# taz.de -- Corona-Spaziergänge in Berlin: Keine Masse gegen Schwurbler | |
> In Berlin kamen am Montag deutlich mehr Menschen zu Spaziergängen gegen | |
> die Coronamaßnahmen zusammen. Der Gegenprotest ist noch verhalten. | |
Bild: Stabil gegen Querdenker am Rathaus Pankow: Die Omas gegen rechts | |
BERLIN taz | In Ruf- und Sichtweite der Weltzeituhr erscheint am | |
Montagabend ein erster Demonstrant. Aus seinem Rucksack guckt ein | |
Fahnenstab, ein Polizist beäugt ihn kritisch. „Ach, ihr wollt sehen, was | |
druff ist?“, fragt er einen Beamten. Er rollt die Fahne aus, darauf das | |
abgewandelte Antifa-Logo: schwarzer Kreis, in der Mitte zwei Echsen, dazu | |
die Aufschrift „Antiverschwurbelte Aktion“. Seit fast zwei Jahren | |
protestiert der Berliner mittlerweile gegen Verschwörungsgläubige. | |
An diesem Montag geht es gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Gruppe | |
Patriotic Opposition Europe vom Alexanderplatz zum ZDF-Hauptstadtstudio. Es | |
ist einer von vielen Corona-Protestveranstaltungen an diesem Abend in | |
Berlin. Linke haben diesmal in verschiedenen Kiezen zu Gegenprotesten | |
aufgerufen. Doch die Massen lassen sich gerade nicht gegen die | |
Verschwörungsgläubigen, Impfgegner*innen und Rechten mobilisieren. | |
Der Demonstrant der „Antiverschwurbelten-Aktion“ ist enttäuscht über die | |
geringe Beteiligung der linken Szene: „Häuser, Straßen, Naziaufmärsche, da | |
sind sie da. Gerade bei der letzten Köpi-Wagenplatz-Räumung waren über | |
5.000 Mann auf der Straße. Eine Woche später ist eine Coronaleugnerdemo | |
unterwegs, da kannst du die Linken an einer Hand abzählen.“ | |
Die bundesweite Dynamik der aktuellen, vor allem durch die Debatte über | |
eine Impfpflicht losgetretenen Coronaproteste, die in Sachsen ihren Anfang | |
nahm, ist in Berlin mit Verspätung angekommen. Bis Weihnachten mobilisierte | |
die Szene insgesamt lediglich ein paar Hundert Menschen zu den lokalen | |
Kiezdemonstrationen, die man verharmlosend Spaziergänge nennt, um sich vor | |
Anmeldungen und zu starker Polizeipräsenz herumzumogeln. Zur selben Zeit | |
erreichten Aufmärsche in Bernau oder Eberswalde schon die Tausendermarke. | |
## Zahl der Corona-Demonstrant*innen steigt | |
Seit zwei Wochen explodieren die Zahlen der [1][Teilnehmer*innen an | |
Corona-Protesten auch in Berlin]. Am letzten Montag des vergangenen Jahres | |
waren erstmals mehr als 1.000 Menschen stadtweit unterwegs, vor einer Woche | |
dann schon – je nach Schätzung – bis zu 3.000. Diesen Montag nun waren es | |
bei mehr als einem Dutzend Aufzügen, davon allein drei in Pankow, insgesamt | |
um die 4.000 Menschen. Die größten davon in Tegel mit bis zu 900 sowie in | |
Köpenick mit etwa 600 Teilnehmer*innen. Inzwischen sind es stattliche | |
Aufmärsche, für die Bürgersteige, auf denen sie bislang zumeist verbleiben, | |
schon bald nicht mehr ausreichen werden. | |
Doch es formiert sich auch Gegenprotest. Anwohner*innen organisieren | |
etwa Gedenkveranstaltungen und stellen Kerzen für Coronatote auf, | |
Initiativen wie Berlin gegen rechts rufen zu Demos auf. Auch einige | |
Antifaschisten sind dabei. Dass die Coronademos jetzt unter der Woche | |
stattfinden und sich auf das ganze Stadtgebiet verteilen, macht ihnen zu | |
schaffen. Haben die Gegendemonstrant*innen eine Strategie, den | |
Aufmärschen etwas entgegenzusetzen? | |
Als Reaktion auf die Coronademos am vergangenen Montag hat Christian Mast, | |
Anmelder der „Geradedenken“-Kundgebung auf dem Alexanderplatz, eine | |
Vernetzungsgruppe gegründet. Unter dem Hashtag #Spazierstopp haben sich | |
alle größeren Initiativen zusammengeschlossen, die den Demonstrierenden | |
nicht die Straße überlassen wollen: Die Idee ist, ihre Ressourcen zu | |
bündeln. Doch die Organisation ist schwierig, sagt Mast. „Bürgerliche | |
Anwohnerinitiativen und Antifa-Ortsgruppen zusammenzubringen ist eine | |
Herausforderung.“ Für den gemeinsamen Kundgebungstext, der am Montag bei | |
allen Veranstaltungen vorgelesen wurde, hätten sie tagelange Arbeit und | |
Diskussionen gebraucht. „Wir haben teilweise um jedes Wort gekämpft“, sagt | |
er. Denn die einen lehnen Vernetzung und Strukturen ab, die anderen | |
schätzen die Unterstützung der Polizei und das Engagement von Parteien. | |
## Gegendemonstrant*innen weniger anschlussfähig | |
Auch Anne ist an diesem Montag zum Alexanderplatz gekommen. Weil die | |
Studentin schon einmal von einem Mitglied von „Die Basis“ körperlich | |
angegriffen worden sei, will sie ihren vollen Namen nicht nennen. „Ich | |
schaue mir das mal an, und wenn es mir zu viel wird, gehe ich wieder“, sagt | |
sie. Dass Gegendemonstrant*innen schwieriger zu mobilisieren seien, | |
läge auch daran, dass nicht alle, die sich an den Protestenstören, | |
zufrieden seien mit der aktuellen Corona-Politik: „Aber nur weil man auf | |
der Gegendemo ist, heißt das ja nicht, dass man für alle Maßnahmen ist“, | |
findet sie. „Das hier ist ein rechter Aufmarsch, da habe ich schonmal per | |
se was dagegen.“ | |
Am Montagabend haben sich die Gruppen aufgeteilt: Die Omas gegen rechts | |
halten mit den Jusos am Rathaus Pankow Stellung, Geradedenken am | |
Alexanderplatz und außerdem am Rathaus Neukölln. Auch die | |
[2][Anwohner*innen im Gethsenemanekiez schützen die Kirche] wieder vor | |
der Vereinnahmung durch Schwurbler*innen. | |
Bei den Coronademonstrationen haben die unterschiedlichsten Milieus schon | |
lange Anschluss gefunden. Die Anfangskundgebung am Alexanderplatz hält Eric | |
Graziani, Rechtspopulist und Gründer der „Patriotic Opposition Europe“. | |
„Wir sind hier, weil die Menschen gezwungen werden, sich zwangsimpfen zu | |
lassen“, ruft er in sein Mikrofon. Die Menge, ca. 200 Leute sind es zu | |
diesem Zeitpunkt, applaudiert. Ganz vorne stehen zwei junge Frauen, eine | |
von ihnen trägt einen „FCK NZS“-Turnbeutel. Wem sie hier zujubeln, scheinen | |
die beiden entweder nicht zu wissen, oder einfach zu ignorieren. Graziani | |
hofft, dass die Bewegung noch wächst: „Ich verstehe unseren Protest wie den | |
Motor von einem Auto. Der hat noch ein paar Startschwierigkeiten, muss noch | |
warmlaufen, aber schon bald sind wir auf voller Leistung.“ | |
## Corona-Verharmloser*innen spazieren ungestört | |
Darauf hofft auch die Gegenseite: Seitdem die Coronaleugner*innen und | |
Impfskeptiker*innen unter der Woche laufen, sei der Gegenprotest | |
schwieriger geworden. „Da müssen eigentlich in jeden Bezirk mehrere Hundert | |
Linke hin, um eine stabile Gegendemo zu machen“, sagt der Teilnehmer von | |
der Antiverschwurbelten Aktion. „Das braucht jetzt so 2 bis 3 Wochen, um | |
sich einzuspielen.“ | |
Am Rathaus Köpenick stellen 150 Teilnehmer*innen mit dem Bündnis für | |
Demokratie und Toleranz am Montag Kerzen auf. „Der Abend verlief zunächst | |
friedlich“, erzählt Lars Düsterhöft (SPD), der Sprecher des Bündnisses. | |
Später, als die Polizeipräsenz nachließ, sei es teils zu bedrohlichen | |
Situationen gekommen. Am Dienstagmorgen seien einige Kerzen umgestoßen | |
gewesen. Düsterhöft will weiterhin montags zu Veranstaltungen einladen. | |
Gegenproteste seien vielleicht nicht das richtige Format, meint er: „Das | |
könnte die Fronten weiter verhärten.“ Daher denkt er über ein | |
Gesprächsangebot auf den Rathaustreppen nach. | |
Die meisten Aufzüge an diesem Montag finden störungsfrei statt, nicht nur | |
unbehelligt von Gegendemonstrant*innen, sondern auch von der Polizei. In | |
Neukölln etwa begleitete die Besatzung eines einzigen Mannschaftswagens die | |
etwa 200 Protestierenden. Abstandsgebot oder Masken setzten sie nicht | |
durch. Und die 50 Teilnehmer*innen der Gegenveranstaltung waren | |
ebenfalls machtlos und trotteten dem Aufzug durch die Karl-Marx-Straße | |
lediglich hinterher. Wo aber kein unangenehmer Gegenwind weht, keine | |
Grenzen aufgezeigt werden und zugleich eine Debatte über eine Impfpflicht | |
weiter in der bundespolitischen Luft hängt, wird sich die Dynamik nicht | |
brechen. | |
„Wenn ihr mitgeht, passt auf euch auf“, ruft Mast in sein Mikro, als sich | |
die Spaziergänger*innen am Alexanderplatz in Bewegung setzen. Wenig | |
später steht der Veranstalter der Gegendemo fast alleine da. Ob’s das schon | |
war, fragt eine. „Nein,nein, der Höhepunkt kommt erst noch. Um 20 Uhr | |
kommen die von ihrem Spaziergang zurück, dann stehen wir an der | |
Weltzeituhr.“ So lange könne sie nicht warten, sie müsse dann jetzt auch | |
los. | |
11 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Coronaproteste-in-Berlin/!5824512 | |
[2] /Proteste-gegen-Coronamassnahmen/!5823440 | |
## AUTOREN | |
Johanna Jürgens | |
Erik Peter | |
## TAGS | |
Demo | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Verschwörungsmythen und Corona | |
Anti-Nazi-Demo | |
Coronaleugner | |
taz Plan | |
Nazis | |
Rechtsextremismus | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Franziska Giffey | |
Wochenkommentar | |
Coronaleugner | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anti-Corona-Proteste in Berlin: Menschenkette gegen Elfen | |
In Tegel wächst der Widerstand gegen die montäglichen „Spaziergänge“ von | |
Impfgegnern. Neues Bündnis warnt vor Vereinnahmung durch die extreme | |
Rechte. | |
Coronaproteste in Berlin: Klare Kante zeigen | |
Die Proteste gegen die verschwurbelten Montagsspaziergänge kommen in Gang, | |
doch es fehlt eine starke linke Gegenerzählung in der Pandemie. | |
Gefährliche Coronaproteste: Eine rechte Massenbewegung | |
Immer noch werden die „Spaziergänge“ verharmlost, dabei ist das Bündnis m… | |
den Rechten brandgefährlich. Es braucht Gegenwehr. Ein Wochenkommentar. | |
Demonstration gegen rechte Schwurbler: Geduld am Ende | |
Das „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ will den rechten Querdenker*innen | |
nicht länger die Straße überlassen und ruft auf zu einer Gegendemo. | |
Proteste gegen Corona-Maßnahmen: Wer läuft denn da? | |
Mehr als 100.000 Menschen treffen sich allwöchentlich zu Protesten. Aber | |
wer? taz-Reporter haben sich unter die Leute gemischt. | |
Senat vor neuen Bestimmungen: Warten nach Zahlen | |
Berlin geht mit mehr als verdoppelter Corona-Inzidenz in die neue Woche und | |
erwartet bis Monatsende fünf Millionen Lolli-Tests für Kita-Kinder. | |
Neue Berliner Stratgie beim Impfen: Letztlich zählt nur das Ergebnis | |
Menschen den Impfstoff hinterhertragen zu müssen nervt. Doch das ist | |
zweitrangig – entscheidend sind mehr Impfungen. Ein Wochenkommentar. | |
Proteste gegen Coronamaßnahmen: Schwurbler*innen in ganz Berlin | |
3.000 Menschen protestieren berlinweit gegen die Coronapolitik, etwa vor | |
dem ZDF und an der Gethsemanekirche. Es gibt zugleich viel Gegenprotest. |