# taz.de -- Rechtsextreme Demos in Niedersachsen: Als Spaziergang getarnt | |
> Viele kleine Aktionen statt einer zentralen Demo: In der Telegram-Gruppe | |
> „Freie Niedersachsen“ rufen Unbekannte zum Protest gegen die | |
> Coronamaßnahmen. | |
Bild: Sie trauen den Medien nicht: Protest vor der niedersächsischen Staatskan… | |
HANNOVER taz | Der Vollmond scheint auf das Anzeiger-Hochhaus in Hannover. | |
Eine Gruppe Menschen steht mit Grablichtern und Kerzen in den Händen auf | |
dem Platz davor. Einzelne stellen die Lichter vor einem „Radio | |
Hannover“-Schild auf den Boden. | |
Etwa dreißig Verschwörungsideolog*innen sind am Sonntagabend einem Aufruf | |
gefolgt, der im Messengerdienst Telegram geteilt wurde. Die dritte Woche in | |
Folge rief unter anderem die Gruppe „Freie Niedersachsen“ dazu auf, | |
Grablichter „gegen Spaltung“ abzustellen. In Hannover geschieht das zum | |
zweiten Mal an einem Ort, der für die lokale Medienlandschaft steht: Nach | |
einer Aktion mit 400 Menschen am Landesfunkhaus des NDR am Sonntag der | |
vorangegangenen Wochegibt es nun Kerzen an dem historischen Hochhaus, in | |
dem Spiegel und Stern gegründet wurden. | |
Mehrere Medien haben dort auch heute ihre Büros. „Natürlich ist der Ort | |
kein Zufall“, sagt eine Frau mittleren Alters, die eine OP-Maske trägt und | |
sich im Gegensatz zu vielen anderen an diesem Abend auf ein Gespräch mit | |
Journalist*innen einlässt. Es werde zu einseitig berichtet, alle | |
Zeitungen seien inhaltlich gleich, meint sie. Eine ältere Dame mit dickem | |
Stirnband sagt: Deutschland sei nicht souverän, sondern besetzt. Die | |
Situation gerade gehe in Richtung Diktatur, habe 1933 genauso begonnen. Sie | |
dürfe ja nicht sagen, was sie denke – sagt sie dem Reporter. | |
Seit mehreren Wochen machen Verschwörungsideolog*innen im Zuge der | |
Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland mobil. | |
Rechtsextreme Gruppen versuchen, [1][die neue Mobilisierungswelle für sich | |
zu nutzen.] | |
## Besonders krasse Gewaltandrohungen | |
Am Samstagmittag sind das Who-is-who der niedersächischen AfD, der Jungen | |
Alternative, einzelne HAGIDA-Akteur*innen und bekannte | |
Verschwörungsideolog*innen bei einer Kundgebung vor dem niedersächsischen | |
Landtag. Am Rand steht ein Mann, auf dessen Maske eine Grimasse und eine | |
SPD-Fahne abgebildet sind. Er sei hier, weil niemand sich gegen eine | |
Impfpflicht stelle, sagt er der taz. Die SPD habe ihm als Mitglied | |
verbieten wollen, zur AfD-Demonstration zu gehen. Für seine Kinder wolle er | |
aber alles tun. Das schließe eine Kooperation mit der AfD und möglichen | |
Rechtsextremist*innen ein, sagt er. Mehrere hundert Menschen ziehen | |
weiter zu einer von einer Privatperson angemeldeten Kundgebung mit bis zu | |
fünfhundert Personen auf dem hannoverschen Opernplatz. | |
Eine neu initiierte Sammelbewegung bekommt immer weiter Zuwachs: Die | |
„Freien Niedersachsen“ haben mittlerweile knapp 14.000 Follower*innen | |
auf Telegram. Nach dem Vorbild der [2][von rechtsextremen Kadern | |
initiierten „Freien Sachsen“] ist seit Anfang Dezember eine Mobilisierungs- | |
und Informationsplattform entstanden, die mit eigenen Beiträgen auch | |
inhaltliche Spitzen setzt. Der NDR etwa sei eine „Propagandamedienanstalt“, | |
der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ein | |
„Möchtegern-Kaiser“ und „Despot“. Nach Darstellung der „Freien | |
Niedersachsen“ selbst folgen Tausende ihren Aufrufen zum Protest. | |
Bis zum 15. Dezember gab es von den „Freien Niedersachsen“ auch eine | |
[3][Telegram-Chatgruppe] zum Austausch und für Bilder und Videos. Hier | |
freute sich einer, der sich „Detlef“ nennt, auf den „Nürnberger Prozess | |
2.0“ für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Also | |
immer schön vorsichtig bleiben Herr Pistorius“, schrieb Detlef. Eine, die | |
sich „Marlies“ nennt, war sich sicher: Friedliche Proteste hätten bisher | |
nichts erreicht, man müsse andere Wege gehen. Eine „Tina“ wollte an den | |
Privatadressen von Politiker*innen aufschlagen. | |
Passiert ist das schon bei der Landesgesundheitsministerin in Sachsen. Aber | |
auch in Hannover gab es bereits eine Mobilisierung vor Stephan Weils | |
Wohnhaus. Immer wieder wurden Beiträge in dem Chat wegmoderiert und | |
gelöscht – besonders krasse Gewaltandrohungen zum Beispiel. Die Chatgruppe | |
ist inzwischen geschlossen, nun ist eine Interaktion nur noch in den | |
Kommentaren unter den Beiträgen möglich. | |
## Erneut bis zu 120 Aktionen | |
Der niedersächsische Verfassungsschutz ordnet die „Freien Niedersachsen“ | |
dem Verdachtsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende | |
Delegitimierung des Staates“ zu. Die Gruppierung orientiere sich zwar | |
inhaltlich und in ihrem Auftreten an den „Freien Sachsen“, allerdings nach | |
bisher vorliegenden Erkenntnissen ohne organisatorische Bezüge, so der | |
niedersächsische Verfassungsschutz auf taz-Anfrage. In den vergangenen | |
Wochen habe sich gezeigt, dass esbei den Protestzügen immer mehr | |
Teilnehmer*innen gebe. Rechtsextremist*innen und | |
Reichsbürger*innen seien zwar darunter, organisierten sie aber nicht | |
selbst. „Radikale Teile der Coronaleugner sehen Gewalt als legitimes Mittel | |
und machen staatliche Repräsentanten verächtlich“, so der | |
Verfassungsschutz. | |
Was gerade in Niedersachsen passiert, ist eine Regionalisierung der | |
Proteste. Zuvor gab es vor allem zentrale Protestaktionen in den | |
Großstädten, jetzt sollen kleinere Aktionen in Wohnortnähe mehr Menschen | |
mobilisieren. Durch den bewussten Verzicht auf Banner und Plakate schaffen | |
es die als Spaziergänge getarnten Demonstrationen, nach außen harmlos und | |
beinahe unpolitisch zu wirken. | |
Am Samstag eskalierte eine dieser Aktionen in Hildesheim. Laut | |
Polizeibericht wurde ein Medienvertreter geschubst und massiv beleidigt. | |
Als Beamt*innen die Identität der mutmaßlichen Versammlungsleiterin | |
feststellen wollten, sei es zu Solidarisierungsaktionen gekommen. „Die | |
Polizeikräfte wurden umringt und beschimpft“, schreibt die Polizei | |
Hildesheim. Daraufhin habe man die Versammlung aufgelöst und | |
Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. | |
Für den Montagabend riefen die „Freien Niedersachsen“ erneut zu bis zu 120 | |
Aktionen in ganz Niedersachsen auf. | |
20 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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