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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Ohne Eile und in Farbe
> Rhythmus und Struktur: Das Kino Arsenal würdigt das Spätwerk des
> japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu mit einer kleinen Filmreihe.
Bild: Szene aus dem Eröffnungsfilm „Higanbana“ (Equinox Flower)
Zwischen den Dächern einer Vorstadt Tokios blickt man auf einen erhöhten
Weg. Schulkinder ziehen oben nach Hause, ihre Mütter eilen unten entlang.
Vier Jungs haben es nicht eilig, in aller Ruhe spielen sie ihr routiniertes
Spiel, bleiben stehen und der Reihe nach drückt einer dem anderen auf die
Stirn. Der gedrückte pupst kurz.
„Ohayo“ (Good Morning) ist ein Film über die Begeisterung für Fernsehen,
die Modernisierung der japanischen Nachkriegsgesellschaft und Pupse. Er ist
Teil des Spätwerks des japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu.
Das Arsenal zeigt die sechs Farbfilme, die Ozu zum Ende seines sonst
schwarz-weißen Werks drehte, [1][über die Weihnachtstage in einer
Filmreihe]. Die Jungs pupsen nicht einfach nur so, sie haben ihre Ernährung
daraufhin perfektioniert. Auch sonst setzen sie Prioritäten. Statt englisch
zu lernen, verfolgen sie lieber bei den Nachbarn eine Sumo-Meisterschaft im
Fernsehen.
## Erzwungene Modernisierung
Die Brüder Minoru und Isamu sind so fernsehbegeistert, dass sie
beschließen, kein Wort mehr zu sagen, bis auch ihre Eltern einen Fernseher
kaufen. Das stellt sich als verlässlicher Weg der Modernisierung des
Haushalts heraus. Die Erwachsenen tun sich damit schwerer.
Eröffnet wird die Reihe des Arsenal mit Ozus erstem Farbfilm „Higanbana“
(Equinox Flower), ebenfalls ein Film über gesellschaftliche Erneuerung. Der
Geschäftsmann Wataru Hirayama findet es gar nicht witzig, als er
herausfindet, dass seine Tochter Setsuko seine Hochzeitspläne für sie
durchkreuzt hat.
Auch seine jüngere Tochter erklärt ihm strahlend: „Keine Sorge, ich finde
selbst einen Mann für mich.“ Sein Schulfreund Shukichi Mikami hat das
gleiche Problem, seine Tochter hat beschlossen, mit einem Musiker
zusammenzuleben. „Equinox Flower“ ist ein Film über alte Männer, die
gezwungen sind, Anschluss an die Gegenwart zu finden.
Ozus Werk ist geprägt von wiederkehrenden Motiven und Schauspieler_innen
und einem überaus bewussten Einsatz der filmischen Stilmittel. Schon in
dieser Hinsicht bilden die sechs Farbfilme eine Einheit.
## Sorgfältiges Design
Die axialen, symmetrischen Kameraeinstellungen, die reduzierten
Kamerabewegungen werden hier ergänzt durch ein sorgfältiges Farbdesign. Ozu
schafft sich eine eigene Farbordnung, die eine Vielzahl gedämpfter Töne um
einige wenige kräftige Farben – vor allem Rot – gruppiert.
Ozus Farbfilme sind auch eine späte Hommage an das Farbverfahren von AGFA.
Deren Betonung der Rottöne, anfangs auch dafür da, Hakenkreuzfahnen im
richtigen Farbton wieder zu geben, wird bei Ozu einer zivilen Nutzung
zugeführt.
Eine Flasche auf einer Hafenmauer, ein Leuchtturm an der Hafeneinfahrt
gegenüber, dazu das Tuckern eines Bootsmotors. Drei Sprünge der
Einstellungsgröße machen deutlich, dass selbst diese gemächliche Handlung
noch zu viel Aufregung wäre für das verschlafene Hafennest am japanischen
Binnenmeer in „Ukigusa“ (Floating Weeds).
Eine reisende Kabuki-Schauspiel-Truppe kommt in die Stadt, doch das
Publikum bleibt aus und Veränderungen und Neuanfang scheinen
unausweichlich. Mit „Floating Weeds“ hat Ozu ein Remake eines eigenen Films
von Mitte der 1930er Jahre gedreht.
## Die Farbe der Melancholie
Im Programmheft des Arsenals schreibt Milena Gregor, eine der drei
Co-Leiterinnen des Arsenals zur Reihe: „Der Blick auf Ozus sechs Farbfilme
und damit auf den letzten Abschnitt seines Schaffens zeigt indes die
wichtige Erweiterung seines Instrumentariums um ein Stilmittel, mit dem er
nicht nur Geschehen und Stimmungen unterstreicht und kommentiert, sondern
uns nicht zuletzt vor Augen führt, dass auch Melancholie eine Farbe hat.“
Mit der Reihe „Ozu in Farbe – Das Spätwerk von Yasujiro Ozu“ macht das
Arsenal Berliner Kinogänger_innen zum Jahresende ein Geschenk. Die Filme
Ozus sind in ihrer ruhigen Art immer gleichermaßen Gelegenheit zur
Selbstreflexion beim Zusehen und Angebot zum Abtauchen, in den Rhythmus und
die Struktur der Filme und ihrer Handlung.
18 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/8…
## AUTOREN
Fabian Tietke
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