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# taz.de -- Sportjournalismus in der Krise: Lieber irgendwas über Ronaldo
> Zusammenlegung von Redaktionen, Dominanz von Social Media. Was heißt das
> für den Sportjournalismus? Und gibt es noch etwas anderes als Fußball?
Bild: Arbeitsplatz Stadion: Pressetribüne bei der Fußball-WM 2002 in Südkore…
Dieser Text ist quasi ein Blick in den Maschinenraum. Ein Ressort wie der
taz-Sport lebt von der Arbeit freier Journalisten und Journalistinnen. Aber
wovon leben die? Sie bieten Themen und Texte an, die werden angenommen oder
abgelehnt, andere Blätter nehmen diese Angebote vielleicht ebenfalls an
oder lehnen sie auch ab. Doch so einfach geht es nicht mehr.
„Der freie Sportjournalismus steckt in einer veritablen Krise, die sich
seit Corona noch verstärkt hat“, sagt Frank Hellmann aus Frankfurt, Autor
nicht nur der taz. „Definitiv ist das eine Krise“, bestätigt Elisabeth
Schlammerl aus München, auch sie unter anderem taz-Autorin, zudem ist
Schlammerl Vizepräsidentin des [1][Verbandes Deutscher Sportjournalisten]
(VDS), sie sagt: „Ich habe mich gewundert, dass es so wenig Aufschrei gab,
dass die Arbeitsbedingungen schlechter wurden.“
Die Krise, von der alle befragten freien Kollegen sprechen und die auch
Interessenverbände wie der VDS, die Freelancerorganisation Freischreiber
oder die [2][Deutsche Journalisten- und Journalistinnen-Union in ver.di
(DJU)] beklagen, könnten auch die Leser bemerken. „Immer mehr Redaktionen
setzen auf Instrumente wie Readerscan, schauen also ganz genau, was am
meisten gelesen, am meisten geklickt wird“, beschreibt Tobias Schächter die
Lage. „Heraus kommt, dass Geschichten über Cristiano Ronaldo im Blatt
stehen müssen.“ Schächter war lange freier Sportjournalist, auch er schrieb
viel für die taz. Seit zwei Jahren ist er Redakteur der Badischen Neuesten
Nachrichten.
Sport, gleich ob in der Zeitung oder im Fernsehen, online oder im Radio,
ist oft nur noch Formel 1 und Profimännerfußball. „Aber sogar da gibt es
noch eine Verengung“, sagt Schächter. „Nicht mehr die hintergründige
Geschichte über einen Verein, über ein gescheitertes Talent oder Ähnliches
kommt, sondern die kurzfristigen Stargeschichte.“ Die Redaktionen glauben,
solche Storys zu finden, wenn etwa ein Star sich publicityträchtig auf
Social Media präsentiert. Auch Schlammerl sieht die Sogwirkung, die von
Twitter und Instagram ausgeht. „Das führt bei Redaktionen dazu zu sagen: Da
muss kein freier Journalist mehr beauftragt werden, mit dem zu reden, das
schreiben wir selbst.“ Oder man nimmt gleich das getwitterte Zitat und
strickt die Geschichte drum herum.
„Bei Bayern München gibt es keine Mixed Zone“, berichtet Schlammerl, die
den Fußballmeister seit vielen Jahren begleitet, aus ihrer sich
verändernden Berufspraxis. „Man muss die Einschätzungen von Spielern und
Trainern aus Sky oder von Bayern-TV nehmen. Da sind ja Zitate dabei, die
nur bedingt zu gebrauchen sind, und nachfragen kann man auch nicht mehr.“
Weitere Recherche, Gegenchecken, Einordnen, all das gelingt kaum noch.
## „Jupp Heynckes hat mich noch gekannt“
„Für mich war immer wichtig, via Sport etwas über die Gesellschaft zu
lernen, sie besser zu verstehen“, sagt Tobias Schächter. „Solche
Geschichten werden immer seltener gedruckt.“ Und Schlammerl betont einen
weiteren Aspekt, die Kompetenz, die sich aus Kontakten und Erfahrung
ergibt: „Früher war man als Sportjournalist vernetzt, man kannte die Leute
in den Vereinen. Ob mich Julian Nagelsmann heute kennt, weiß ich nicht.
Jupp Heynckes hat mich noch gekannt.“ An den aktuellen Bayern-Trainer kommt
sie spätestens seit Corona kaum noch heran. „Ich habe den Eindruck, dass es
einigen Vereinen ganz gelegen kommt, dass Journalisten nicht mehr so nah
bei ihnen arbeiten“, sagt Schlammerl.
Ein paar Sportarten gibt es weiterhin, die nachgefragt werden und wo die
Expertise von Freelancern gefragt ist: Tennis, Radsport, Boxen, Handball.
Bei Schlammerl ist es der alpine Skisport, „da werden noch aktuelle und
hintergründige Berichte benötigt. Ich bin auch oft vor Ort, das ist für
mich eine berufsethische Frage. Aber ich gelte bei vielen Redaktionen als
Expertin, die auch dann schreibt, wenn sie mal nicht vor Ort war. Im
Fußball ist das anders, da ist ja jeder Redakteur ein Experte.“
Dort, im Profifußball, wurden die Arbeitsbedingungen während der
Coronakrise etwa dergestalt schlechter, dass bei Spielen der
Fußballbundesliga für eine Weile nur maximal 18 Journalisten auf die
Pressetribüne durften. „Wer da keinen Auftrag einer großen Zeitung hat, kam
in der Regel nicht rein“, sagt Frank Hellmann. Noch schlimmer war es in
unteren Ligen. Hellmann: „Ich denke da vor allem an die Freien an der
Basis, bei den unterklassigen Fußballvereinen, die sich für ihre Berichte
im Amateurbereich die Hacken ablaufen.“ Deren Einnahmequelle fiel ein Jahr
lang weg.
Monique Hofmann, Geschäftsführerin der DJU, bestätigt das: „Von der
Coronapandemie sind am stärksten betroffen die freien Journalisten und
Journalistinnen im Kultur- und im Sportbereich.“ Weniger Veranstaltungen,
weniger Aufträge. Und häufig werden noch die Honorarbudgets gekürzt. „Die
Redaktionen bekommen gesagt, wir müssen sparen“, sagt Schlammerl.
## „Nicht alles zu jedem Preis machen“
Oft wurde mit den Sportressorts begonnen, Redaktionen zusammenzulegen.
Texte werden in „Redaktionsnetzwerken“ und „Mediengruppen“ ausgetauscht,
erscheinen dann in mehreren Zeitungen – und werden nur einmal honoriert.
„Wenn du vorher regelmäßig für zehn Blätter geschrieben hast, von denen
aber vier zusammengelegt wurden, hast du nur noch sieben Abnehmer“, erklärt
Tobias Schächter die Situation. „Dieser eine größere hat vielleicht das
Honorar erhöht, aber unter dem Strich kompensiert dir das ja nicht den
Wegfall von drei Auftraggebern.“
Dagegenzuhalten ist schwierig. „Wir empfehlen unseren Mitgliedern, wachsam
zu sein, die Rahmenbedingungen zu beachten und so einen Buy-out zu
verhindern“, sagt Regine Marxen von [3][Freischreiber]. Dazu gehöre auch,
dass zu niedrig honorierte Aufträge ruhig mal abgelehnt werden können. „Man
sollte nicht alles zu jedem Preis machen.“
Frank Hellmann betont, dass es im freien Sportjournalismus stark von der
Eigenleistung abhängt. „Um das ökonomische Niveau zu halten“, so hat er
beobachtet, „ist ein deutlich höherer Aufwand nötig als früher.“ Hellmann
hat gerade dann viele Aufträge, wenn große Turniere anstehen, im Männer-
und im Frauenfußball. „Das läuft immer noch“, sagt er und ergänzt: „Da…
hört man bei der Vor-Ort-Berichterstattung auch mal ein Lob.“ Dies, die
schlechter werdende Kommunikation mit den Redaktionen, beklagen auch viele
Freelancer. „Freie müssen aktiv nachfragen, um nicht aus der Infokette zu
fallen“, sagt Regine Marxen.
Nur wenige Sportressorts hätten die Coronakrise genutzt, um sinnvoll über
ihre bisherige Arbeit nachzudenken, sagt Hellmann, er nennt ein positives
Beispiel. „Die Berliner Zeitung hatte Freie angeschrieben, sie sollten sich
Gedanken etwa über größere Porträts machen.“ So schrieb er Geschichten aus
dem Triathlon, Frauenfußball oder auch über sportpsychologische und
-medizinische Themen. „Das war zwar Aufwand, aber: Wer kreativ gedacht hat,
der konnte da etwas machen.“
## „Irgendwann tritt die Resignation ein“
Eine andere Form des Arrangements mit den schlechter gewordenen
Verhältnissen hat Monique Hofmann von der DJU beobachtet: „Ich kenne nur
wenige freie Journalisten und Journalistinnen, die nicht noch ein zweites
oder gar drittes Standbein aufgebaut haben.“
Die Zahl der Festangestellten in Redaktionen sinkt seit Jahren. Eine im
März 2021 vorgestellte Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München
zeigt: Über 60 Prozent der hauptberuflichen Journalisten sind mittlerweile
Freelancer. Von denen schätzt nur ein knappes Viertel die eigene berufliche
Situation als „sicher“ oder „eher sicher“ ein. „Es gibt Freiberufler …
Überzeugung, die auch in diesem Beruf bleiben wollen. Aber irgendwann tritt
die Resignation ein“, sagt Hofmann. „Der Wechsel in die Festanstellung ist
sehr schwer geworden, oft wird dann die Branche gewechselt.“
Tobias Schächter wurde nach zwanzig Jahren freiem Sportjournalismus, unter
anderem hat er eine Weile aus der Türkei berichtet, als Redakteur
eingestellt. „Ich hatte als Reporter immer geschrieben, jetzt bin ich
Editor. Das ist ja fast ein Berufswechsel.“ Jungen Journalisten könne er
nur noch zur Festanstellung raten, sagt er.
Das sehen die anderen Kollegen ähnlich. „So spannend der Beruf auch ist:
Nur als Freier oder Freie anzufangen, kann ich ruhigen Gewissens keinem
jungen Kollegen empfehlen“, sagt Frank Hellmann. Und auch die Option, eine
Weile frei zu arbeiten und auf eine Festanstellung zu hoffen, funktioniere
kaum noch: „Bis sich ein verlässliches Netzwerk aufgebaut hat, vergehen
viele, viele Jahre.“ Das würde nicht mal mehr in Ballungsgebieten wie
Hamburg, Berlin, Frankfurt, Köln oder München funktionieren.
Und Elisabeth Schlammerl, die sich auch in der Interessenvertretung VDS
engagiert, rät unter 50-jährigen Kollegen, sie sollten schauen, dass sie in
eine Festanstellung kommen. „Die Unter-30-Jährigen können sich multimedial
aufstellen, aber die etwas Älteren sind meist nicht in all diesen Bereichen
fit. Und Leute in meinem Alter hangeln sich durch.“ Nachteil dieses eher
traurigen Befundes: Nur wenige Kollegen und Kolleginnen, die den freien
Beruf verlassen, bleiben im Sportjournalismus. Pressestellen, PR-Agenturen
oder gleich ganz andere Berufsfelder sind die Optionen.
So weit der Bericht aus dem Maschinenraum, zurück in die Redaktion.
Disclaimer: Der Autor ist selbst freier Sportjournalist. Er ist zudem
Mitglied der erwähnten Interessenvertretungen VDS, Freischreiber und DJU.
10 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.sportjournalist.de/
[2] https://dju.verdi.de/
[3] https://freischreiber.de/
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Sport
Sportjournalismus
Journalismus
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