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# taz.de -- Kein Sport mehr bei „New York Times“: Mehr als Spielergebnisse
> Die Sportredaktion der US-Zeitung „New York Times“ wird aufgelöst. Dabei
> hatte sie Sport stets als gesellschaftliches Phänomen begriffen. Was ist
> da los?
Bild: Koppelt fleißig aus: „New York Times“, Hauptgebäude in New York City
Als George Vecsey vergangene Woche erfuhr, dass seine ehemalige Redaktion,
die Sportredaktion der [1][New York Times] (NYT), nach mehr als 100 Jahren
[2][schließt], musste er nicht lange überlegen, woher er in Zukunft seine
Sportnachrichten bezieht.
„Ich werde die Kolumnen von Sally Jenkins in der Washington Post lesen,
europäischen Fußball im Guardian verfolgen“, sagte der preisgekrönte
Reporter. Und über die New Yorker Mannschaften wird sich Vecsey in Zukunft
bei der New York Post und beim New York Newsday informieren.
Was Vecsey nicht tun wird, ist, den Athletic lesen. Der Athletic ist jenes
Sportportal, das die NYT vor gut anderthalb Jahren für 550 Millionen Dollar
gekauft hat, um es gemeinsam mit ihrem Abo den Lesern als Digital-Paket
anzubieten. Ab jetzt gibt es auf der NYT-Website nur noch
Athletic-Sportnachrichten, im Einzelfall werden auch Artikel von Athletic
für andere Ressorts der Printausgabe der NYT verwendet.
Vecsey interessiert das jedoch nicht. „Es gibt viele Portale mit
Ergebnissen, Statistiken und Kommentaren.“ Sportberichterstattung für Fans
eben, die wissen wollen, welches Team in der Liga nach oben trendet,
welcher Trainer entlassen wird und wer auf dem Transfermarkt ist. Was es
jedoch nicht oder kaum mehr gibt, ist das, was Vecsey [3][unter
Sportjournalismus] versteht.
Er ist wie viele seiner ehemaligen Kollegen bei der NYT zuerst Journalist
und erst in zweiter Linie Sportenthusiast. Bevor er begann, über Sport zu
schreiben, berichtete er über Armut in den Appalachen. Später war er
Korrespondent im Vatikan. Als Religionsexperte interviewte er unter anderem
den Dalai Lama.
## Versorgung mit täglichen Dramen
Als Sportreporter begleitete Vecsey Lance Armstrong und die Tour de France
und zählte als einer der ersten Journalisten der USA zu den Skeptikern. Er
begleitete die Dopingskandale im Baseball und war daran beteiligt, die
Epidemie der Gehirnverletzungen im Football aufzudecken. Er interviewte
Muhammad Ali und Martina Navratilova und schrieb eine Biografie des
Baseballspielers Stan Musial, der sich als einer der wenigen weißen Spieler
in den 50er Jahren für Integration in seinem Sport einsetzte.
Diese Art des Sportjournalismus, die Sport als gesellschaftliches und
kulturelles Phänomen begreift, wurde von der NYT-Sportredaktion stets
erwartet. Gleichzeitig musste man jedoch die Fans mit den täglichen Dramen
versorgen, wie Vecseys ehemalige Kollegin Lynn Zinser vergangene Woche in
einem vielbeachteten Blog-Post beschrieb. Als NYT-Sportredakteur, so
Zinser, habe man ständig einen Drahtseilakt vollführen müssen.
Auf der einen Seite sollten die Chefs befriedigt werde, denen die Affinität
für den sportlichen Alltag fehlte. Auf der anderen Seite hatte man die
Leser zu bedienen. Dass nun ausgerechnet jener Sportjournalismus gekappt
wird, der die NYT und wenige andere Medien von den Fanmedien unterschied,
hält Zinser für eine große Ironie. „Die einzige Daseinsberechtigung des
Athletic ist jene Art von Sportberichterstattung, für welche die Times
eigentlich keine Geduld und keine Wertschätzung besitzt.“
Gleichzeitig haben jedoch die Medienmanager bei der NYT begriffen, dass es
dafür einen großen Markt gibt. Indem man den NYT-Lesern den Athletic als
Zusatz zum Abo anbietet, kann man jetzt diesen Markt abschöpfen, ohne sich
dabei die Finger schmutzig zu machen.
Die Marke NYT bleibt davon somit unbefleckt. Unter die Räder kommt jedoch
das Nischenprodukt des kritischen Sportjournalismus. Die 35 verblieben
Sportredakteure werden von anderen Ressorts absorbiert.
## Abo-Paket soll locken
Beinahe noch besorgniserregender als jene „Tragödie“ für den
Sportjournalismus, wie es die Wochenzeitschrift The Nation beschrieb, ist
jedoch der medienstrategische Trend des Auslagerns bestimmter Bereiche,
also das Outsourcing klassischer Zeitungsressorts. Wie das
Medienforschungsinstitut der Harvard University „Nieman Lab“ bemerkte,
setzt die NYT voll auf das „Bundle“.
Das bedeutet, dass sich das Geschäftsmodell der Marke immer weiter vom
klassischen journalistischen Angebot entfernt. Der Kunde wird dabei mit
einem Abo-Paket gelockt: Man bekommt die NYT plus Kochrezepte plus
Produktberatung plus Kreuzworträtsel plus Athletic in beliebiger
Kombination.
Bis andere Informationsangebote wie Kultur, Lifestyle und irgendwann auch
die Wirtschaftsnachrichten und Lokales ausgekoppelt werden, ist nur noch
eine Frage der Zeit. Die Zeitung läuft so Gefahr, sich irgendwann
aufzulösen.
25 Jul 2023
## LINKS
[1] /Nach-offenem-Brief-an-New-York-Times/!5917139
[2] /Sportjournalismus-in-der-Krise/!5818672
[3] /Sportjournalismus-in-der-Krise/!5818672
## AUTOREN
Sebastian Moll
## TAGS
New York Times
Sportjournalismus
Medienkrise
Tour de France
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Sport
DuMont Mediengruppe
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