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# taz.de -- Corona in den Kliniken: Ist das schon Triage?
> Auf den Intensivstationen sind viele Betten belegt. Kommt jetzt die
> Triage, oder haben wir sie längst? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Bild: Wenn Patienten nicht mehr aufgenommen und OPs verschoben werden, ist das …
## Was genau bedeutet Triage?
Mal ehrlich, vor der Coronapandemie haben die meisten von uns – sofern
ohne medizinischen Hintergrund – gewiss noch nie von der Triage gehört. Und
auch jetzt wird der Begriff noch häufig missverständlich verwendet. Die
sogenannte Manchester-Triage gilt als Standardprozedere in deutschen
Notaufnahmen. Wer am dringendsten behandelt werden muss, kommt zuerst dran.
Herzinfarkt vor Beinbruch. Auch in der Katastrophenmedizin ist der Begriff
Triage geläufig, bei großen Unglücksfällen etwa, wenn vor Ort priorisiert
werden muss, wer zuerst und in welches Krankenhaus transportiert wird.
In der Pandemie kam die Sorge vor einer Triage schon sehr bald auf,
spätestens mit den Bildern und Berichten aus Italien. Im Frühjahr 2020
wurden in Bergamo bei Dutzenden schwerkranken Patient:innen die Geräte
ausgeschaltet, um Platz für die zu machen, bei denen die Überlebenschance
höher lag.
Seither begleitet die Sorge vor der Triage die Debatte. Als Beispiel wird
regelmäßig der Fall zweier beatmungsbedürftiger Patient:innen
skizziert, für die aber nur noch ein Behandlungsplatz verfügbar wäre. Wer
entscheidet nach welchen Kriterien, wer von beiden behandelt wird? Diese
Form der Triage bedeutet sowohl für die Ärzt:innen und Pflegekräfte als
auch für Patient:innen und Angehörige eine große Belastung.
## Nach welchen Kriterien würde entschieden, wer eine Behandlung bekommt?
Eines vorweg: Verfassungsrechtlich darf ein Menschenleben nicht gegen ein
anderes abgewogen werden. Um bei Ressourcenknappheit trotzdem
verantwortungsvolle Entscheidungen zu ermöglichen, haben mehrere
Fachgesellschaften für Intensiv-, Notfall- und Palliativmedizin sowie die
„Akademie für Ethik in der Medizin“ Leitlinien für Triageentscheidungen in
der Coronapandemie erarbeitet. Die Priorisierung solle sich demnach allein
nach der klinischen Erfolgsaussicht richten und nicht etwa nach der Art der
Erkrankung, dem Alter, sozialen Faktoren oder einer Behinderung. Ende
November stellten die Fachgesellschaften – nach heftiger öffentlicher
Diskussion – auch klar, dass der Impfstatus keine Rolle spielen dürfe.
Die Erfolgsaussicht soll anhand definierter Kriterien zur aktuellen
Erkrankung, zu schweren Vorerkrankungen und dem allgemeinen
Gesundheitszustand beurteilt werden. In die Betrachtung sollen ausdrücklich
auch Patient:innen einbezogen werden, bei denen die
intensivmedizinische Behandlung bereits begonnen hat. Die Entscheidung soll
im Ernstfall von mehreren Vertreter:innen der Intensivmedizin und
Pflege getroffen werden und den Patient:innen und Angehörigen
transparent kommuniziert werden.
Wie ist die rechtliche Lage dann?
In den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften steht: „Eine
abschließende juristische Einordnung ist nicht Gegenstand dieser
Empfehlungen.“ Tatsächlich ist die rechtliche Lage heikel. Vor allem die
Ex-post-Triage, also etwa das Abschalten eines Beatmungsgeräts, um es einer
anderen Person zur Verfügung zu stellen, könnte zur Strafverfolgung führen.
Der Direktor der operativen Intensivmedizin am Universitätsklinikum
Augsburg, Axel Heller, fordert daher klare gesetzliche Rahmenbedingungen.
Die Leiterin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am
Universitätsklinikum Dresden, Thea Koch, warnt allerdings vor einer
gesetzlichen Regelung von Triage-Entscheidungen: „Das können nur die
behandelnden Ärzte im Team unter sorgfältiger Abwägung des zu erwartenden
Heilungserfolgs entscheiden.“ Über die bereits seit anderthalb Jahren
anhängige [1][Verfassungsbeschwerde] einer Gruppe von Menschen mit
Behinderungen, die eine diskriminierungsfreie Regelung der Triage durch den
Gesetzgeber fordert, wurde bislang nicht entschieden.
## Und wie ist die Lage derzeit?
Die Zahl der freien Intensiv- und Beatmungsbetten in Deutschland ist laut
dem Divi-Intensivregister auf den niedrigsten bisher erfassten Stand
gesunken. Zwar gab es zum Höhepunkt der zweiten Welle im Januar 2021 mit
rund 5.700 mehr Covid-19-Erkrankte auf den Intensivstationen. Derzeit sind
es rund 5.000. Aber die Kapazität in den Kliniken ist inzwischen von 12.000
Beatmungsbetten auf 9.000 gesunken. An der technischen Ausrüstung mangelt
es nicht. Doch viele Pflegekräfte haben wegen des enormen Drucks der
vergangenen drei Pandemiewellen den Dienst quittiert oder ihre Arbeitszeit
reduziert. Und Stellen können nicht nachbesetzt werden, weil der
Pflegekräftemarkt leer ist. „Die Situation ist deutlich enger als vor einem
Jahr“, berichtet die Intensivmedizinerin Thea Koch über die Situation an
der Uniklinik Dresden. Die Auslastung der Intensivstationen liege bei 93
bis 95 Prozent. Patient:innen mussten verlegt werden, auch in andere
Bundesländer. Von einer Triage, bei der im Notfall zu knappe
Behandlungskapazitäten nach Überlebenschancen verteilt werden müssen, „sind
wir aber weit entfernt“.
## Manche Mediziner sprechen von einer „weichen Triage“. Was hat es damit
auf sich?
Nicht nur Covid-19-Patient:innen sind von den Auswirkungen der Pandemie
betroffen. Um Engpässe und damit Triage-Entscheidungen in den
Intensivstationen zu vermeiden, müssen Intensivbetten freigehalten werden.
„Verschiebbare Operationen finden nicht statt“, berichtet Koch. Das
betreffe vor allem orthopädische und plastische Eingriffe, aber auch
weniger dringliche Tumoroperationen. Das könne auch mit Nachteilen für die
Patient:innen verbunden sein, genau wie längere Transportwege. „In der
Pandemie sind nicht mehr alle Qualitätsansprüche erfüllbar“, so Koch.
„Auch dringliche Operationen werden jetzt zurückgestellt, bis wieder Plätze
frei sind“, berichtet der Augsburger Intensivmediziner Heller über die
extrem angespannte Lage in Bayern. Das wirke sich natürlich auf den
Gesundheitszustand einzelner Patient:innen aus. „Insofern passiert das,
was wir eigentlich vermeiden wollen, schon die ganze Zeit.“
Der Direktor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln,
Michael Hallek, berichtet von Verzögerungen lebensrettender Versorgungen,
etwa wenn man eine Stunde lang für einen Patienten während eines
Herzinfarkts ein freies Intensivbett suche. „Das ist das, was ich bewusst
weiche Triage nenne“, so Heller.
Der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf, Stefan Kluge, bezeichnet es als „latente Triage“, wenn
spezialisierte Krankenhäuser in den besonders betroffenen Bundesländern
Menschen mit Schlaganfall oder akuter Leukämie nicht aufnehmen können. „Das
findet schon statt in Deutschland“, sagt Kluge.
In den vorherigen Coronawellen wurde auch die Sorge vor einer „stillen
Triage“ in Altersheimen laut, weil ein Großteil der an Covid-19
verstorbenen Bewohner:innen gar nicht mehr ins Krankenhaus kam. Ob es
in solchen Fällen der Wunsch der Bewohner:innen ist, keine
intensivmedizinische Hilfe mehr in Anspruch zu nehmen oder „ein
schleichender Prozess der Triage“ – auch darüber brauche es eine
gesellschaftliche Debatte, fordert Eugen Brysch von der Stiftung
Patientenschutz.
10 Dec 2021
## LINKS
[1] /Richterin-ueber-Triage/!5735415
## AUTOREN
Manuela Heim
Felix Lee
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