaatlichkeitskrise in Polen ist außer der geopolitischen Krise | |
im Osten sicher die schwerste Krise der EU. Ich sehe auch hier das Problem, | |
dass Deutschlands unzulängliche Politik in Bezug auf Russland die deutsche | |
Glaubwürdigkeit in der EU untergräbt. Wenn das Ansehen Deutschlands unter | |
der Russlandpolitik leidet, ist auch die Legitimität der Ampelregierung, | |
sich in anderen Krisen entschlossener zu positionieren, viel schwächer. Die | |
Ukrainekrise ist ein Test für die Einigkeit Europas in einer fundamentalen | |
Frage. Die Europäer müssen zeigen, dass sie an einem Strang ziehen können. | |
29 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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