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# taz.de -- WM im Paraschwimmen: Runter mit der deutschen Brille!
> Von vielen Sportereignissen erfahren wir nur, wenn es deutsche Erfolge zu
> feiern gibt. Dabei gäbe es so viel zu erzählen. Ein Blick nach London
> lohnt.
Bild: Auf dem Weg zu Gold: Elenea Krawzow bei der Para-WM in London
Kleiner morgendlicher Blick in die Agenturen. Welche Nachrichten erreichen
uns eigentlich von der Schwimm-Weltmeisterschaft, was wurde bei den WM der
Paraschwimmer, die derzeit in London ausgetragen wird, großes geleistet?
Was man hierzulande erfährt, ist dies: zwei deutsche Goldmedaillen. Elenea
Krawzow hat über über 100 Meter Brust, Taliso Engel in seiner Startklasse
ebenfalls über 100 Meter Brust, beide jeweils in Rekordzeit. Ein großer
Erfolg für die stark sehbehinderte Krawzow, die nach Paralympics-Kriterien
in der Startklasse S13 antritt. Ein großer Erfolg auch für den gleichfalls
sehbehinderten Engel, ebenfalls in Startklasse S13.
Dass das Brustschwimmen sporthistorisch als deutsche Disziplin gilt, das im
preussischen Militär gelehrt wurde (während andere Nationen lieber das
einfachere und schnellere Kraulen vermittelten), ist ja bekannt – aber
gibt’s in London wirklich nur Brustschwimm-Wettbewerbe? Und sind eigentlich
nur Deutsche am Start? Der Befund der selektiven Nachrichten, die uns
derzeit aus London erreichen, verweist auf ein großes Problem gerade
solchen Sportjournalismus, der mehr leisten will.
Ist eine Sportart – das sichtbarste Beispiel ist der Männerfußball – groß
und global verankert, wird sie am ehesten als ernstzunehmendes Phänomen
wahrgenommen: der Sport als Sport. Handelt es sich aber um Sportevents oder
-arten, die medial nur am Rande auftauchen, dann wird unser Blick auf sie
mit anderen, nationalen Zugängen erreicht: Auch Deutsche unter den Siegern,
denkt man sich als auf die Verbreitung seiner Meldung bedachter
Agenturjournalist, also berichten wir über die. Der Sport nicht mehr nur
als Sport.
## Unerzählte Geschichten
Gewiss, es ist in Zeiten globaler Vernetzung nicht unmöglich, an andere
Informationen über die Paraschwimm-WM zu gelangen. Dass es am Donnerstag
über 100 Meter Schmetterling (Startklasse S9) Doppelgold der Italiener
Federico Morlacchi und Simone Barlaam mit identischen Zeiten gab, ein
hochdramatisches Rennen, wäre eine Meldung wert gewesen. Auch dass es mit
Suyash Narayan Jadhav einen 50-Meter-Freistil-Sieger aus Indien gab, einem
Land, das in den meisten Domänen des Weltsports nicht auffällt, auch nicht
im Schwimmen, wäre etwa eine Story wert. Oder dass London der
Ersatzausrichter dieser WM ist, weil dem ursprünglich vorgesehenen Malaysia
die Spiele wieder abgenommen wurden, denn das Land weigerte sich, Israelis
ins Land zu lassen – das hätte Anlass zu einer sportpolitischen Betrachtung
sein können.
Um nicht missverstanden zu werden: Dass es am gestrigen Donnerstag zwei
deutsche Goldmedaillen in London gab, ist toll, und Elenea Krawzow und
Taliso Engel sollen sich feiern lassen, dass es nur so kracht! Das Problem
sind definitiv nicht die beiden deutschen Brustschwimmer, es sind wir, also
die hiesige Sportöffentlichkeit. Was für ein großer Sport das Paraschwimmen
ist, erfahren wir nämlich nicht, wenn wir es nur unter dem Gesichtspunkt
wahrnehmen, ob „wir“, also die Deutschen gut waren.
Ein unglaublich spannendes Schmetterlingfinale? Uninteressant, weil von
zwei Italienern dominiert! Die anrührende Geschichte eines
Weltklasseschwimmers aus Indien? Och nö, ein bisschen sehr weit weg. Und
dass israelische Sportler nur nach einem sehr anstrengenden politischen
Kraftakt dabei sein durften? Veraltet, diese Meldung gab's doch schon vor
paar Monaten. Seien wir ehrlich: So, wie hiesige Berichterstattung über ein
Ereignis die wie Paraschwimm-WM abläuft, hätten wir nie mitbekommen, ob
Israelis dabei sind oder nicht.
13 Sep 2019
## AUTOREN
Martin Krauss
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Schwerpunkt Paralympics 2024
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