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# taz.de -- Ausstellungsempfehlungen für Berlin: Unbekannten Formen auf der Sp…
> Kirsi Mikkolas Malerei verschafft sich bei Nagel Draxler Raum. Gleich in
> zwei Galerien zu sehen ist Amy Sillman: bei Hetzler und Capitain Petzel.
Bild: Installationsansicht von Amy Sillman „Rock Paper Scissors“ bei Capita…
Als Erstes schießt einem von der Stirnwand der [1][Galerie Nagel Draxler]
dieses irre strahlende Gelb entgegen, das um den eigenen Glutkern rotiert,
in die Tiefe des Bildraums wabert und an anderer Stelle drei kleine rote
Feuereier legt. Wurde dadurch der Waldbrand entfacht, den man bei der
dunklen holzbraunen, da und dort grün verzweigten Vertikalen am rechten
Bildrand lodernd zu erkennen glaubt? Samt einer schwarzen Rußfahne, die
emporsteigt.
Es braucht das große Format von 190 x 209 cm, das die finnische Künstlerin
Kirsi Mikkola „Gelée Royale“ (2021) gegeben hat. Der expressive Duktus
ihrer gestischen Abstraktion fordert Raum. Raum, in dem die
Betrachter*innen im Gewirr der Farbschleifen dann auch den lässigen
Typen mit Hut, Sonnenbrille und den schlanken Damenbeinen entdecken: „Timo“
ebenfalls aus diesem Jahr und stolze 180 x 209 cm an der Wand.
Sein Porträt mit dem sehr typischen Mund flackert dann einmal als einer der
„Kindred Spirits“ über die Leinwand. Ein solcher freundlicher, kluger Geist
ist Timo Miettinen, [2][der in seiner Sammlung] Künstlerinnen nicht scheut.
Denn wie es der Pressetext [3][zur Ausstellung] sagt: Kirsi Mikkola gehört
zu einer Generation von Künstlerinnen, die ihre Karriere in den 1990er
Jahren begannen und zu denen etwa Charline von Heyl, Amelie von Wulffen
oder auch Amy Sillman gehören.
Talentierte, erfolgreiche Künstlerinnen, die aber dennoch „von einer
starken männlichen Unterströmung aus dem Rampenlicht der damaligen Zeit
gezogen wurden, was ihre Sichtbarkeit minimierte und ihnen viele Türen
schloss“.
Jetzt endlich ist die Zeit reif, und entsprechend gilt „Radiant“, wie
Mikkolas Personale (der österreichische Begriff drängt sich auf,
unterrichtete sie doch die letzten Jahre an der Akademie der bildenden
Künste in Wien) betitelt ist, schon als eine der derzeit besten
Ausstellungen in der Stadt.
Zeichnungen aus der Badewanne
Und wie es der Zufall will, lässt sich das Urteil im Vergleich erhärten,
denn Amy Sillman hat gerade bei [4][Capitain Petzel] eine Einzelausstellung
und [5][Max Hetzler zeigt Albert Oehlen] in einer [6][Gruppenschau mit Adam
Pendleton und Pope.L und eben Amy Sillman]. Auch sie bewegt sich mit ihren
„100 from The Bathtub Drawings“ (2015) zwischen Abstraktion und Figuration.
Mal durchzieht einfach ein breiter schwarzer Pinselstrich das weiße Papier
wie ein Spur, die im Sand verläuft, dann scheint er als schwarze
Umrisslinie ein Möbels zu skizzieren, so ein Kästchen auf Beinen; ein
kleiner runder Kreis mit zwei Punkten ist natürlich, wie von jeder
Kinderzeichnung bekannt, ein Gesicht. Aber diese Ausbuchtungen links und
rechts, sind das zwei Hände, die sich die Ohren zuhalten? Oder einfach die
Frisur?
Ja, fragen, vermuten, fantasieren: Die Faszination der Arbeit besteht
darin, all diesen interessanten und eher unbekannten Formen auf die Spur zu
kommen. Und werden die Papiere eigentlich immer in der gleichen Reihenfolge
gehängt? Oder sortieren sie sich bei jeder Hängung neu?
Von Albert Oehlen zeigt Hetzler die schwarzweißen, aus den 1990er Jahren
bekannten Siebdruckleinwände, die er mit Hilfe des Computers erstellte. Ein
Allover tanzender Linien, die Maus zog eben ihre Kreise und Wege und Oehlen
ging da und dort mit Pinsel, Öl oder Acryl dazwischen. Das Programm legte
dann hier und da Pixelnetze über das wild mäandernde Liniengewirr, das
Rasterbildpunktspiralen durchqueren. Am Ende sieht es verdammt nach
Schnittmusterbogen aus, dem Code der Kleiderkunst.
Zeichnung, Sprachbild, Wortkunst, all das steckt wohl in Adam Pendeltons
Griffitimalerei. Die Leinwände des Shootingstars unter den
US-amerikanischen Malern sind abstrakt und doch voller Worte, hinter dem
Schleier der schwarzen oder weißen Sprayfarbe. In „Untitled (WE ARE NOT)“
zitiert er sich selbst, bzw. sein Manifest „Black Dada“, das diesen
wiederholten Satzanfang bei Tristan Tzara zum Ausgangspunkt hat. Pope.L
traktiert ein Raster, das er aus 12 Blick-Art-Radiergummis erstellt hat,
mit Farbe, Kugelschreiberschrift und -linien, oder Spielzeugpinguins, und
auch diese kleinen Materialblöcke oszillieren zwischen Text, Abstraktion,
Landschaft und Assemblage.
Radieschen und Autos
Die Jungs bei Hetzler dürften nicht anders denken als Amy Sillman, die 2020
in einem Interview sagte: „Mein ganzer Antrieb Kunst zu machen, zu
arbeiten, zu schreiben, zu zeichnen, besteht darin, als eine Art
Kombination aus Bricoleur, Flaneur, Voyeur, Radieschenzüchter und
Automechaniker zu fungieren, Teile zu nehmen und mit meiner Arbeit eine
seltsame neue Sprache zu schaffen.“ Und die ist [7][nun bei Capitain Petzel
all ihrer Pracht zu sehen.]
„Rock Paper Sissor“ heißt ihre Ausstellung nach dem klassischen
Entscheidungsspiel, wer eine anstehende, unerfreuliche Aufgabe übernehmen
muss. Sie scheint die Künstlerin in Eindeutigkeit, Nachfolge (samt
Aufbegehren) und vor allem der modernistischen Verpflichtung fürs
Kalkulierbare, für System, Raster, Serie zu sehen, wogegen sie auf die
unüberschaubare Vielfalt der Form setzt.
Und folglich sind ihre Öl/Acryl-Gemälde so lesbar wie sie unlesbar sind,
sie sind so sehr Muster wie Geste, so sehr Abstraktion wie Figur. Sie
zeigen die tollsten Farben wie ein extrasattes Grün oder ein duftiges Pink,
darum gerne dicke schwarze, zeichnerischen Umrisslinien, die an Max
Beckmann erinnern (hier hat Sillman also bei Schere, Stein, Papier den
Kürzeren gezogen).
Ihre Leinwände baut sie in Schichten auf: In zwei Schichten wird ein Körper
oder ein Form gefunden, in zwei Schichten steht dann die Farbe im Zentrum,
in zwei weiteren Schichten wird alles ruiniert, in zwei Schichten werden
Muster gelegt, und die Schichten neun und zehn sind Joker: Alles geht.
Und so findet man sich im „Elbow Room“ wieder, der stolze 180 x 170 cm
misst und entgegen den Assoziationen, die der Titel evoziert, aus zarten
rosaroten bis beigen Linien gebaut ist, plus einer fetten dunkelgrauen
Fläche am unteren Bildrand, die verhindert, dass der Raum davon fliegt. Man
möchte es sich gerne in diesem Raum bequem machen.
20 Nov 2021
## LINKS
[1] https://nagel-draxler.de
[2] https://miettinen-collection.de/about/
[3] https://nagel-draxler.de/exhibition/radiant/
[4] /Galerie-Capitain-Petzel-in-Berlin/!5782084
[5] /Kunsttipps-der-Woche/!5789231
[6] https://www.maxhetzler.com/exhibitions/oehlen-pendleton-popel-sillman-2021
[7] https://www.capitainpetzel.de/exhibitions/92-amy-sillman-rock-paper-scissor…
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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