# taz.de -- Grüne Schulze über Corona-Demos: „Schluss mit Appeasement-Polit… | |
> Spaziergänge? Wer’s glaubt! Die Grüne Katharina Schulze fordert mehr | |
> Härte gegenüber Querdenkern – und plädiert für eine Doppelstrategie. | |
Bild: Koblenz am 1. Januar: Teilnehmer:innen eines „Spaziergangs“ gegen die… | |
taz: Frau Schulze, der französische Präsident Emmanuel Macron hat zuletzt | |
Impfgegner übel beschimpft und dabei sogar einen derben Kraftausdruck | |
verwendet. Sind Sie manchmal versucht, ähnlich deutlich zu werden? | |
Schulze: Ich habe zumindest Verständnis dafür, dass all die Menschen, die | |
sich seit fast zwei Jahren an die Regeln halten und ihr Bestes tun, um | |
Corona einzudämmen, es nicht nachvollziehen können, wenn sie Bilder von | |
Menschen sehen, die ohne Abstand, ohne Maske und ohne sich an die Auflagen | |
zu halten, durch die Straße marschieren und dann vielleicht noch | |
Polizistinnen und Polizisten angreifen. Jetzt habe ich gerade gelesen, dass | |
eine Frau einen Polizisten ins Bein gebissen hat. Geht’s noch? Ich verstehe | |
schon, wenn der einen oder dem anderen da die Hutschnur reißt. | |
Lassen wir uns von Quertreibern, die sich selbst als [1][Querdenker oder | |
Spaziergänger bezeichnen], zu sehr auf der Nase rumtanzen? | |
Ja, das finde ich schon. Schauen Sie doch, zu was für Szenen es zum | |
Beispiel bei uns in Bayern in den letzten Wochen und Monaten gekommen ist: | |
In Schweinfurt haben sie versucht, ein Polizeiauto anzuzünden. | |
Medienvertreterinnen und Polizisten wurden angegriffen, Messer mitgeführt. | |
Ein Kind wurde verletzt, das eine Demonstrantin quasi als Schutzschild | |
mitgenommen hatte. Das sind Dinge, die wir nicht akzeptieren dürfen. Die | |
Versammlungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut in unserem Land. Jede und jeder | |
kann die Corona-Maßnahmen kritisieren, auch auf der Straße. Aber: Es gibt | |
Regeln. Die eine ist, dass man friedlich demonstriert, die andere, dass man | |
sich an die Auflagen hält. | |
Das ist der Punkt, wo die Toleranz für Sie ein Ende hat? | |
Auf jeden Fall. Man kann an der Mehrheitsmeinung Kritik äußern, aber wenn | |
man immer wieder absichtlich Auflagen unterläuft und behauptet, man würde | |
doch nur spazierengehen und das sei doch keine Versammlung, dann muss ich | |
schon sagen: Verkauft uns nicht für blöd! Ein solches Katz- und Mausspiel | |
mit der Polizei muss sich der Rechtsstaat nicht gefallen lassen. | |
Heißt? | |
Heißt, dass die ausgesprochenen Auflagen dann auch kontrolliert und | |
Verstöße sanktioniert werden. Man muss auch ganz deutlich sagen, dass viele | |
dieser sogenannten Querdenker und Spaziergänger bewusst eine | |
Destabilisierung des politischen Systems herbeiführen wollen. | |
Rechtsextremisten und Reichsbürger nutzen diesen Protest, um ihre Ideologie | |
in die Gesellschaft hineinzutragen. Und da sehe ich nicht, dass die Polizei | |
bisher immer in die Lage versetzt wurde, die Auflagen konsequent | |
durchzusetzen. Darum sage ich: Schluss mit der Appeasement-Politik | |
gegenüber den Querdenkern! | |
Dieses Appeasement wird oft damit begründet, man wolle eine weitere | |
Spaltung der Gesellschaft verhindern. Wie gespalten sind wir denn schon? | |
Unser Land ist nicht gespalten. Es wird ja manchmal suggeriert, dass da ein | |
Spalt mitten durch unsere Gesellschaft geht und sich da zwei gleich große | |
Teile gegenüberstehen. Aber das ist Unsinn. Die, die sich tatsächlich | |
abgespalten haben, sind eine äußerst kleine, wenn auch laute Minderheit. | |
Ihnen steht die ganz große Mehrzahl der Menschen gegenüber, die auf Fakten, | |
wissenschaftliche Erkenntnisse und die Kraft von Argumenten setzt. | |
Auflagen kontrollieren, Verstöße sanktionieren – das sagt sich leicht. Aber | |
wie soll man einer spazierenden Möchtegern-Guerilla Herr werden, [2][ohne | |
eine Eskalation] der Situation zu riskieren? | |
Ich glaube, es braucht zwei Dinge, die Hand in Hand gehen müssen: | |
Repression und Prävention. Dazu gehört, dass das zuständige | |
Innenministerium mit den kommunalen Ordnungsbehörden und der Polizei | |
zusammen die Lage bewertet und an die jeweiligen Gegebenheiten angepasste | |
Auflagenbescheide und Einsatzpläne entwickelt. Außerdem muss diese Bewegung | |
endlich genau unter die Lupe genommen werden. Schon bei den ersten | |
Demonstrationen 2020 waren Rechtsextremisten und Reichsbürger mit dabei. | |
Und die Szene der sogenannten Querdenker hat sich inzwischen noch weiter | |
radikalisiert. Der Hass, den sie auf die Straße tragen, hat sich zu einem | |
Problem für die ganze Gesellschaft entwickelt. Deshalb brauchen wir eben | |
auch Programme zur Prävention und Deradikalisierung und müssen die | |
Aufklärung über Verschwörungsmythen stärker nach vorne stellen. | |
Die Grünen sind ja eine eher demonstrationsfreudige Partei. Gerade zu | |
Beginn ihrer Geschichte standen sie der Staatsgewalt auf der Straße auch | |
mal konfrontativ gegenüber. Jetzt stehen ausgerechnet Sie an der Spitze | |
derer, die ein hartes Durchgreifen des Staates fordern. | |
Ich sehe da keinen Widerspruch. Natürlich schützen wir die | |
Versammlungsfreiheit. Wir waren auch die ersten, die am Anfang der | |
Pandemie, als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die | |
Versammlungsfreiheit eingeschränkt hatte, gesagt haben: Sorry, so geht das | |
nicht. Es muss auch in einer Pandemie möglich sein, zu demonstrieren – | |
unter Beachtung des Infektionsschutzes und möglicher Auflagen. | |
Aber auch linke Demonstrationen können eskalieren, weil beispielsweise ein | |
gewaltbereiter Kern die Aufmerksamkeit auf sich zieht, der nicht für die | |
Mehrheit der Demonstrierenden spricht. Ist es nicht grundsätzlich | |
schwierig, alle Teilnehmer einer Demo in einen Topf zu werfen? Auch bei den | |
Corona-Protesten geht ja keine homogene Gruppe auf die Straße. | |
Natürlich ist das [3][keine homogene Gruppe], aber man gibt sich ja bei | |
einer Demonstration schon so eine Art Bündnis-Konsens: Wir demonstrieren | |
für oder gegen dieses oder jenes. Und gewalttätige, antisemitische, | |
rechtsextreme Gruppierungen und Positionen haben bei uns nichts verloren. | |
Organisatoren können das auch vorab veröffentlichen. Und wenn man dann | |
beispielsweise erkennt, da läuft jemand mit einem Judenstern rum, auf dem | |
„Ungeimpft“ steht, dann bittet man die Person, die Demonstration zu | |
verlassen,weil Antisemitismus nicht toleriert wird. Ich sage es mal so: | |
Wenn du nicht mit Nazis auf die Straße gehen willst, gibt es auch | |
Möglichkeiten, das zu verhindern. Es liegt auch immer in der Verantwortung | |
jedes einzelnen Demokraten und jeder einzelnen Demokratin zu schauen, mit | |
wem man gemeinsame Sache macht. Und bei diesen Demos ist tatsächlich auch | |
eine immer schneller werdende Radikalisierung festzustellen, das Abdriften | |
in immer abstrusere Verschwörungsmythen und Antisemitismus. | |
Abgesehen von der Verantwortung des Einzelnen: Gab es auch Versäumnisse der | |
Politik? Hätte man diejenigen, die anfangs tatsächlich nur Angst hatten und | |
sich mit dieser alleingelassen gefühlt haben, vielleicht anders mitnehmen | |
können, damit sie eben nicht auf Rattenfänger reinfallen? | |
Natürlich hat „die Politik“, wenn wir es mal so pauschal formulieren | |
wollen, in der Pandemie Fehler gemacht. In so einer Situation braucht es | |
Transparenz und eine gute Kommunikation über die nötigen Maßnahmen, damit | |
die Gesellschaft mitgenommen wird und zusammenhält. Ich habe mich im ersten | |
Jahr der Pandemie einmal mit einer neuseeländischen Grünen unterhalten. In | |
Neuseeland war das von Anfang an zentral, da wurde an das Wir-Gefühl | |
appelliert: We against the virus! Bei Markus Söder war es dagegen anfangs | |
immer sehr stark dieses „Ich gegen das Virus“. Da gab es eine sehr starke | |
Führungsfigur, die uns sagte, wo es lang geht. Aber jetzt sehen wir, dass | |
das nicht funktioniert hat. Wenn wir das Virus wirklich besiegen wollen, | |
brauchen wir eine gemeinsame Leistung der gesamten Gesellschaft. | |
13 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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