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# taz.de -- Ausstellungsempfehlungen für Berlin: Wer braucht schon Köpfe?
> Galli lässt bei Brunand Brunand die Monster raus. Christian Falsnaes lädt
> zum Festmahl. Und der Amtsalon kehrt wieder zurück.
Bild: Installationsansicht, Galli, Absage ans Paradies, brunand brunand, Berlin…
Nein, sie mochte es nicht in Italien, nicht in Florenz. Eingezwängt fühlte
sich die Künstlerin Galli in den schmalen Gassen, die „unheimlich
martialischen Renaissancebauten“, die „abgelutschte Agfacolor-Ästhetik“,
gefielen ihr einfach nicht. In der Realität, konstatiert sie, seien die
italienischen Städte unerträglich.
Man kann das nachlesen in Auszügen eines Interviews aus dem Jahr 1991, das
die Galerie brunand brunand, die gerade eine Einzelausstellung der Berliner
Malerin ausrichtet, auf die Rückseite ihres Pressetextes gedruckt hat.
„[1][Absage ans Paradies]“, der Titel der Ausstellung, bezieht sich darauf,
es ist eine Absage an das vermeintliche Paradies im Land des dolce vita.
Galli, die mit bürgerlichem Namen Anna-Gabriele Müller heißt und 1944 im
Saarland geboren ist, wurde mit ihrer Malerei in der Zeit bekannt, als die
sogenannten „Neuen Wilden“ angesagt waren, eine Gruppe zumeist männlicher
Künstler, die mit unbekümmerter, eben wilder, expressiver, figurativer
Malerei auf sich aufmerksam machten.
So ganz passte sie da nie hinein, hintersinniger war ihre Kunst stets,
zeitkritischer, feministischer. Lange Zeit war es still um sie,
wiederentdeckt wurde Galli unter anderem [2][bei der vergangenen Berlin
Biennale].
1990 war sie als Stipendiatin der Villa Romana in Florenz. Aus dieser Zeit
stammt der größte Teil der großformatigen Gemälde und der Zeichnungen in
der neuen Ausstellung. Eine ebenfalls gezeigte Gruppe kleiner
Karteikartenzeichnungen entstand kurz davor, 1989. Irre toll sind allein
die schon, die kleinen mit dem Kugelschreiber bekritzelten Papierbögen. In
jeder dieser Zeichnungen könnte man sich verlieren, in der Art und Weise,
wie Galli den täglichen Horror, das Banale, das Abwegige, das große Ganze
magisch verwandelt.
In ihrer Malerei begegnen sie einem dann noch plastischer, die von ihr
geschaffenen Monster, Organismen, Leiber mit so sehr ins Extreme
vergrößerten Armen und Beinen, dass für Köpfe offenbar kein Raum mehr war.
Aber wer braucht schon Köpfe bei diesen Körpern? Und wer braucht schon
Italien, wenn man sich im nasskalten Berlin solche Kunst anschauen kann?
Zu verdanken ist das Daniela Brunand und Christian Falsnaes, die erst im
Frühjahr 2021 brunand brunand gegründet haben. Falsnaes wiederum ist
aktuell auch selbst in einer Einzelausstellung zu sehen. [3][„Feast“ heißt
die Schau bei PSM], die das zehnjährige Jubiläum der Zusammenarbeit des
Künstlers mit der Galerie markiert.
Kurz bevor diese eröffnet wurde, veranstaltete Falsnaes in den
Räumlichkeiten eine Dinner-Performance, lud zu einem Abendessen ein, aus
dem sich schließlich etwas anderes entwickelte. Ein Happening nämlich,
dessen Überreste sich nun in der Galerie mit dem Video überlagern, das
davon gedreht wurde. Falsnaes ist darin zu sehen, wie er fast nackt in
Pseudorockstarpose Spiegel zertrümmert, die Dinnergäste, wie sie nach
Aufforderung des Gastgebers Wände und Böden mit färbenden Lebensmitteln
beschmieren.
Manche gehen darin auf, andere eher weniger, wirken zumindest etwas
unentspannt. Menschen in soziale Ausnahmesituationen zu bringen, sie
herauszufordern und die Dynamiken in einer mehr oder weniger
zusammengewürfelten Gruppe zu erproben, darum geht es bei Falsnaes immer.
Die neue Performance als Ganzes kann auch als eine Art Medley gelesen
werden, der Künstler zitiert sich darin ungeniert selbst, sie ist Rückblick
und Aktualisierung zugleich.
Beim kommenden Amtsalon [4][haben PSM einen anderen Künstler im Gepäck];
die Galerie plant eine Einzelpräsentation von Daniel Lergon. Am 1. Dezember
eröffnet [5][die zweite Ausgabe der Berliner Salonmesse] unter Beteiligung
von insgesamt 21 Berliner Galerien – darunter Carlier Gebauer, Kraupa
Tuskany Zeidler und Sprüth Magers – und strengen Hygienemaßnahmen (es gilt
2G+, Zeitfenster müssen vorab gebucht werden).
Im Juni hatte das Format in den verwinkelten Räumlichkeiten des ehemaligen
Charlottenburger Amtsgerichts Premiere gefeiert und war damals sowohl bei
den ausstellenden Galerien als auch beim Publikum gut angekommen: Der
besondere, sorgsam sanierte Ort in Zusammenspiel mit der Kunst, die
Atmosphäre, die kollegiale Stimmung – und auch die vergleichsweise
niedrigen Teilnahmekosten für Galerien – machten die Pop-up-Messe attraktiv
für alle Beteiligten.
Fast schon Enthusiasmus war damals zu verspüren. Dass es nun eine
Fortsetzung geben wird – im Juni stand das noch in den Sternen – ist eine
sehr gute Nachricht für den Berliner Kunstmarkt. Und auch für alle, die
gerade auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken sind.
29 Nov 2021
## LINKS
[1] http://www.brunandbrunand.com/
[2] /Berlin-Biennale-2020-eroeffnet/!5708374
[3] https://www.nordischebotschaften.org/ausstellungen/christian-falsnaes-feast
[4] /Kunstmarkt-Berlin/!5777553
[5] https://amtsalonberlin.de/
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
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