# taz.de -- Kooperation von Zeitungen im Fußball: Grün-weiße Pressevielfalt | |
> Der „Weser-Kurier“ und die Syker „Kreiszeitung“ bekommen ihre | |
> Werder-Bremen-Berichterstattung von der Deichstube GmbH. Das ist kurios. | |
Bild: Der Kiosk dicht, die Stadien leer. Und wer berichtet noch über Werder? | |
Wäre es vorstellbar, dass sich eine Berliner Tageszeitung für die | |
Hauptstadtbericherstattung essenzielle Artikel vom Oranienburger | |
Generalanzeiger liefern lässt? Diese nur leicht schiefe Frage kann man | |
heranziehen, um zu illustrieren, was sich auf dem Zeitungsmarkt in und um | |
Bremen abspielt. Seit Anfang des Jahres arbeiten [1][der Weser-Kurier und | |
die Kreiszeitung aus dem südöstlich von Bremen] gelegenen Syke in der | |
Deichstube GmbH zusammen. Diese liefert für beide die Berichterstattung | |
über Werder Bremen. | |
„Die Deichstube ist die Werder-Redaktion des Weser-Kurier“, steht bei der | |
Bremer Zeitung nun im Netz unter den Werder-Artikeln. Falsch ist das nicht, | |
aber auch nicht präzise: Die sieben Deichstube-Redakteure arbeiten zwar | |
mittlerweile in Bremen, sie stammen aber allesamt von der Kreiszeitung. | |
Es sei ein „Armutszeugnis, dass ein Bremer Verlagshaus nicht selbst in der | |
Lage ist, die Werder-Berichterstattung zu bestreiten“, sagt Regine | |
Suling-Williges, Vorsitzende beim Bremer Landesverband des DJV. Hinzu | |
kommt: Für die überregionale Sportberichterstattung in ihrem eigenen Blatt | |
sind die Bremer auch nicht zuständig, die kauft man bei Madsacks | |
Redaktionsnetzwerk Deutschland ein. | |
Die Kooperation zwischen Bremen und Syke ist die Folge einer Niederlage des | |
Weser-Kuriers. 2017 lagerte er seine Berichterstattung über Werder in die | |
eigens geschaffene Redaktion Mein Werder aus. Ein ambitioniertes | |
Onlineprojekt, das versucht mit einem ähnlichen Angebot der Syker (das | |
zunächst Werderstube hieß, aber schnell in Deichstube umbenannt wurde) das | |
Wasser abzugraben. Als es der Zeitungsbranche bereits nicht gut ging, | |
hatten die Bremer für ihre Werder-Berichterstattung teilweise 13 Redakteure | |
am Start. | |
## Kochen am Spieltag | |
Geld versickerte auch in bizarren Ideen – etwa einer Web-TV-Kochshow namens | |
„Spieltagsküche“. In der erfuhr man dann, dass sich Willi Lemke, | |
langjähriger Werder-Manager, zu Hause gern vorm Kartoffelschälen drückt. | |
Die Videos wurden vor jedem Spieltag produziert, gekocht wurde jeweils ein | |
Gericht, das typisch war für die Region, aus der die gegnerische Mannschaft | |
kommt. Ab 2018 setzte Mein Werder digital dann teilweise auf Paid Content – | |
mit niederschmetternder Resonanz. | |
Es war absehbar, dass den Kampf nur ein Konkurrent überstehen würde, denn | |
auch der SV Werder selbst ist ja ein Marktteilnehmer. Für die reinen Fakten | |
– Welcher Spieler fällt länger aus? Wer wird ausgeliehen? Welcher neue | |
Sponsor steigt ein? – braucht kein Fan traditionelle Medien. Das liefern | |
die Vereine ihm direkt. | |
Hinzu kommt, und das betrifft Redaktionen an allen Profifußballstandorten: | |
Die Vereine reglementieren, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, den | |
Zugang der Medien zu den Spielern. Da geht es um Kommunikationskontrolle, | |
aber auch darum, die Angestellten des Hauses in eigenen Web-TV-Formaten zu | |
präsentieren, um Geld zu verdienen. Wer etwa den „Werder Strom Talk“ des | |
Vereins sehen will, braucht ein Abo, vier Euro im Monat sind dafür fällig. | |
Heinz Fricke ist ein Urgestein des Bremer Sportjournalismus, er war 42 | |
Jahre lang Redakteur beim Weser-Kurier. Der 81-Jährige bedauert zwar, dass | |
seine alte Zeitung die eigenständige Berichterstattung über Werder | |
aufgegeben hat, sagt aber auch: „Das Mein Werder-Projekt war ein | |
Millionengrab, so dass man letztlich gezwungen war, das Angebot von Herrn | |
Ippen anzunehmen.“ | |
## Nicht David gegen Goliath | |
Der „Herr Ippen“ verdient an dieser Stelle natürlich Erwähnung, damit nic… | |
der Eindruck entsteht, dass hier in einem herkömmlichen Sinne David | |
Goliath besiegt hat. Die Kreiszeitung gehört zur Ippen-Gruppe mit | |
Hauptsitz in München. Das von [2][Dirk Ippen geführte Konglomerat] ist | |
unter der Zeitungsverlagen in Deutschland derzeit die Nummer vier. | |
Grundsätzlich handelt es sich beim Deal zwischen Bremen und Syke um ein | |
bekanntes Phänomen: In unterschiedlichen Zeitungen erscheinen teilweise | |
gleiche Inhalte. Jene, die damit kein Problem haben, argumentieren, dass | |
die Leser*innen der Kieler Nachrichten, deren überregionaler Mantel von | |
Madsacks RND kommt, gar nicht merken, dass im überregionalen Teil ihrer | |
Zeitung die selben Texte erscheinen wie etwa in der Leipziger Volkszeitung. | |
Um eine Einschränkung der politischen Meinungsvielfalt handelt es sich | |
trotzdem. | |
Wenn, wie im Fall Deichstube, direkt miteinander konkurrierende Zeitungen | |
auf einem zentralen Feld der Berichterstattung kooperieren, ist das noch | |
eine andere Nummer. Im lokaljournalistischen Bereich bleiben das | |
Großstadtblatt und die Speckgürtelzeitung ja Rivalen. In Verbreitungsgebiet | |
der Kreiszeitung tritt der Weser-Kurier mit eigenen Lokalteilen an (Syker | |
Kurier, Regionale Rundschau). | |
Florian Jamer führt in Syke die Geschäfte der Deichstube GmbH, er sagt, man | |
dürfe das Joint Venture mit dem Weser-Kurier nicht durch die „klassische | |
Brille“ betrachten. Letztlich konkurriere jedes Verlagshaus mit jedem | |
anderen Verlagshaus. Man müsse beim Projekt vielmehr die „ganzheitliche“ | |
beziehungsweise „nationale“ Perspektive im Blick haben. | |
## „Sehnsuchtsort“ für Werder-Fans | |
Drei Millionen Werder-Sympathisanten gebe es bundesweit, sagt Jamer, zwei | |
Drittel davon erreiche die Deichstube online. Fast die Hälfte der Nutzer | |
stamme nicht aus dem „Werder-Land“. Gemeinsam mit dem Weser-Kurier lasse | |
sich die „Markenintensität“ der Deichstube nun noch schneller erhöhen. Die | |
Deichstube inklusive Community, so Jamer weiter, sei neben dem | |
Weser-Stadion der zweite „Sehnsuchtsort“ für Werder-Fans. Ob Journalisten | |
überhaupt „Sehnsuchtsorte“ erschaffen sollten, steht auf einem anderen | |
Blatt. | |
Dass ein Großstadtblatt sich nun von einer Umlandzeitung zentrale Inhalte | |
liefern lässt, ist mehr als nur eine Kuriosität. Denn: Im Verlagsbereich | |
hat die Deichstube in und um Bremen mittlerweile eine Art Oligopol in | |
Sachen Werder. Eine Seite mit Deichstube-Texten findet man etwa auch im | |
Delmenhorster Kreisblatt der NOZ Medien. Auch Nord 24, das Internet-Portal | |
der Nordsee-Zeitung aus Bremerhaven, nutzt Deichstube-Inhalte. | |
Die Kooperationen in Sachen Werder sind nicht zuletzt ein Beispiel für die | |
auch branchenkrisenbedingten Kreuz- und Querbündnisse auf dem | |
Regionalzeitungsmarkt. All die auch Verlagsgruppengrenzen sprengenden | |
Varianten ins Bild zu setzen, wäre wahrscheinlich eine Herausforderung für | |
manchen Infografiker. | |
Eine aktuelle Entwicklung auf diesem Feld: Seit Mitte dieser Woche baut die | |
NOZ die überregionalen Mantelseiten für die Kölnische Rundschau – unter | |
anderem den Sport. Verwunderlich ist das insofern, als die Kölnische | |
Rundschau verlegerisch zur DuMont Mediengruppe gehört, die ja keineswegs | |
ein Branchenzwerg ist. | |
Aber vielleicht hat es ja auch einen gewissen Charme, wenn der | |
überregionale Teil einer Großstadtzeitung nunmehr in einer nicht ganz so | |
großen Großstadt produziert wird. Auf dem Regionalzeitungsmarkt | |
verschwinden jedenfalls die Grenzen zwischen großen und weniger groß | |
wirkenden Namen. Die Geschichte der Deichstube ist ein Beispiel dafür. | |
20 Feb 2021 | |
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[1] /Berichterstattung-ueber-Werder-Bremen/!5727095 | |
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## AUTOREN | |
René Martens | |
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