# taz.de -- Jahrestag Erstürmung der Stasi-Zentrale: 178 Kilometer Akten | |
> Am 15. Januar 1990 kam es zum Sturm auf die Zentrale der Staatssicherheit | |
> der DDR in der Normannenstraße. Daran und an die Folgen erinnert ein | |
> Video. | |
Bild: Besetzung der Stasizentrale in der Normannenstraße, 15. 1. 1990, dabei S… | |
„Man kann ja fast schon guten Gewissens keinem Menschen raten, einen Antrag | |
zu stellen“, sagt Evelyn Zupke. Die Bundesbeauftragte für die Opfer der | |
SED-Diktatur spricht von Menschen, die in der DDR eingesessen haben, | |
bespitzelt und manipuliert worden sind, jetzt vor der Rentenbürokratie und | |
dem Versorgungsamt stehen und ein zweites Mal ausgeliefert sind. „Sie gehen | |
ein hohes Risiko ein, noch kränker zu werden“, ergänzt Stefan | |
Trobisch-Lütge. | |
Der Psychologe und Psychotherapeut hat 1998 zusammen mit dem Bürgerrechtler | |
und Schriftsteller Jürgen Fuchs die [1][„Beratungsstelle Gegenwind – für | |
politisch Traumatisierte der SED-Diktatur“] gegründet und nach Fuchs’ Tod | |
deren Leitung übernommen. | |
Zupke, Trobisch-Lütge und die Bürgerrechtlerin und ehemalige | |
DDR-Oppositionelle Ulrike Poppe haben am Sonnabend in einer von Dagmar | |
Hovestädt vom Bundesarchiv moderierten und seitdem [2][online abrufbaren | |
Podiumsdiskussion über „Die Spuren der Diktatur – 30 Jahre Einsicht in die | |
Stasi-Akten“] gesprochen. | |
Sonnabend, der 15. Januar: Das Datum war nicht von ungefähr gewählt; am 15. | |
Januar 1990, einem Tag so klamm wie heute, war es zum Sturm auf die | |
Zentrale der Staatssicherheit der DDR in der Normannenstraße in | |
Berlin-Lichtenberg gekommen. Ein Foto davon ist am Anfang des | |
Youtube-Videos zu sehen, das die Podiumsdiskussion enthält. | |
## Erstmals Einblick für die Bespitzelten | |
Was da gestürmt wurde, hat [3][der 2021 verstorbene taz-Redakteur und | |
Geheimdienstkenner Wolfgang Gast] einmal plastisch beschrieben: „178 | |
Kilometer Akten hat der Geheimdienst nach seiner Auflösung hinterlassen. | |
Der gesamte Aktenberg bringt etwa 5.340 Tonnen auf die Waage. Hundert | |
Kilometer der Papiere sind heute wie vor Wendezeiten in einem fensterlosen | |
Neubau in der ehemaligen Berliner Stasizentrale an der Normannenstraße | |
gelagert. Die monströsen Ausmaße der MfS-Überwachung schlugen sich sogar in | |
der Architektur der Stasigebäude nieder. Wände und Böden des neunstöckigen | |
Zentralarchivs mussten aus besonders dickem Beton gefertigt werden, damit | |
es den Belastungen durch die gewaltigen Papiermassen überhaupt standhalten | |
konnte.“ | |
Ohne die Erstürmung und Besetzung von 1990 wäre das am 14. November 1991 | |
vom Bundestag verabschiedete Stasi-Unterlagen-Gesetz, das in nüchternem | |
Deutsch die Erfassung, Erschließung, Verwaltung und Verwendung der | |
MfS-Akten regelt, sprich: ein erstes Mal überhaupt Bespitzelten Einblick in | |
die über sie gesammelten Unterlagen ermöglichte, nicht denkbar gewesen. | |
Tatsächlich öffneten sich die Akten dann am 2. Januar 1992, um 7 Uhr früh, | |
wie es im Video heißt. | |
Auf dem Weg dahin bedurfte es übrigens im Herbst 1990 noch einer zweiten | |
Besetzung der Lichtenberger Stasi-Zentrale und eines Hungerstreiks – | |
Aktionen, an denen sich Mitglieder der von 1986 bis 1990 in der | |
Zionskirchengemeinde im Stadtbezirk Mitte beheimateten Ostberliner | |
Umwelt-Bibliothek beteiligten. Es waren vorrangig junge Leute, die die | |
Umwelt-Bibliothek mitgetragen und frequentiert haben. | |
Zu denen, die bei ihm heute Rat und Unterstützung suchen, gehören [4][Leute | |
aus der DDR-Punkszene der achtziger Jahre,] sagt Stefan Trobisch-Lütge, | |
Menschen, die damals in Jugendwerkhöfen und Spezialheimen doch noch auf | |
Linie gebracht werden sollten. | |
Die Atmosphäre dieser Zeit illustriert ein in die Mitte des Videos | |
platziertes Foto: Ein Pkw Trabant steht da wie gestrandet an der Ostsee | |
geparkt, seine Fenster sind von innen beschlagen. Vor ihm hängt ein | |
Lastenanhänger kopfüber im Meer, dessen Grau am rechten Bildrand in den | |
Horizont übergeht. Grau ist ein oft strapazierter Begriff in diesem | |
Zusammenhang, hier aber passt er gut. | |
Die Ostsee markierte nicht das Offene, sondern die Grenze des Landes, daran | |
erinnert Volker Höffer vom Stasi-Unterlagen-Archiv Rostock im Film. Und: | |
Der Strand auf dem Foto ist menschenleer. | |
18 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.beratungsstelle-gegenwind.de/ | |
[2] http://www.youtube.com/c/StasiUnterlagenArchiv/videos | |
[3] /Nachruf-auf-taz-Redakteur-Wolfgang-Gast/!5762490 | |
[4] /Autor-Alexander-Kuehne-im-Interview/!5801068 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
## TAGS | |
DDR | |
30 Jahre friedliche Revolution | |
Stasi | |
Stasi-Unterlagen | |
Video | |
DDR | |
Krimiserie | |
taz Plan | |
Stasiunterlagenbehörde | |
30 Jahre friedliche Revolution | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stasi-Mann vor Gericht: Mord am Tränenpalast | |
Erstmals steht wieder ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter vor Gericht. Ihm | |
wird heimtückischer Mord an einem Polen im Jahr 1974 vorgeworfen. | |
ARD-Krimiserie „ZERV“: Tief im Osten | |
Ermittler, die sich wider Willen zusammenraufen müssen, gab es schon | |
zuhauf. Selten war es so schön wie im ARD-Sechsteiler „ZERV“. | |
Neue Musik aus Berlin: „Wenn die stille See“ | |
Das Debüt des Apregarde Dub Orchestra „gotland wenig ändernd“ ist dunkles | |
Rauschen und Raunen: Voll von Loops und Perkussion, Stimmsamples und Echos. | |
Aufarbeitung von Stasi-Unterlagen: Puzzeln für die Geschichte | |
Vor dreißig Jahren wurde die Stasi-Zentrale in Berlin gestürmt. Die zuvor | |
geschredderten Akten werden noch immer rekonstruiert. Stück für Stück. | |
Sturm auf die Stasi-Zentrale: „Die wollen mithören!“ | |
Am 15. Januar 1990 besetzten DemonstrantInnen die Zentrale der Stasi. Sie | |
standen vor einer Herausforderung: Wie löst man einen Geheimdienst auf? | |
Bürgerrechtler über 30 Jahre Mauerfall: „Ich mag keine einfachen Erklärung… | |
Tom Sello ist Beauftragter des Senats zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. | |
Ein Gespräch über das richtige Erinnern und den Rechtsruck vieler | |
Bürgerrechtler. |