| # taz.de -- Ausstellung über Kindertransporte: „Wenigstens die Kinder retten… | |
| > „Kinderemigration aus Frankfurt“ – die Ausstellung zeigt, wie jüdische | |
| > Kinder den Nazis entkamen. Und wie schwer es war, Aufnahmeländer zu | |
| > finden. | |
| Bild: Lili Fürst, fotografiert in Malmö am 2. August 1944, war eins der Kin… | |
| Weil Diskriminierung, rassistische und antisemitische Verfolgung von Juden | |
| in den 1930er Jahren in ganz Europa anstiegen, kam im Juli 1938 auf | |
| nordamerikanische Initiative [1][die Konferenz von Évian zustande,] auf der | |
| über Hilfe für und die Aufnahme von deutschen und österreichischen | |
| jüdischen Flüchtlingen beraten werden sollte. | |
| An der Konferenz nahmen Vertreter von 32 Staaten und von 24 humanitären | |
| Hilfsorganisationen teil. Es gab zwar einige zahlenmäßig sehr bescheidene | |
| Angebote zur Ansiedlung von Juden – etwa in der portugiesischen Kolonie | |
| Angola oder [2][in der vom Diktator Rafael Trujillo beherrschten | |
| Dominikanischen Republik], aber das einzige greifbare Resultat der | |
| Konferenz war die Gründung des „Comité d’Évian“, das den Auftrag erhie… | |
| mit dem nationalsozialistischen Regime über die Auswanderungsmodalitäten zu | |
| verhandeln. | |
| Angesichts der Zahlen gefährdeter, ausreisewilliger Juden in Deutschland | |
| und Osteuropa war das Ergebnis gleich null. | |
| Das Deutsche Exilarchiv der Nationalbibliothek in Frankfurt zeigt momentan | |
| eine Ausstellung zur „Kinderemigration aus Frankfurt“. Zwischen November | |
| 1938 und dem Kriegsbeginn im September 1939 entkamen, hauptsächlich dank | |
| der Hilfsorganisationen, die die sogenannten „Kindertransporte“ betreuten, | |
| rund 20.000 Kinder der nationalsozialistischen Vernichtungsindustrie. | |
| Rund 600 davon stammten aus Frankfurt, das mit rund 30.000 jüdischen | |
| Gemeindemitgliedern das Zentrum und den Ausgangspunkt für die Transporte | |
| bildete. | |
| ## Regionale, jüdische und kirchliche Organisationen halfen | |
| Für die Kindertransporte war ein ganzes Netz von Organisationen zuständig. | |
| Darunter die Abteilung „Kinderauswanderung“ in der „Reichsvertretung der | |
| Juden in Deutschland“, regionale Institutionen der jüdischen Gemeinden der | |
| Wohlfahrtspflege, das „Palästinaamt“ sowie Hilfsstellen der christlichen | |
| Kirchen sowie der Religionsgemeinschaft der „Quäker“. | |
| Mitzureden hatten auch staatliche Ämter, die bürokratische Regeln | |
| aufstellten, Fragebögen verteilt, die Registrierung verwalteten und | |
| Gutachten über den Gesundheitszustand der Kinder verlangten. Die | |
| Einwanderungshürden waren in den einzelnen Ländern unterschiedlich, aber | |
| für Juden überall hoch und streng quotiert. | |
| In Großbritannien etwa galt seit 1938 eine Visapflicht, in den USA dagegen | |
| eine Quote von 25.975 Personen, die zwar nie voll ausgeschöpft, aber auch | |
| nie erweitert beziehungsweise verringert wurde, was die Zahl der | |
| Einwanderer, die Bürgschaften für den Unterhalt der Eingewanderten oder die | |
| bürokratische Anforderungen betrifft. | |
| In Palästina, einem bevorzugten Einwanderungsland, benötigten Einwanderer | |
| ein Zertifikat der britischen Mandatsregierung, das von deren Vermögen | |
| abhängig war. Solche Restriktionen erklären, warum für viele jüdische | |
| Eltern die Devise galt, „wenigstens die Kinder retten!“. | |
| ## Die Trennung war meistens endgültig | |
| Entgegen der Erwartungen von Kindern war die Trennung von Familie und | |
| Geschwistern und Freunden für die meisten Kinder nicht von kurzer Dauer, | |
| sondern endgültig, denn viele Kinder sahen ihre Eltern und erwachsenen | |
| Verwandten nie wieder, weil diese im Laufe des Krieges verhaftet, | |
| deportiert und schließlich ermordet wurden. | |
| [3][Die Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren wurden nach Großbritannien, | |
| aber auch nach Belgien, Frankreich, in die Niederlande und in die USA | |
| verschickt und kamen in Pflegefamilien oder Kinderheimen unter.] | |
| Die Ausstellung dokumentiert das Exil von sechs Kindern mit Fotos, Briefen | |
| von und an Angehörige, Ausweisen und anderen Dokumenten sowie mit Filmen zu | |
| Interviews mit Überlebenden. | |
| Während der vorzügliche Katalog zur Ausstellung die historischen Umstände | |
| und Bedingungen, unter denen die Transporte stattfanden, detailliert | |
| nachzeichnet, illustrieren Ausschnitte aus Graphic Novels sowie | |
| Comic-Zeichnungen verschiedener Künstler die Biografien der sechs | |
| exemplarischen Kinderschicksale. | |
| ## Rund 600 Fälle aus Frankfurt belegt | |
| Allein aus Frankfurt sind ab November 1938 rund 600 Fälle quellenmäßig | |
| belegt. Die Interviews mit Überlebenden, wofür sich vor allem der „Verein | |
| Jüdisches Leben in Frankfurt“ engagierte, bilden unverzichtbare Dokumente | |
| für die historische Forschung und sichern die Kontakte zu Zeitzeugen. | |
| Die Kinder standen in der fremden Umgebung unter erheblichem | |
| Anpassungsdruck und hatten Sprachprobleme in den Aufnahmeländern und | |
| Pflegefamilien. Die Trennung von der Familie und den Geschwistern prägte | |
| das Leben der Kinder über die Zeit des Exils hinaus, in den meisten Fällen | |
| lebenslang. | |
| Karola Ruth Siegel, die nach ihrer Heirat Ruth K. Westheimer hieß, in Paris | |
| und in den USA studierte [4][und eine beachtliche Karriere als Soziologin | |
| und Sexualtherapeutin machte], die mit der Magnus-Hirschfeld-Medaille | |
| ausgezeichnet wurde, beschrieb den Schrecken, der sie noch im hohen Alter | |
| befällt, wenn sie das fürchterliche Wort „verschollen“ hinter dem Namen | |
| ihrer Mutter liest. | |
| Die Briefe von Eltern an ihre Kinder handeln von Banal-Alltäglichem, zeugen | |
| aber auch von liebevoller Fürsorge und Herzlichkeit, die den Kindern wohl | |
| über Trennungsangst hinweghelfen und elterliche Schuldgefühle verbergen | |
| sollten. | |
| ## Entschädigungsprozesse verliefen bürokratisch | |
| Die dokumentierten sechs Frankfurter Kinderleben von Renate Adler, | |
| Elisabeth Cavelli-Adorno, Lina Liese Carlebach, Josef Einhorn, Lili Fürst | |
| und Karola Ruth Siegel verliefen sehr unterschiedlich, hatten jedoch dem | |
| gemeinsamen Schicksal zu trotzen, dass aus der als temporär verstandenen | |
| Trennung eine unwiderrufliche wurde. | |
| Die Versuche der erwachsen gewordenen Kinder, nach dem Krieg | |
| Entschädigungen für das erlittene Leid und den Verlust ihrer Angehörigen zu | |
| erstreiten, verliefen in vielen Fällen in beschämend langwierigen und | |
| unberechenbaren Bearbeitungszeiten der bundesrepublikanischen | |
| Wiedergutmachungsbürokratie. | |
| 28 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Walther | |
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