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# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Zwischen den Zeichen
> Queer, Systemresistent, allerlei Fäden: Die Punklegende Vaginal Davis
> lädt zum Pavilion; Jean-Ulrick Désert zeigt Textiles zu Stasi und „dem
> Speck“.
Bild: Installation view, Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, Galerie Isabella B…
Genuss einer Vaginal Davis ist geistig, ist politisch und ist Trash, dem
guten, bildungselitären Geschmack widerstrebender Trash. Bei [1][Isabella
Bortolozzi] hat die Blacktress, die im Untergrund einer queeren Punkszene
im Los Angeles der 1970er und 1980er Jahre zur Künstlerin wurde, ein
Pantheon der geistigen Freuden angelegt.
Ihre Ausstellung „The Wicked Pavilion“ ist ein dichtes, in Pink getauchtes
Arrangement an Zeichen, Worten und Personen (in seinem tiefen Inneren: ein
rotierender Penis aus Pappmaché). Geschriebene und noch zu schreibende
Buchtitel liegen auf Regalen, ebenso Auszüge aus ihren Fanzines, gemalte
und gedruckte Porträts von Joan Didion, Eve Babitz, Lucille Clifton,
Octavia Butler, von Cholitas und von Queens füllen die Wände. Und so ist
„The Wicked Pavilion“ auch der Olymp von Freund:innen im Leben wie im
Geiste der Vaginal Davis, von jenen Kämpfer:innen eines feministischen,
queeren, kommunistischen, antirassistischen, dekolonialen Denkens.
Diese Ausstellung ist vieles: In der Galerie am Schöneberger Ufer ist sie
eine eigene Form der Kunstinstallation und im Nebenraum [2][Eden Eden] eine
Dokumentation über das unermüdliche Just-do-it der Performerin, Musikerin,
Malerin, Bloggerin, Regisseurin, Vermittlerin für alles aus dem
künstlerischen Underground, Gastgeberin und Agitatorin Vaginal „Creme“
Davis.
Auch zu sehen: Ihre legendäre DIY-Videoclip-Serie „The White to Be Angry“,
untermalt mit Punkmusik der eigenen Drag-Variante. White Suprematism,
Polizeikontrolle und Gewalt gegen People of Color sprengt sie darin mit
subversivem Humor auf. „The Wicked Pavilion“ kriegt alle Hashtags, vor
allem den: #Love.
## „Der Speck“ und die Harfe
Vaginal Davis und Jean-Ulrick Désert könnten sich schon länger aus der
Szene kennen. Beide sind vor vielen Jahren nach Berlin gekommen, noch bevor
Schwarze queere Künstler:innen überhaupt viel Öffentlichkeit erfuhren
(für sein langes künstlerisches Schaffen in Berlin erhält der aus Haiti
kommende Jean-Ulrick Désert jetzt übrigens einen [3][Kunstpreis von Savvy
Contemporary]). Zumindest kennen beide auch den ehemaligen
Panorama-Programmleiter der Berlinale, Wieland Speck. Im „Wicked Pavilion“
ist er – wenn auch versteckt – Teil des Figurenkabinetts und im Projektraum
[4][after the butcher] holt Jean-Ulrick Désert, umgeben von den
Druckarbeiten von Ciara Phillips, eine Stasi-Akte „des Speck“ hervor.
Der Westberliner war 1978 an einer Kunst-Protest-Aktion mit einem weiß
gekleideten Harfenspieler auf der Berliner Mauer als Kameramann beteiligt
(auf [5][Youtube] ist davon eine ebenfalls Punkmusik-untermalte Doku zu
sehen), wodurch Wieland Speck fälschlicherweise als „Der Harfenspieler“ in
die Annalen der DDR-Staatssicherheit einging.
Jean-Ulrick Désert ließ Kopien der originalen Stasi-Akte auf farbige Stoffe
lasern. Hinter Glas gespannt, wirken die Dokumente eines nicht mehr
bestehenden, paranoiden Überwachungsstaats wie im Verfall begriffene
Papyrusrollen.
Auf ebenfalls antik scheinenden Tonscheiben stellt Désert das astrologische
Datum der Aktion dar. Was passiert bei so einem Ereignis? Bürokratisch aber
auch metaphysisch oder gar kosmisch?, fragt Jean Ulrick Déserts in seiner
humorvolle Aufspannung unterschiedlichster Realitäten rund um einen
Mauerauftritt mit Harfe.
## Viertausend Einzelteile
Etwas abseits vom Geschehen einer Ausstellung der Humboldt-Universität im
Tieranatomischen Theater auf einem verwunschenen Teil des Unigeländes hängt
das „Wohl-Temperierte Hygrometer“ von Anna Kubelik und Oliver Schmid.
Irgendwie Wirbelsäule eines gigantischen Urtiers, irgendwie schwebende
Hammermechanik, fertigte Kubelik es aus viertausend Einzelteilen, aus Holz,
aus Rosshaar oder aus Gewichten, als Interpretation des Wohltemperierten
Klaviers nach Johann Sebastian Bach an.
Und: Das fragile Urwesen bewegt sich. Sein Material verändert sich, je
nachdem wie viele Menschen den Raum betreten und die Atmosphäre um kleinste
Nuancen verändern. Noch etwas mehr bringt der Musiker Oliver Schmid das
Hygrometer ins Schwingen, wenn er die Installation während seiner
Performances mit vibrierenden Rhythmen aktiviert.
12 Jan 2022
## LINKS
[1] https://bortolozzi.com/
[2] https://www.eden-eden.com/
[3] https://www.e-flux.com/announcements/440793/jean-ulrick-dsert-receives-inau…
[4] https://www.after-the-butcher.de/en/home-2/
[5] https://www.youtube.com/watch?v=7dnk8IDUUF8
## AUTOREN
Sophie Jung
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