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# taz.de -- Verhältnis EU-Berlin: Das russische Enfant terrible
> Auf die Ausweisung europäischer Diplomaten durch Moskau reagiert Berlin
> umgehend und weist einen russischen Diplomaten aus. Ein Tiefschlag.
Bild: Der Schein trügt: EU-Außenminister Josep Borrell und der russische Auß…
Moskau taz | Es ist Abendzeit. Nachrichtenzeit. Russlands Erster Kanal
zeigt eine Frau und zwei Männer, rot eingekreist, wie sie über Russlands
Straßen gehen, einer kauft einen Kaffee, fotografiert. Es sind Bilder von
Überwachungskameras, zur besten Sendezeit landesweit ausgestrahlt. Bilder,
die einen diplomatischen Tiefschlag zwischen Russland und Europa offenlegen
– mit Mitteln, die die Diplomatie in der EU längst überwunden zu haben
glaubte. Doch die EU wird hier absichtlich vorgeführt, um zu zeigen, wer
das Sagen hat. Die deutsch-russischen, ja die europäisch-russischen
Beziehungen erleben in diesen Tagen tektonische Verschiebungen. Das hat mit
Alexei Nawalny zu tun, dem vergifteten, zurückgekehrten, inhaftieren
russischen Oppositionspolitiker. Aber nicht nur mit ihm.
Den Konflikt mit Europa führt Russland spätestens seit Moskaus Annexion der
ukrainischen Halbinsel Krim in ruppigem Ton aus. Jetzt geht es einen
Schritt weiter. [1][Aus einem stark konstruierten Grund weist Moskau drei
Diplomaten aus], einen Deutschen, eine Polin und einen Schweden. Die drei,
die das Staatsfernsehen am vergangenen Freitag in seiner Abendsendung
„Wremja“ (Zeit) präsentiert hat: mit Namen, Position, Bild.
Das ist eine höchst ungewöhnliche Praktik im diplomatischen Miteinander.
Die Fotos von den Botschaftsmitarbeiter*innen wurden auf den Straßen
von Moskau und Sankt Petersburg aufgenommen, an einem Samstag, als Russland
nach der Festnahme Nawalnys die größten Proteste seit Jahren erlebte.
Proteste, die die russischen Sicherheitskräfte teils brutal niederschlugen.
Die Diplomat*innen waren dabei ihrer Arbeit nachgegangen. „Sich mit
allen rechtmäßigen Mitteln über Verhältnisse und Entwicklungen im
Empfangsstaat zu unterrichten und darüber an die Regierung des
Entsendestaates zu berichten“ zählt laut Wiener Übereinkommen über
diplomatische Beziehungen zu den Hauptaufgaben von Diplomat*innen.
Dieser Aufgabe waren der Chef der politischen Abteilung in der deutschen
Botschaft Moskau sowie die polnische Diplomatin und der schwedische
Diplomat nachgegangen. Sie beobachteten die Lage. Laut russischen Behörden
hätten sie allerdings an den Protesten „teilgenommen“, das sei nicht mit
dem Völkerrecht zu vereinbaren. Russland erklärte die drei zu unerwünschten
Personen. Berlin hat bereits geantwortet und weist einen russischen
Diplomaten aus. Das ist Usus in der Diplomatie und scheint zwischen
Deutschland und Russland in den vergangenen Jahren trauriger Alltag
geworden zu sein. Im Konflikt um den Ex-Agenten Sergei Skripal hatte Moskau
2018 vier deutsche Diplomaten ausgewiesen, nachdem Berlin kurz zuvor vier
russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt hatte. Auch 2019, im
Zusammenhang mit dem Mord im Tiergarten, hatte erst Berlin, dann Moskau je
zwei Diplomaten ausgewiesen.
## Moskau gibt den Problembären
Dieses Mal war auch der Zeitpunkt der Bekanntgabe von Ausweisungen eine
Machtdemonstration. Ausgerechnet während des Moskaubesuchs von Josep
Borrell, dem obersten EU-Diplomaten, drang die Nachricht nach außen.
Während der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Außenminister
Sergei Lawrow wusste Borrell noch von nichts. Eine bewusste Demütigung des
Europäers, der als Brückenbauer nach Moskau kam, den russischen
Corona-Impfstoff Sputnik V als „gute Nachricht für die Menschheit“ pries
und als dummer, schweigender Schuljunge abgefrühstückt wurde. Dieser
aggressive Akt macht Berlin und Brüssel ratlos. Was ist das Kalkül hinter
diesem Affront?
Darauf eine Antwort zu finden, ist schwer. Egal wie oft und wie deutlich
Moskau seine Position von Souveränität und Legitimität betont, es muss sich
stets erklären, gerät nun auch wegen Nawalny in die Defensive. Kritik mag
es nicht mehr dulden. Es spricht von Dialog und Partnerschaft, geht
allerdings sofort in den Gegenangriff über und redet seine Bedeutung groß.
Der Westen komme ohnehin wieder angekrochen, denke man nur an Syrien, Iran,
ja selbst an die Impfstoffe gegen Covid-19, so die russische Position.
Moskau hat längst erkannt, dass Europa in ihm einen Problembären sieht –
und gibt sich auch als solcher. Dass diese rückwärtsgewandte Politik die EU
vor Probleme stellt, weil die Methoden der Russen bewusst Unsicherheiten
schaffen, verhehlt Brüssel nicht. Durch eigene Probleme in der
Staatengemeinschaft geschwächt, liefert die EU immer wieder Angriffspunkte,
die sich Moskau freudig herauspickt: „Kümmert euch um euch selbst, bevor
ihr anderen sagt, was sie zu tun haben“, ist die russische Haltung.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz waren die Beziehungen zu Deutschland stets
besonderer Natur. Die Causa Nawalny hat sie erschüttert. [2][Berlin nimmt
seit der Vergiftung des Oppositionspolitikers auf russischem Boden eine
scharfe Position gegenüber Moskau ein], mag es auch Nord Stream 2 vom Fall
Nawalny stark trennen. Der Kreml ist enttäuscht und sieht Berlin als
treibende europäische Kraft in der Kritik gegenüber Moskau. Er wünscht sich
durchaus einen Dialog. Aber einen, der nach russischen Regeln funktioniert.
9 Feb 2021
## LINKS
[1] /Verhaeltnis-von-EU-und-Russland/!5749620
[2] /Urteil-gegen-Nawalny/!5744994
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Moskau
Diplomatie
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Alexei Nawalny
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