# taz.de -- Asylpolitik der Ampelkoalition: Beim Familiennachzug hakt es | |
> Kirchen und Pro Asyl fordern, den Familiennachzug bei Geflüchteten zu | |
> beschleunigen. Die Koalition sagt das zu – doch bisher bleibt vieles beim | |
> Alten. | |
Bild: Demonstrierende fordern ein Ende der Familientrennung | |
BERLIN taz | Die katholische Kirche und die Flüchtlingsorganisation Pro | |
Asyl fordern von der neuen Bundesregierung ein Ende der Verschleppung des | |
Familiennachzugs für Geflüchtete. Heiner Koch, katholischer Erzbischof von | |
Berlin und Leiter der Kommission Familie bei der Deutschen | |
Bischofskonferenz, verlangt zügigere staatliche Verfahren und eine bessere | |
Kommunikation zwischen den Behörden. „Es muss ausreichen, wenn einmal die | |
Korrektheit der Dokumente geprüft wird“, sagt er angesichts der Tatsache, | |
dass viele anerkannte Asylberechtigte acht und mehr Jahre auf den ihnen | |
zustehenden Rechtsanspruch auf einen Nachzug ihrer EhepartnerInnen und | |
Kinder warten müssen. | |
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, fordert vom Bundestag und | |
von der Bundesregierung ein 100-Tage-Programm, um gesetzliche Änderungen | |
auf den Weg zu bringen. „Für die Angehörigen von Geflüchteten mit | |
subsidiärem Schutzstatus darf der Familiennachzug nicht länger nur auf | |
12.000 Personen pro Jahr begrenzt werden.“ Außerdem müsse es aufhören, dass | |
anerkannte minderjährige Flüchtlinge zwar ihre Eltern, nicht aber ihre | |
Geschwister nach Deutschland holen dürfen, sagte Burkhardt der taz. | |
Neben den gesetzlichen Änderungen ist es aus Sicht von Pro Asyl notwendig, | |
das Behördenpersonal, das mit der Bearbeitung der Anträge auf | |
Familiennachzug befasst ist, aufzustocken. Dass eine | |
Familienzusammenführung schneller möglich ist, sehe man an den Anträgen von | |
angeworbenen Fachkräften, betont Burkhardt. „Da klappt das.“ | |
Der Familiennachzug hakt derzeit vor allem bei Asylberechtigten aus | |
Afghanistan und Eritrea. In beiden Staaten müssen die Angehörigen in die | |
Nachbarstaaten fliehen und von dort aus ihre Anträge stellen. Denn [1][die | |
deutsche Botschaft in Afghanistan ist nach der Machtübernahme der Taliban | |
geschlossen] und [2][Eritreer können nicht im Verfolgerstaat einfach so die | |
deutsche Botschaft betreten.] | |
## Kein Personal, keine Ahnung | |
In den unsicheren Nachbarstaaten müssen die Betroffenen dann meist noch | |
lange warten, um überhaupt einen Antrag stellen zu können. Die | |
Bundesregierung gab 2021 diese Wartezeit etwa in Äthiopien mit 13 Monaten | |
an, im Sudan mit 10 Monaten, in Kenia mit 14 Monaten, und in Pakistan, | |
Libanon oder Indien mit „über einem Jahr“. | |
Mit der Antragstellung ist das Warten aber noch lange nicht beendet. Denn | |
in den Auslandsvertretungen gibt es viel zu wenig Personal für die | |
Bearbeitung der Anträge. Und dieses Personal ist – wie die Bundesregierung | |
offiziell einräumt – auch nicht qualifiziert, alle Geburts- und Eheurkunden | |
auf Echtheit zu prüfen. | |
Zudem lagen 2021 nach Angaben von Pro Asyl weltweit 11.200 Terminanfragen | |
von Angehörigen subsidiär Geschützter vor, die schlicht nicht angenommen | |
werden, weil die Kontingente bereits ausgeschöpft waren. Burkhardt übt auch | |
daran Kritik: „Wo kein Antrag ist, kann er nicht abgelehnt werden und | |
niemand dagegen klagen. Hier höhlt das Auswärtige Amt den Rechtsstaat aus.“ | |
Die Ampel kündigt in ihrem Koalitionsvertrag nun Verbesserungen im | |
Familiennachzug an. Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin | |
Göring-Eckardt erläutert: „Es ist eine wichtige Aufgabe der neuen | |
Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass geflüchtete Familien schneller als | |
bisher in Sicherheit zusammenfinden. Dafür muss der erleichterte | |
Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen zügig ermöglicht werden.“ | |
## Kein echter Kurswechsel in Sicht | |
So brauche es mehr digitale Verfahren, um Wartezeiten zu verkürzen, und bei | |
der Dokumentenbeschaffung „eine pragmatische Herangehensweise im Sinne der | |
betroffenen Familien“. Auch den Nachzug von Geschwistern minderjähriger | |
Flüchtlinge will die Ampel ermöglichen. | |
Dieses Bekenntnis im Koalitionsvertrag stimmt die Katholische Kirche und | |
Pro Asyl vorsichtig optimistisch. Doch bisher sieht es danach aus, als | |
würde das Auswärtige Amt – das unter Heiko Maas (SPD) den Eindruck | |
erweckte, Familienzusammenführungen eher zu verzögern – seine bisherige | |
Praxis auch unter Annalena Baerbock (Grüne) fortsetzt. | |
Auf die Frage der taz, wie die bisher besonders schwierige Prüfung von | |
Anträgen von Eritreern verbessert werden soll, antwortete ein Sprecher des | |
Auswärtigen Amts: „Die Visa-Stellen in den betroffenen Regionen sind | |
angewiesen, den gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum umfassend | |
auszunutzen und nach Möglichkeit auch Wege alternativer Glaubhaftmachung zu | |
nutzen.“ Erst auf Nachfrage räumt er ein, dass diese Anweisung bereits seit | |
2020 besteht. Nach Erfahrungen von Flüchtlingsorganisationen hat sie keine | |
Verbesserungen gebracht. | |
Für die Beschleunigung des Familiennachzugs aus Afghanistan verweist der | |
Sprecher auf eine temporäre personelle Aufstockung der deutschen | |
Auslandsvertretungen in Afghanistans Nachbarstaaten seit der Machtübernahme | |
der Taliban. Er erwähnt unter anderem neun zusätzliche Stellen in Pakistan | |
und zehn in Katar, sagt aber nicht, dass diese in erster Linie für die | |
Ausreise afghanischer Ortskräfte nach Deutschland geschaffen wurden. | |
## 10.000 Euro für den Nachzug? | |
Burkhardt kritisiert das: „Ich fürchte, dass Tausende verzweifelt hoffen | |
und dann bitter enttäuscht werden. In Afghanistan verschärft sich die Lage. | |
Ohne zeitnahe Perspektive auf Ausreise in ein Nachbarland fürchten wir um | |
ihr Leben. Und ohne Zusage zur Weiterreise nach Deutschland sitzen sie in | |
Afghanistan in der Falle, denn Pakistan lässt sie nicht einreisen.“ | |
Pro Asyl wünscht sich, dass Anträge auf Familienzusammenführung in Zukunft | |
durch das in Deutschland lebende Familienmitglied digital gestellt und | |
durch Behörden im Inland geprüft werden. Das würde Zeit sparen und die | |
Betroffenen müssten nicht länger bei Botschaften um Termine bitten. | |
Außerdem müsse, so Pro Asyl, das Auswärtige Amt endlich die Praxis beenden, | |
Antragstellern die Kosten für einen sogenannten „Berliner Vergleich“ | |
aufzubürden. Den hatte zuletzt das ARD-Magazin „Panorama“ dargestellt: Wenn | |
ein Antragsteller auf Familiennachzug gegen den negativen Bescheid des | |
Auswärtigen Amts klagt und sich im Klageverfahren abzeichnet, dass er Recht | |
bekommt, dann lenkt das Auswärtige Amt ein. Bedingung aber: Der | |
Antragsteller zieht seine Klage zurück und trägt alle Kosten des Verfahrens | |
in Höhe von rund 10.000 Euro. | |
Damit ihre Familien aus den Bürgerkriegsländern heraus in Sicherheit | |
kommen, lassen sich Asylberechtigte darauf ein, auch wenn sie oft nur ein | |
prekäres Beschäftigungsverhältnis in Deutschland haben, und verschulden | |
sich. | |
Doch das Auswärtige Amt sieht keinen Änderungsbedarf. Auf eine taz-Anfrage | |
heißt es nur: „Vergleiche sind in solchen Fällen im Interesse der | |
Antragstellenden, da die unstreitige Beilegung für sie Zeit und Kosten | |
spart.“ | |
14 Jan 2022 | |
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[1] /Familiennachzug-aus-Afghanistan/!5798688 | |
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## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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