# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Die Grenzen des Materiellen | |
> Modeschöpfer Akeem Smith als Dancehall-Archivar, Isabella Fürnkäs' | |
> feinnervige Trilogie des Wohnens und noch mehr Wohnen in der Acud | |
> Galerie. | |
Bild: Installationsansicht „Queens Street“ von Akeem Smith bei Heidi | |
Was macht die Kunst mit den Orten, an denen sie zu sehen ist? Durch die | |
großen Fenster eines viele Jahre leer stehenden Ladengeschäfts dringen auch | |
nachts die grandiosen Dancehall-Queens aus Akeem Smiths Videoprojektion auf | |
die Kurfürstenstraße hervor. Hier hat die Französin Pauline Séguin kürzlich | |
die [1][Galerie Heidi] eröffnet. Und in den noch immer nach Leerstand | |
aussehenden Räumlichkeiten zeigt Séguin den hierzulande wenig bekannten | |
Künstler Akeem Smith, Modeschöpfer, Dancehall-Archivar und eine derzeit | |
aufsteigende afro-amerikanische Stimme im US-Kunstbetrieb. | |
Smith, der zwischen New York und Jamaika aufwuchs, verhandelt in seiner | |
wirklich bruten Ausstellungsinstallation – ein Bauwagen-großer Verschlag, | |
eine schwarze Materialcollage, ansonsten viel Leere mit Blick auf das | |
Straßengeschehen – seinerseits das Verhältnis von Stadtraum und der | |
Sichtbarkeit der Nichtgesehenseinwollenden. | |
„Queens Street“ wie die Einkaufsstraße im jamaikanischen Kingston, wo die | |
Menschen mit dem Kauf von Designerkleidung an der Welt teilhaben wollen, | |
nennt Smith den riesigen Armenschrein aus Holz und Wellblech, an dessen | |
Innenwand im Magnetband-Rauschen alter VHS-Aufnahmen die großen | |
Dancehall-Ladies der jamaikanischen Subkultur aus den 1980ern wieder ihren | |
Auftritt haben. Tonspuren aus der US-Reportage „The Secret Selling to the | |
Negro“ preisen dazu im rassistischen Duktus von 1954 die ansonsten | |
gesellschaftlich ausgeschlossenen Afroamerikaner als lukrative | |
Konsumentengruppe an. | |
Auch die im öffentlichen Bild nicht Erwünschten sind sichtbar, so Akeems | |
Message, durch ihre Mode, ihren Sound, ihre Architektur, nicht zuletzt als | |
unleugbarer Wirtschaftsfaktor. Dass sich Akeems Szenario für die | |
gesellschaftlich Ungewollten irgendwie auch direkt vor den Galerievitrinen | |
abspielt, wo auf der Kurfürstenstraße Freier und Sexarbeiter:innen | |
verhandeln, gibt der eigentlich ziemlich tollen Installation bei Heidi eine | |
problematische Wendung, wird hier doch das reale Straßengeschehen, mit | |
seinen realen und harten Schicksalen, zum Display für die Kunst. | |
## Motive des Nomadischen und des Sesshaften | |
Nur wenige Meter entfernt bei [2][Hua International], aber vor solch einer | |
Realität der Straße durch die weißen Wände der Galerie scheinbar geschützt, | |
breitet Isabella Fürnkäs ihre feinnervige Trilogie des Wohnens aus. So | |
konkret der Ausstellungstitel „Build Me a House“, so komplex versteht die | |
Deutsch-Französin darin den Ort des Wohnens als ein diffiziles Gefüge aus | |
Technik, Gesellschaft und Psychologie, an das sie sich mit einem ebenso | |
komplexen künstlerischen Repertoire – von Zeichnung bis multimedialer | |
Installation – heranarbeitet. | |
Zwei Kuppelkonstruktionen aus Aluminiumrohr stellen zunächst das | |
architektonisch fragile, aber atmosphärisch immersive Setting einer | |
Performance, von der wir jetzt nur noch die Hinterlassenschaften sehen | |
können. Membranhafte Textilien und schwere Pflastersteine liegen darin lose | |
herum. Zwei Performer:innen hatten mit diesen zur Eröffnung Motive des | |
Nomadischen und das Sesshaften gegeneinander ausgespielt. | |
Nicht mehr die Beschaffenheit des Materials, sondern die Grenzen des | |
Materiellen selbst beschreibt Fürnkäs in einem weiteren Raum, wo eine halbe | |
Tonne des regelrechten Urstoffs Erde zum Bildschirm einer digitalen | |
Slideshow von privaten Fotos wird. Auf diesen schnell hintereinander | |
gereihten Shots dringen bereits die kritischen psychologischen Momente | |
hervor, die daheim an Küchentischen oder im Bedroom-Selbstgespräch | |
entstehen können und die Ausdruck dessen sind, was Fürnkäs mit ihren | |
blutroten Zeichnungen als schwere, emotionale Schicht in den (Wohn-)Raum | |
stellt. | |
Dass Wohnraum in Berlin heute nicht mehr selbstverständlich ist, vermitteln | |
uns die täglich steigenden Immobilienpreise. „Wer bleibt wo“ stellen da | |
Sonja Hornung und Lena Johanna Reissner ganz konkret die Frage in ihrer | |
kleinen archivarischen Ausstellung „gegen\archive: wer bleibt wo“, mit der | |
die [3][Prater Galerie] zu Gast in der [4][Acud Galerie] ist. Dabei blicken | |
die beiden Kuratorinnen auf das Berlin der Postwende, auf den Prenzlauer | |
Berg und Lichtenberg, wo sich eine Gesellschaft im Umbruch zunächst in den | |
1990ern eigene Orte schaffen konnte, die aber heute vom Verschwinden | |
begriffen sind. Wo sind sie damals hin, die vietnameischen | |
Gastarbeiter:innen der DDR, wo sind sie heute? Eine unbedingt | |
sehenswerte Dokumentation mit 12 Künstler:innen über Orte der Aktion, | |
der Solidarität und was davon heute übrig ist. | |
8 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.heidigallery.com/ | |
[2] https://hua-international.com/ | |
[3] https://pratergalerie.de/de/prater-galerie/event/gegenarchive-wer-bleibt-wo/ | |
[4] https://acudmachtneu.de/events/1803/gegenarchive-wer-bleibt-wo/ | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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