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# taz.de -- ARD-Krimiserie „ZERV“: Tief im Osten
> Ermittler, die sich wider Willen zusammenraufen müssen, gab es schon
> zuhauf. Selten war es so schön wie im ARD-Sechsteiler „ZERV“.
Bild: Karo Schubert (Nadja Uhl) und Peter Simon (Fabian Hinrichs) als perfektes…
Zehn Jahre ist es jetzt her, da gab der Schauspieler Fabian Hinrichs in
einer Episode des München-„Tatorts“ den neuen Kollegen Gisbert Engelhardt:
diensteifrig, distanzlos – eine Nervensäge vor dem Herrn. Etwa zur Halbzeit
des Films wurde er dann dahingemeuchelt, und es hätte damit sein Bewenden
haben können. Müssen.
Mit einem, der „Hopfenkaltschale“ bestellt, möchte man eigentlich kein Bier
trinken gehen. Und doch hatte ausgerechnet dieser Sonderling die Zuschauer
berührt, wie wenige Filmfiguren es vermögen. Eine Facebook-Gruppe „Wir
wollen [1][Gisbert Engelhardt] zurück“ forderte genau das. Aber das ging
natürlich nicht.
Wer tot ist, ist tot. Was ging: ein [2][eigener „Tatort“ für Fabian
Hinrichs], in dem er seit 2015 (neben Dagmar Manzel) als Hauptkommissar
Felix Voss in Franken ermittelt. Der ist nicht ganz so skurril angelegt wie
Gisbert Engelhardt – aber so ein bisschen skurril sind die Typen, die
Fabian Hinrichs spielt, eigentlich immer. Immer so ein bisschen gestelzt
sich ausdrückend. Immer so ein bisschen linkisch. Er hat diesen Typus
perfektioniert.
Das genaue Gegenteil ist zum Beispiel so eine Figur, wie sie Nadja Uhl in
Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ gespielt hat, 2005 war das. So ein das
Herz auf der Zunge tragender Ausbund an Natürlichkeit. Der Inbegriff einer
bedingungslos direkten Ostfrau. Nike hieß sie – sie hat die Zuschauer in
besonderer Weise berührt.
Lange Vorrede, kurzer Sinn: Es ist ein Rätsel, warum in all den Jahren
niemand auf die Idee gekommen ist, Fabian Hinrichs und Nadja Uhl als odd
couple in einem Krimi oder Thriller gemeinsam ermitteln zu lassen. Quasi
ein Selbstläufer wäre das doch geworden. Quasi ein Selbstläufer ist das nun
geworden.
## Richtiges Timing und gut besetzte Rollen
„ZERV“ (Idee: Michael Klette; Regie: Dustin Loose) heißt der Sechsteiler
nach der „Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und
Vereinigungskriminalität“, die es in den Jahren zwischen 1991 und 2000
tatsächlich in Berlin gegeben hat. Der Name der Dienststelle evoziert
bereits alle nötigen Assoziationen in Richtung [3][Stasi-Seilschaften],
MfS-Auftragsmorde und Waffenhandel – da muss man sich dann beim Ausarbeiten
eines irgendwie plausiblen Plots gar keine allzu große Mühe mehr geben.
Da reicht schon eine grob gestrickte Fabel von ein paar alten NVA-Waffen,
die statt in der Verschrottung in einem Flugzeug nach Kroatien landen. Dass
der Luftraum über Deutschland im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert nicht
die karibische See während des goldenen Zeitalters der Piraterie war – oder
dass eine Regierung gegenüber einem bereits gestarteten Flugzeug durchaus
nicht völlig handlungsunfähig ist, wie übrigens der belarussische Diktator
im vergangenen Jahr bewiesen hat: Nein, mit solchen Petitessen der
Plausibilität muss man sich nicht weiter aufhalten.
Muss man wirklich nicht, wenn man solche Schauspieler mit solchem Timing in
solchen Rollen mit solchen Dialogen hat. Bis in die kleinsten Nebenrollen:
Thorsten Merten als Wendeverlierer und Wendegewinner in einer Person; Arnd
Klawitter als Staatssekretär mit Klub- oder Regimentskrawatte und
Siegelring – und Uwe-Barschel-Moment; Fritzi Haberlandt als Fritzi
Haberlandt (hier Uta Lampert genannt, noch so eine Personalunion:
Kriminaltechnik, Computerabteilung und beste Freundin); Rainer Bock als
väterlich die Hand über Hinrichs haltender ZERV-Chef; Leon Ullrich als in
Kurzarmhemd und Krawatte seine Fahne immer schön in den Wind haltender Chef
der Mordermittlerin Karo Schubert (Nadja Uhl).
Schubert steht bald mit Peter Simon (Fabian Hinrichs) vor ihrer ersten
Leiche. Sie, die eingeborene Ostberlinerin in den unvermeidlichen
Moon-washed-Jeans. Er, der notorische Besserwessi, mit einer quietschbunten
Krawatte (ja, auch die Krawattenrollen in dieser Serie sind erlesen
besetzt): Manfred Krug – zu besten „Liebling Kreuzberg“-Zeiten – wäre …
Neid erblasst.
Er: „NVA, das heißt: Vereinigungskriminalität. Und
Vereinigungskriminalität, das heißt: Es ist mein Fall.“
Sie: „Ein Mord bleibt ein Mord. Mein Fall.“
Schon klar: Ermittler, die sich wider Willen zusammenraufen müssen, hat es
schon zuhauf gegeben, ebenso solche, die unbedingt ein privates Trauma mit
sich herumschleppen müssen. Geschenkt. Egal. Wenn es sich um Schubert und
Simon handelt. Wenn sie in Folge fünf zusammen beim Karaoke versacken: wenn
er da Herbert Grönemeyers „Bochum“ anstimmt: „Tief im Westen…“ – u…
ausgebuht wird, vom Ostberliner Publikum. Wenn sie sich erbarmt und „Über
sieben Brücken musst du gehn“ singt, im Duett mit ihm, fast so … berührend
wie Bill Murray „More Than This“ singt, beim „Lost in Translation“-Kara…
Und wenn Simon hinterher zu Schubert sagt: „Sie hören Peter Maffay. Also
das hätte ich ja nicht gedacht.“
22 Feb 2022
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## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Krimiserie
Ost-West
Ermittler
Theater
Tatort
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