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# taz.de -- Gefährliche Coronaproteste: Eine rechte Massenbewegung
> Immer noch werden die „Spaziergänge“ verharmlost, dabei ist das Bündnis
> mit den Rechten brandgefährlich. Es braucht Gegenwehr. Ein
> Wochenkommentar.
Bild: Teil einer rechten Massenbewegung
Man muss sich einmal vor Augen führen, was derzeit passiert: Eine
[1][Massenbewegung], die sich vornehmlich gegen Coronamaßnahmen und eine
mögliche Impfpflicht richtet, hat bundesweit die Straßen erobert, mit
[2][zunehmender Dynamik auch in Berlin]. Angesichts der Vielzahl an
Demonstrationen ist ein Überblick kaum mehr möglich. 4.000
Demonstrant*innen bei etwa einem Dutzend Aufzügen waren es am Montag in
Berlin, landesweit dürften es deutlich mehr als 100.000
Teilnehmer*innen sein. Woche für Woche.
Sie alle ignorieren das Infektionsgeschehen, laufen ohne Masken und
Abstand, stellen also ein Risiko für sich und andere dar. Nicht überall
sind die Aufmärsche gewaltvoll, doch es vergeht kein Wochenende und kein
Montag ohne dass Polizeiketten durchbrochen, [3][Medienvertreterinnen oder
Gegenprotestierende angegangen werden].
In den Kanälen, überwiegend auf Telegram, die zu den Protesten aufrufen,
findet sich keine abwägende Kritik oder rationale Argumentation.
Stattdessen wird die gesamte Klaviatur an Verschwörungserzählungen und
antidemokratischer Hetze bespielt. Die Pandemie? Von der Pharmalobby
erfunden. Die Regierung? Gehört bestenfalls vor ein Tribunal gestellt. Die
Antifa? Gekaufte antideutsche Pfizer-Jugend. Die Liste lässt sich beliebig
fortsetzen.
Das Grundrauschen der Bewegung ist jenes der extremen Rechten; [4][deren
Kader auf allen Ebenen, oftmals in federführenden Positionen mitmischen].
Bürgerliche und gar alternative Milieus reihen sich in Aufzüge ein, die von
der NS-verherrlichenden Partei Der 3. Weg organisiert werden oder freuen
sich über den vermummten Block, der ihnen die Straße frei boxt. Sie
informieren sich mit von Nazi-Netzwerken entwickelten Online-Tools über die
Proteste und laufen Bannern der Identitäten Bewegung hinterher. Nazis sehen
sie dabei keine, schließlich demonstrieren sie für „Frieden und Freiheit“…
während ihre Nebenmänner sie dafür benutzen, genau diese Werte
abzuschaffen.
## Pegida bundesweit
Die demonstrierende Mitte macht sich nicht nur gemein mit extrem rechten
Positionen, sondern teilt und verstärkt diese. Die Massenbewegung auf
Deutschlands Straßen ist eine rechte, angesichts immer gewaltvollerer
Phantasien teilweise eine faschistische. Die extreme Rechte hat ihren
Resonanzraum in einem Maße erweitert, wie sie es sich selbst nicht zu
träumen wagte. Was einst das überwiegend lokale Phänomen Pegida war, ist
heute ein bundesweites Problem.
Es besteht wenig Grund zur Hoffnung, dass sich diese Gefahr in Wohlgefallen
auflöst, sollte der Bundestag doch keine Impfpflicht beschließen und die
Pandemie vielleicht irgendwann überwunden sein. Die Netzwerke sind
geknüpft, Menschen in den Sog von Fehlinformationen gezogen und andere
Themen, um Ängste und Wut zu kanalisieren mehr als genug vorhanden. Wer
erst mal überzeugt ist, dass Regierung und Medien sowieso systematisch
lügen, wird sich auch für Proteste gegen Klimaschutzmaßnahmen, die ebenso
als Angriff auf die persönliche Freiheit fehlinterpretiert werden können,
mobilisieren lassen.
## Problem nicht erkannt
Die nicht im Wahn von „Alternativmedien“ abgedriftete demokratische
Zivilgesellschaft und auch große Teile der Linken sind bislang nicht in der
Lage, das Problem in seiner Dramatik zu erfassen. Scheinbar ungefährliche
Bürger*innen mit Kerzen und Lichterketten lösen nicht dieselben Reflexe
und Ängste aus wie stramme Klischee-Rechte. Der Anti-Regierungs-Impuls der
Demonstrationen erweckt weniger moralische Empörung als ginge es gegen
Migrant*innen und Geflüchtete. Hinzu kommt: Das eigene Unbehagen über
eine nicht enden wollende Pandemie und Impfungen, die keinen absoluten
Schutz bieten, stimmt mit dem Impuls vieler der Demonstrierenden überein.
Doch in der Stille der schweigenden – geimpften – Mehrheit wächst das
Gefühl von Stärke und Macht der lauten Minderheit. Wo lauter Widerspruch
ausbleibt, ist man sich der eigenen Theorien noch sicherer. Und wo jede
Demo ungestört laufen kann, wird deren Dynamik noch weiter zunehmen. Die
[5][Polizei ist entweder nicht willens] oder nicht in der Lage, dem Einhalt
zu gebieten. Linke Gegenproteste werden zwar mehr, aber bleiben meist
klein. Es braucht eine Reaktion der Mehrheit, die sich die Straßen nimmt;
die es für die Coronaproteste ungemütlicher macht und damit zumindest deren
Mitläufer*innen demobilisiert. Kurzfristig.
Langfristig braucht es viel mehr: Politische Angebote für jene, die sich
mitunter auch zurecht von den Regierenden und großen Medien nicht ernst
genommen fühlen, Aufklärung über rechte Strukturen, ihre Ziele und Mittel,
die Vermittlung von Medienkompetenz. Das Knüpfen von gesellschaftlicher
Solidarität. Bleibt all das aus, werden sich [6][immer mehr Menschen in
obskure, rechte Theorien und Verschwörungen] verlieren. Verlieren wird die
Gesellschaft dann als ganzes.
15 Jan 2022
## LINKS
[1] /Proteste-gegen-Corona-Massnahmen/!5825257
[2] /Corona-Spaziergaenge-in-Berlin/!5825122
[3] /Angriffe-auf-Journalistinnen/!5825166
[4] /Freie-Sachsen-heizen-Coronaprotest-an/!5820715
[5] /Gewaltbereite-Netzwerke-im-Osten/!5818688
[6] /Ein-Jahr-nach-dem-Sturm-aufs-US-Kapitol/!5823833
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Nazis
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