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# taz.de -- Die Geschichte von Habiba F.: Verwehrtes Familienleben
> Die 15-jährige Habiba ist aus Afghanistan geflohen. Ihre Schwester lebt
> in Lüneburg, Habiba bekam eine Vormündin und muss in Hamburg wohnen.
Bild: Dürfen nicht zusammenleben: Die minderjährige Habiba F. (Mitte), ihre S…
Hamburg taz | Habiba F. sitzt in einem Café in der Nähe des Hamburger
Hauptbahnhofs. Sie ist ein zurückhaltendes Mädchen mit dunkelbraunen
Haaren, die teilweise ins Rötliche gehen. Wenn die 15-Jährige spricht,
richtet sie meistens das Wort an ihre große Schwester Fatima F., die
zusammen mit ihrem Mann Ali S. ebenfalls am Tisch sitzt.
S., der schon länger in Deutschland lebt, übersetzt die Worte der
minderjährigen Afghanin. Es ist der Bericht eines Mädchens, das aus
Afghanistan geflohen ist und nun von deutschen Behörden daran gehindert
wird, bei ihren Verwandten zu leben.
Im August 2021 gelang Habiba die Flucht vor den Taliban aus Afghanistan. Es
waren die Tage, in denen die Aufnahmen verzweifelter Menschen auf dem
Flughafen in Kabul um die Welt gingen. Habiba schaffte es in eine der
letzten Maschinen, die das Land verließen und landete in Frankfurt, so
übersetzt es Ali S.
In Deutschland angekommen, habe man sie am 22. August in einen Bus nach
Hamburg gesetzt. Habiba habe gehofft, dass sie von dort aus nach Lüneburg
weiterreisen könnte, wo ihre Schwester und ihr Schwager leben. Da sie sich
wegen der Sprachbarriere kaum verständlich machen konnte, habe sie einen
Zettel mit der Adresse ihrer Schwester bei sich getragen.
Zunächst landete sie jedoch in Hamburg und wurde dort registriert,
berichtet die 15-Jährige. Auf Grund der Coronasituation habe sie vierzehn
Tage in Quarantäne gemusst. Auch nach dem Ende der Quarantäne-Zeit sei sie
jedoch nicht zu ihrer Schwester Fatima gebracht worden. Stattdessen teilte
das Familiengericht ihr eine Vormündin zu, obwohl mit Fatima eine
erwachsene Verwandte der Minderjährigen in Deutschland lebt.
Aber durch die Registrierung in Hamburg gilt für Habiba die
Residenzpflicht, sie muss in Hamburg wohnhaft bleiben. Auch ein Besuch in
Lüneburg sei Habiba in den ersten vier Monaten nicht erlaubt gewesen,
berichtet sie. Der erste Besuch sei auf einen Zeitraum von zwei Stunden
begrenzt gewesen.
Auch danach seien ihr weitere Fahrten nach Lüneburg nur sporadisch
gestattet worden. Ihre Vormündin, die sich gegenüber der taz nicht äußert,
habe Habibas Wohnsituation und die wenigen Besuchsmöglichkeiten mit der
Residenzpflicht begründet. Momentan lebt Habiba in einer pädagogisch
betreuten Wohngruppe in Fuhlsbüttel.
„Als ihr Vater im November von den Taliban getötet wurde, haben wir die
ganze Nacht mit Habiba telefoniert“, sagt Ali S. Denn auch in solchen
emotional belastenden Momenten ist die 15-Jährige in Hamburg allein. Da die
Terminabsprache sich schwierig gestaltet habe, konnte die Jugendliche nicht
bei der Gedenkfeier ihrer Familie dabei sein. „Die Trauerfeier haben wir
alleine gemacht, das war sehr, sehr traurig“, erinnert sich Ali S. „Nicht
nur ein Raum, auch eine Stadt kann ein Gefängnis sein“, sagt Habiba. In
diesem Gefängnis sitzt sie nun seit etwa sechs Monaten.
Die Familie versucht alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, damit die
15-Jährige bei ihren Verwandten leben kann. Habiba, Fatima und deren
Mutter, die sich zusammen mit zwei weiteren Schwestern Habibas nach wie vor
in Afghanistan aufhält, haben erklärt, dass sie darum bitten, die
Vormundschaft für Habiba an ihre Schwester Fatima zu übertragen. Die
Familie hat einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht eingereicht.
Zudem will sie bei der Ausländerbehörde Habibas „Umverteilung“ beantragen,
um einen Umzug nach Lüneburg zu ermöglichen.
Doch wie lange das noch dauert, ist unklar: Die Kommunikation mit den
Behörden verlaufe bisher schleppend, berichtet die Familie. Wenn es
schlecht läuft, könnte Habiba noch bis zum Ende ihres Asylverfahrens von
ihrer Schwester getrennt bleiben. Von der Sozialbehörde hieß es auf Anfrage
der taz, man könne sich zu einem solchen Einzelfall aus Gründen des
Sozialdatenschutzes nicht äußern.
Unterstützung bekommt die Familie von Hans-Jürgen Brennecke. Der
pensionierte Pädagoge war jahrzehntelang in der sozialpädagogischen Arbeit
mit Jugendlichen tätig, heute hilft er ehrenamtlich. „Unser Staat ist da zu
paternalistisch“, sagt er im Gespräch mit der taz. Die Behörden
behaupteten, sie dienten dem Kindeswohl, überzögen das Prinzip aber total.
„Die beiden Schwestern wollen doch nur zusammen sein.“
Brennecke ist zudem der Ansicht, das entscheidende Gesetzestexte in diesem
Verfahren ignoriert würden. In Deutschland ist im vergangenen Jahr ein
neues Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen verabschiedet
worden. Dadurch sollen unter anderem Kinder und Jugendliche, die in
Einrichtungen der Erziehungshilfe leben, sowie deren Familien mehr Gehör
erhalten und „darin unterstützt werden, ihre Rechte wahrzunehmen“– so st…
es in dem Gesetz. Laut dem Flüchtlingsrat Hamburg sei es ohnehin üblich,
dass eine Privatvormundschaft gesetzlich Vorrang vor einer
Amtsvormundschaft habe.
## Unverständliches Vorgehen der Behörde
Auch in Hamburg sollten die Behörden bei minderjährigen Geflüchteten
eigentlich anders vorgehen als im Fall von Habiba. Wenn Kinder und
Jugendliche ankommen, bringt der,,Fachdienst Flüchtlinge“, der dem Kinder-
und Jugendnotdienst (KJND) unterstellt ist, sie in einer Einrichtung unter
und prüft dann, ob die Betroffenen auf andere Kommunen verteilt werden
sollten. Anschließend wird über die weitere Unterbringung entschieden.
Das Familiengericht entscheidet wiederum über die Vormundschaft. Die Kinder
und Jugendlichen werden dabei auch gefragt, ob in Deutschland Verwandte von
ihnen leben, die die Vormundschaft übernehmen wollen. Wenn dies nicht der
Fall ist, wird ein Amtsvormund eingesetzt.
Habiba berichtet, dass sie mehrfach die Adresse ihrer Verwandten genannt
habe, aber nicht zu ihrer Familie gebracht wurde. Ob der KJND und das
Familiengericht diesen Hinweis nicht prüften oder sich gegen die
Familienzusammenführung entschieden, lässt sich ohne eine Antwort der
Sozialbehörde nicht sagen. Wäre Habiba jedoch damals nach Lüneburg gebracht
und dort registriert worden, hätte sich die Residenzpflicht in Hamburg gar
nicht ergeben.
Am Ende des Gesprächs sagt Habiba noch einmal die Worte, die sie in den
letzten Monaten schon so oft wiederholt hat: „Ich möchte bei meiner
Schwester wohnen, bitte.“
3 Feb 2022
## AUTOREN
Lenard Brar Manthey Rojas
## TAGS
Minderjährige Geflüchtete
Hamburg
Schwerpunkt Afghanistan
Asylrecht
GNS
Geflüchtete
EuGH
China
Schwerpunkt Afghanistan
Abschiebung
Lesestück Recherche und Reportage
Tempelhofer Feld
Schwerpunkt Flucht
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