# taz.de -- Klinikumsdirektor über Besuchsverbote: „Das Mittel der letzten W… | |
> Wegen Corona haben Krankenhäuser Besuchsverbote ausgesprochen. Thomas | |
> Bartkiewicz vom Klinikum Braunschweig spricht über das Abwägen von | |
> Risiken. | |
Bild: Wie hier in Hessen schließen auch im Norden die meisten Krankenhäuser f… | |
taz: Besuchsverbot. Ein Wort, dass Sie vermutlich nicht gern hören, Herr | |
Bartkiewicz? | |
Thomas Bartkiewicz: Schon allein deshalb nicht, weil „Verbot“ in ihm | |
vorkommt. Verbieten wollen wir ja am liebsten so wenig wie möglich, vor | |
allem im Kontakt zwischen Patient und Angehörigen. Uns ist sehr bewusst, | |
dass ein Verbot immer nur das Mittel der letzten Wahl sein kann. Gerne | |
machen wir das nicht. | |
Im vergangenen Coronawinter sind Menschen einsam im Krankenhaus gestorben. | |
Was ist die Lehre aus 2020/21 für 2021/22? | |
Vor allem, dass wir niemanden einsam sterben lassen. Zudem wenden wir kein | |
Besuchsverbot an, das keine Ausnahme kennt. | |
Zum Beispiel? | |
Patienten im Sterbeprozess können Besuch erhalten, natürlich unter | |
Schutzauflagen. Bei der Geburt darf der Vater anwesend sein. Auch in der | |
Frühchen-Versorgung darf das Neugeborene besucht werden. Hinzu kommen | |
Einzelfallentscheidungen, etwa wenn sich der Gesundheitszustand des | |
Patienten dramatisch verschlechtert, weil er seine Angehörigen vermisst. | |
Und wenn ein Kind stationär aufgenommen wird? | |
Dann nehmen wir auch ein Elternteil bei uns auf. Das gilt dann nicht mehr | |
als Besucher, sondern als Patient. | |
Unter anderem in Krankenhäusern in den Regionen Hannover und Göttingen | |
gelten wegen der verschärften Coronalage Besuchsverbote. Nach welchen | |
Kriterien haben Sie das Verbot bei sich in Braunschweig ausgesprochen? | |
Wir haben uns so lange wie möglich für Besucher offengehalten. Gerade weil | |
wir ein großes Haus sind, mit einer hohen Zahl an Besuchern. Entscheidend | |
war für mich, dass es zu Übertragungen durch Besucher gekommen ist. Das | |
lässt sich auch durch die beste Teststrategie nicht ausschließen. | |
Antigen-Testungen sind ja nicht genau; jeder Vierte wird nicht positiv | |
getestet, obwohl er positiv ist. Wenn das Infektionsgeschehen so groß ist | |
und so das Risiko steigt, dass es durch Besucher zu Infektionen kommt, | |
müssen wir unsere Mitarbeiter und Patienten schützen. | |
Das ist ja auch immer eine Abwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen und | |
dem Schutz der Gemeinschaft. Überwiegt Letzteres grundsätzlich? | |
Das sind zwei gleichgewichtige Güter, und es wäre falsch, sie gegeneinander | |
auszuspielen. Unser Ziel ist es, dass niemand in unserem Haus, gleich wer | |
es ist, eine Infektion erleidet. | |
Woran lässt sich ablesen, dass die Vorteile einer solch harten Maßnahme | |
größer sind als die Nachteile? | |
Dass keine Infektionen durch Besucher auftreten. Um Klarheit zu erzeugen, | |
haben wir das Besuchsverbot erst einmal bis Februar ausgesprochen. Das | |
heißt aber nicht, dass wir es tatsächlich bis dahin aufrechterhalten. Wir | |
wägen immer sehr genau ab, was größer ist: das Risiko der Eintragung von | |
Infektionen oder das Risiko, dass sich das Verbot negativ auf die Patienten | |
auswirkt. | |
Ein Besuchsverbot hinterlässt beim Patienten sicher Spuren. | |
Wenn wir Menschen unsere bekannten, vertrauten Kontaktpersonen wie | |
Angehörige und Partner nicht um uns haben, dann hat das nachweislich | |
negative Folgen. Beispielsweise kann sich der Heilungsverlauf | |
verschlechtern und verlängern. Wir wissen auch, dass es zu depressiven | |
Verstimmungen des Patienten kommen kann. | |
Und was bewirkt es bei Pflegern und Ärzten? Steigt dadurch ihre | |
Arbeitsbelastung noch mehr? | |
Absolut. Wenn Angehörige uns am Patienten nicht mehr unterstützen können, | |
vom Füttern bis zum Anziehen, muss das durch die Pflegekräfte aufgefangen | |
werden, dann steigt ihre Belastung stark. Oder nehmen wir die | |
Medikamentenanamnese: Oft lassen sich Medikamente von akut über die | |
Notaufnahme eingelieferten Patienten nur durch den Angehörigen, der ihn | |
begleitet, leicht identifizieren. Der Patient sagt vielleicht nur: Das ist | |
meine weiße Pille! Aber viele Pillen sind weiß; da hat man dann keine | |
Chance. Auch im ärztlichen Aufklärungsgespräch sind Angehörige wichtig. | |
Bei der Übermittlung schwerer Diagnosen? | |
Genau, etwa bei Krebserkrankungen. Da braucht der Patient die Stütze der | |
Angehörigen. Da braucht er Menschen, die ihn auffangen. Sonst fallen oft | |
schnell Sätze wie: Das schaffe ich nicht, das hat doch alles keinen Zweck | |
mehr! Depressive Verstimmung setzt ein. Wichtige Diagnostiken und Therapien | |
werden dann oft nicht mehr ausreichend vom Patienten unterstützt. | |
Angehörige drehen solche depressiven Kurven oft um, führen den Patienten | |
aus diesem Tal heraus. Wir holen den Angehörigen in solchen Fällen jetzt | |
durch Digitalmedien an den Tisch, durchs Telefon, aber das ist natürlich | |
nur ein Behelf. Gerade vielen Älteren sind diese Medien ja eher fremd. | |
Wie helfen Sie den Patienten Ihres Hauses, diese Zeit der Isolation zu | |
überstehen? | |
Entertainment-Angebote werden in diesen Zeiten natürlich verstärkt genutzt. | |
Hinzu kommen die Online-Anbindungen der Laptops, vom Filmstream bis zum | |
Videochat; da unterstützen wir maximal. Auch unsere Seelsorge haben wir | |
verstärkt, unsere ehrenamtlichen Betreuer motivieren positiv, unser | |
Krankenhaus-Ethikkomitee wirkt beratend mit. Wir federn das Ganze so gut | |
wie möglich nach innen ab. Aber Schönreden lässt sich das natürlich nicht. | |
Wie fühlt sich Ihr Haus in einer solchen Phase der Besucherleere an? Wie | |
ist es für Sie, seine gewandelte Atmosphäre zu sehen? | |
Das ist kein schönes Bild. | |
10 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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