# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Der Blick zurück | |
> Becky Beasley geht auf Spurensuche im eigenen Werk, im Bärenzwinger | |
> untersucht eine Gruppenschau die queere Vergangenheit am Ort. | |
Bild: Arbeit von Christa Joo Hyun D'Angelo in der Ausstellung „Into the drift… | |
„I have always been quite quirky, queer, quer is the German root. I am odd, | |
oblique, off-centre. As I said, quirky. It turns out – could you even | |
believe it? – I am actually autistic. Oh, and progesterone intolerant.“ Die | |
Sätze stammen aus dem Begleittext „Fragments of Sensivity“, den die | |
britische Künstlerin Becky Beasley gemeinsam mit KW-Kuratorin Anna Gritz zu | |
ihrer aktuellen Einzelausstellung in der [1][Galeria Plan B] verfasst hat. | |
Spät erst erhielt Beasly die Diagnose Autismus, die sie als „eines der | |
seltsamsten Happy-Ends“ beschreibt, das aber weder wirklich happy sei, noch | |
etwas mit einem Ende zu tun habe. | |
Von eben diesem Happy-End, das keines ist, erzählt die Schau, von der | |
Freude daran, dass die Dinge, die Emotionen, die Symptome, die sie | |
jahrzehntelang beschäftigten, auf einmal irgendwie Sinn ergeben, die | |
Depressionen, Burn-Outs, die Erschöpfung, die Verunsicherung, die soziale | |
Ausgrenzung; von dem guten Gefühl, endlich einen Anhaltspunkt zu haben, die | |
eigene Komplexität zu verstehen. Autismus wird stereotyp mit Männern | |
verbunden, Frauen gar nicht erst darauf untersucht. | |
Beasleys Ausstellung in der Galeria Plan B gleicht so gesehen einer | |
Spurensuche, einer Rückschau auf sie selbst als „Highly Sensitive Person“, | |
als Künstlerin in der Mitte ihrer Karriere. „H. S. P. (or Promising | |
Mid-Career Woman)“ lautet ihr Titel entsprechend. „Back!“, zurück, ihrem | |
Aufruf kann man sich kaum entziehen, er findet sich etwa auf den Drucken an | |
der Wand, vorausgesetzt man ignoriert ein halbes L. | |
Retrospektiv scheint alles auf einmal noch mehr aufeinander zu verweisen, | |
die Assemblagen aus Büchern und Keramik, die Fotografien und | |
Installationen, oder Vorahnungen zu geben, wie jenes Selbstporträt der | |
Künstlerin in wilder grauer Perücke: „Me as Andy“ (1996). Auch die drei | |
blassrosa Vorhangformationen hängen nicht einfach irgendwie da, sondern | |
ergeben, von oben betrachtet, wieder die drei Buchstaben H, S und P. | |
Beasleys Schau ist eine sehr persönliche, vieldeutige Annäherung an das | |
Gefühl des Andersseins voller Puzzlesteine mit unebenen Kanten. | |
## Cruising-Geschichte im Köllnischen Park | |
Zurück blickt auch die Gruppenausstellung „Into the drift and sway“ im | |
[2][Bärenzwinger]. Anhaltspunkte sucht sie für eine mögliche queere | |
Geschichte des Ortes und seiner Umgebung. Eine Cruising Area könnte der | |
Köllnische Park Anfang des 20. Jahrhunderts durchaus gewesen sein. | |
Zumindest haben die beiden Kurator*innen Malte Pieper und Lusin Reinsch | |
Indizien in diese Richtung gefunden. Seine Lage am Wasser und nah zu in | |
jener Zeit vom queeren Publikum frequentierten Lokalen spricht unter | |
anderem dafür. Später, zu DDR-Zeiten, so heißt es, sollen sich an den | |
öffentlichen Toiletten am Märkischen Ufer schwule Männer getroffen haben, | |
im Bärenzwinger selbst arbeitete in den 1970ern ein Aktivist als | |
Tierpfleger. Von all dem ausgehend haben Pieper und Reinsch sechs | |
Künstler*innen eingeladen, dieser Vergangenheit und ihrer Gegenwart | |
nachzuspüren. | |
Sehr direkt zeigt sich der Bezug zur Cruising-Kultur in der Skulptur | |
Constantin Hartensteins. Der Künstler hat eine der Türen jener ikonischen | |
historischen Klohäuschen, des sogenannten „Café Achteck“, aus Epoxiharz | |
nachgegossen, giftig blau jedoch, nicht dezent dunkelgrün wie das Original. | |
Einzeln hängt die Tür in einem der Käfige von der Decke. Ist es vielleicht | |
die achte, die bei den Bedürfnisanstalten fehlt, so dass das stille Örtchen | |
stets ein öffentliches bleibt, die Intimität, die dort stattfindet, | |
jederzeit gestört werden kann? | |
Christa Joo Hyun D’Angelo bespielt den zweiten Käfig und verweist dabei auf | |
die toxischen Aspekte des Begehrens, auf die Momente, in denen es kippt, in | |
denen aus einem lustvollen Sich-Ausliefern ein Ausgeliefertsein wird. „He | |
loves me / He loves me not“, läuft vom Neonschriftband – die Sätze haben | |
bekanntlich schon Fausts Gretchen kein Glück gebracht. Spielerischer fällt | |
Lotte Merets Beitrag aus. Die Künstlerin lädt im Eingangsbereich zum | |
Mitmachen ein. Die Wände hat sie mit Grafiken überzogen, die ein wenig nach | |
Jugendstil und Art Nouveau anmuten. Mal ins Groteske, mal ins Comichafte, | |
mal offensichtlicher ins Explizite kippen die Formen, die | |
Besucher*innen mit Wachsmalstiften ausmalen und mit ihren eigenen | |
Fantasien ergänzen können. | |
14 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.plan-b.ro/exhibitions/ | |
[2] https://www.baerenzwinger.berlin/Aktuell/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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