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# taz.de -- Treffen Baerbock und Lawrow: Im Osten nichts Neues
> Das erste Treffen von Außenministerin Baerbock mit ihrem russischen
> Außenminister läuft freundlicher als erwartet. Echte Annäherung bleibt
> aber aus.
Bild: Langer Tisch, kurzer Blick: Antrittsbesuch der deutschen Außenministerin…
Kein Foto. Als die deutsche Außenministerin und ihr russischer Kollege am
Dienstag ihr Kennenlernen abschließen, als die gemeinsame Pressekonferenz
in Moskau vorbei ist, stellen sie sich nicht noch mal gemeinsam vor die
Kameras, wie es bei solchen Anlässen üblich ist. Annalena Baerbock und
Sergei Lawrow verzichten in beidseitigem Einvernehmen auf das Ritual. Er
tritt einen Schritt von seinem Podium zurück und weist ihr mit der Hand den
Weg, sie setzt sich ihre FFP2-Maske auf und rauscht mit geradem Blick an
ihm vorbei aus dem Raum.
Mit energischen Schritten, aufrecht und auf beiden Beinen: Für einen
Antrittsbesuch im Gästehaus des russischen Außenministeriums ist das schon
mal was. Seit 17 Jahren macht Sergei Lawrow seinen Job schon. Nach
Turkmenistan steht er damit auf Platz 2 der dienstältesten Außenminister.
Und er hat nicht nur Erfahrung, sondern gilt auch als harter Knochen
[1][mit Hang zur Demütigung] seiner Gäste.
Der Termin am Dienstag versprach also eine harte Probe zu werden für
Annalena Baerbock, die nicht nur frisch im Amt ist und einer neuen
Generation angehört, sondern erklärtermaßen auch noch einen härteren Kurs
gegenüber Russland einschlagen möchte – in einer Zeit, in der im
Ost-West-Konflikt an mehreren Stellen die Eskalation droht.
Rund zwei Stunden sprechen die beiden in Moskau hinter verschlossenen Türen
miteinander. In die Pressekonferenz im Anschluss startet Baerbock ohne
große Einleitung. „Ich bin mit einer dicken Gesprächsmappe gekommen, sie
ist dick, weil es eine ganze Reihe von Problemen zu besprechen gibt, in der
wir große, teils fundamentale Meinungsverschiedenheiten haben“, sagt sie.
## Einander zugehört
Unter anderem: Die über 100.000 Soldaten nahe der ukrainischen Grenze, die
man schwer anders verstehen könne denn als Drohung. Einige
Kooperationsmöglichkeiten habe sie aber auch in ihrer Mappe. In der
Energiepolitik streckt sie die Hand aus, im grünen Wasserstoff steckten für
die Zukunft große Chancen.
Ein paar Höflichkeiten, sonst klare Worte: So hält es auch Lawrow. Es gebe
ein großes Potenzial zur Zusammenarbeit, man schaue nur auf das wachsende
deutsch-russische Handelsvolumen, sagt er. Aber auch, dass er besorgt sei
über die Nato-Strategie, Russland einzudämmen. Er erinnert an die russische
Forderung nach Sicherheitsgarantien und dem Ausschluss eines Nato-Beitritts
der Ukraine. „Wir warten momentan auf die Antwort“, sagt Lawrow.
Neuigkeiten sind das alles nicht. Dass das Gespräch der beiden vor der
Pressekonferenz zwei Stunden dauerte, länger als geplant, mag darauf
hindeuten, dass man einander gut zugehört hat. Eine greifbare Annäherung
ist daraus aber nicht entsprungen.
Im Konflikt um die Ostukraine zum Beispiel appelliert Baerbock erneut, die
Verhandlungen im Normandieformat wieder zu verstetigen. Deutschland,
Frankreich, Russland und die Ukraine sollen also wieder zu viert
besprechen, wie die [2][Minsker Vereinbarungen] zur Befriedung des
Konflikts voranschreiten könnten.
## Geschickte Fokusverschiebung
Moskau sei da ja offen, sagt Lawrow. Kiew aber sabotiere die Minsker
Vereinbarungen. Am Vortag, als Baerbock den ukrainischen Außenminister
traf, klang das ganz ähnlich, nur mit vertauschten Rollen. Die Ukraine habe
ihre Verpflichtungen eingelöst, sagte Dmytro Kuleba dort, nur Russland
liefere nicht. „Die sind schuld!“ – „Nein, ihr wart es!“ Wie es in di…
Situation trotzdem gelingen soll, die Gespräche wiederaufzunehmen, bleibt
auch in Moskau unklar.
Und auch in der Frage des russischen Truppenaufmarschs bleibt die
Annäherung aus. Was Lawrow von den westlichen Sanktionsdrohungen für den
Fall einer russischen Invasion hält? Na was denn: Es gehe um Truppen auf
eigenem Staatsgebiet, da seien Forderungen nicht angebracht. Gleichzeitig
habe die Nato kein Problem damit, Truppen aus Übersee in europäische
Mitgliedsländer zu verbringen. „Hier liegen die doppelten Standards auf der
Hand“, sagt Lawrow und verschiebt so geschickt den Gesprächsfokus.
Kurz vor Ende der Pressekonferenz wechselt die russische Seite komplett das
Thema, weg von Fragen der Sicherheit in Europa. Eine Reporterin von
[3][Russia Today (RT)] erhält das Wort. Sie stellt weniger eine Frage,
sondern erhebt eher eine Anklage gegen Baerbock: Russische Journalisten
seien in Deutschland massiver Diskriminierung ausgesetzt, sagt sie.
Die deutschen Behörden verstießen gegen das Prinzip der Pressefreiheit und
die Europäische Menschenrechtskonvention. Der Hintergrund: Die
Medienaufsicht hatte die Ausstrahlung des deutschsprachigen Kanals von
Russia Today per Satellit im Dezember untersagt, weil er keine deutsche
Lizenz hat. Die hat RT aber auch gar nicht beantragt – wobei ein solcher
Antrag tatsächlich wenig erfolgversprechend wäre, da dem Sender die
vorgeschriebene Staatsferne fehlt.
## Spontane Sorge um die Pressefreiheit
Lawrow aber nimmt die Attacke der Reporterin auf. „Wir sind besorgt
darüber, was mit unseren Journalisten passiert“, sagt er, [4][dessen Land
im Ranking der Pressefreiheit] von Reporter ohne Grenzen auf Platz 150
liegt. Deutschland verstoße gegen internationale Konventionen, fügt Lawrow
hinzu.
Nach ihm bekommt auch noch ein Vertreter des Russischen
Journalistenverbands das Mikrofon, er hat einen schriftlichen Appell dabei,
den er der deutschen Außenministerin überreichen möchte. Eine spontane
Aktion ist das hier nicht. Der Besuch in Moskau wird tatsächlich zur
erwarteten Probe.
Und Baerbock? Reagiert kühl. „Ich kann nur unterstreichen, dass bei uns die
Pressefreiheit bedeutet, dass es keine staatliche Einmischung gibt. Wir
haben eine klare Verfassung, die es verbietet, dass es einen staatlichen
Rundfunk gibt – egal ob der Staat Deutschland, USA oder Russland heißt“,
sagt sie. Dann ist die Pressekonferenz überstanden. Maske auf. Kein Foto.
18 Jan 2022
## LINKS
[1] /Verhaeltnis-EU-Berlin/!5746723
[2] /Ukraine-Gipfel/!5020491
[3] /RT-DE-im-Fernsehen/!5821269
[4] /Pressefreiheit-in-Russland/!5765529
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Annalena Baerbock
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