# taz.de -- Bilderbuch „Tim, Tom und Mary“: Kinder im Bombenhagel | |
> Clément Moreaus „Tim, Tom und Mary“ ist eine bewegende | |
> Exil-Kindergeschichte aus dem Jahr 1940. Die Cohn-Scheune in Rotenburg | |
> hat sie neu ediert. | |
Bild: Freundliche Farben, aber die Bedrohung ist nie weit entfernt: Blatt aus d… | |
Ein Junge verlässt sein Zuhause. In der Hand hält er einen gelben Koffer, | |
darin eine schwarze Katze, die er nicht zurücklassen will. Hinter ihm | |
frisst sich der Zweite Weltkrieg in die Landschaft, vor ihm liegt eine | |
ungewisse Zukunft. Die Figur des Jungen Tim steht zugleich für das | |
Lebensthema des Künstlers Clément Moreau (1903–1988): Flucht als | |
erzwungener Aufbruch, aber auch als Akt der Selbstbehauptung gegen die | |
Gewalt der Verhältnisse. | |
Moreau schuf die Bilderfolge „Tim, Tom und Mary“ 1940, im Exil in Buenos | |
Aires. Darin verdichtete er die Erfahrung einer ganzen Generation von | |
Geflüchteten: Tim entkommt den deutschen Truppen in Holland, trifft in | |
England auf seinen Cousin Tom und seine Cousine Mary. Gemeinsam mit neuen | |
Freunden scharen sie sich um die Katze. | |
Doch auch in England hageln deutsche Bomben. Tim muss erneut fliehen. Mit | |
Tom, Mary und vielen anderen wagt er die Überfahrt über den Atlantik – nach | |
Argentinien. Die Katze schmuggelt er an Bord, verborgen vor den Blicken der | |
Erwachsenen. Sie wird zum Symbol dafür, dass Menschlichkeit in Zeiten der | |
Entfremdung nur im Zusammenhalt bewahrt werden kann. | |
Die Bilderfolge erschien 1940 in einer argentinischen Zeitung. Nun liegt | |
sie erstmals als Bilderbuch „zum Ausmalen und Erzählen“ für Kinder ab | |
sieben Jahren vor – herausgegeben vom Jüdischen Museum [1][Cohn-Scheune] im | |
niedersächsischen Rotenburg (Wümme), und das in Zusammenarbeit mit der | |
Zürcher Stiftung Clément Moreau. | |
Das Buch geht zurück auf eine Ausstellung vor rund einem Jahr, initiiert | |
von der Rotenburger Exilforscherin Inge Hansen-Schaberg aus dem Vorstand | |
der Cohn-Scheune. Ihr Anliegen war es, das Schicksal von Kindern im Exil | |
sichtbar zu machen. „Wir haben wieder überall Krieg und Flucht“, sagte sie | |
damals, „und viele Menschen, die mit traumatischen Erfahrungen zu uns | |
kommen.“ | |
Clément Moreau, 1903 als Carl Meffert in Koblenz geboren, war sein Leben | |
lang unterwegs. Früh geriet er in Konflikt mit der Obrigkeit, nach dem | |
Ersten Weltkrieg schloss er sich dem marxistischen Spartakusbund an. Nach | |
drei Jahren Zuchthaus zog es ihn in den 1920ern nach Berlin, wo er bei | |
[2][Käthe Kollwitz] lernte, im Umfeld von George Grosz sowie des Bremer | |
Künstlers [3][Heinrich Vogeler] verkehrte. | |
Später entkam er der Gestapo nur knapp – mit einem Sprung auf die Schweizer | |
Seite des Badischen Bahnhofs in Basel. Fortan lebte er im Untergrund. Aus | |
Carl Meffert wurde Clément Moreau, der sich als Gebrauchsgrafiker in den | |
Dienst des Schweizer Proletariats stellte. 1935, an seinem 32. Geburtstag, | |
verließ er Europa mit einem Nansen-Pass für Staatenlose Richtung | |
Argentinien. Dort schlug er sich durch als Karikaturist, Zeichenlehrer, | |
Beobachter. „Von Beruf bin ich Emigrant“, sagte er über sich selbst. Kunst | |
war ihm ein Mittel des Widerstands und der Aufklärung: mit Holzschnitt, | |
Linolplatte und Tusche gegen Armut, [4][Faschismus], Ausbeutung. | |
Moreaus sonstiges Werk ist von scharfen Schwarz-Weiß-Kontrasten geprägt, | |
die die Härte des 20. Jahrhunderts einfangen. Etwa „Nacht über | |
Deutschland“, 107 Linolschnitte, veröffentlicht in südamerikanischen | |
Zeitungen: eindringliche Bilder von Gefängnissen, Folter und uniformierten | |
Hitlerjungen, die den dortigen Lesern das Grauen der deutschen | |
Volksgemeinschaft vor Augen führen sollten. | |
Ganz anders die elf Temperabilder in „Tim, Tom und Mary“: Helle Pastelltöne | |
verleihen ihnen eine spielerische Leichtigkeit, machen sie Kindern | |
zugänglich. Moreau lädt die jungen Leser sogar ein, sieben weitere | |
Zeichnungen selbst auszumalen. Doch inmitten all des Freundlichen bleibt | |
die Bedrohung spürbar – in den Schatten, in den gebeugten Körpern, in der | |
hastigen Bewegung der Figuren, wenn sie in den Luftschutzbunker drängen. | |
Mehr als 80 Jahre später wirkt das alles beklemmend aktuell. Kinder tragen | |
auch heute Katzen durch zerstörte Städte, sie steigen in Boote, suchen ein | |
neues Zuhause. Moreaus „Tim, Tom und Mary“ erzählt ihre Geschichte. Das | |
Buch fordert Empathie ein und verweigert sich zugleich dem Fatalismus: Die | |
[5][Kinder] schaffen es, gemeinsam, trotz allem. | |
21 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Tom Gath | |
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