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# taz.de -- Corona-Impfbereitschaft steigt mit 2G: Auf den letzten Pikser
> 2G-Regeln schließen Ungeimpfte von vielen Lebensbereichen aus. Das
> überzeugt nun doch noch einige – zu spät?
Bild: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: 2G auf dem Weihnachtsmarkt am Be…
Leipzig/Berlin taz | Die Schlange vor dem Leipziger Amtsgericht ist
mindestens 200 Meter lang. Es ist der letzte Dienstag im November, und in
dem alten Gerichtsgebäude verabreicht ein mobiles Impfteam gerade
Corona-Impfungen. Viele der Menschen, die hier bei 3 Grad anstehen, wollen
sich boostern lassen. Aber auch Ungeimpfte sind für eine Erstimpfung
gekommen. Manche von ihnen wollen nicht mit der Presse sprechen, andere
jedoch erzählen zumindest anonym von ihren Beweggründen und Ängsten.
Ein 19-jähriger Abiturient wollte sich eigentlich schon im Sommer gegen
das Coronavirus impfen lassen. „Aber meine Mutter ist [1][Querdenkerin],
sie hat mir davon abgeraten“, sagt der junge Mann, der eine Daunenjacke und
grüne Sneaker trägt. „Gestern stand ich dann vorm New Yorker und durfte
nicht rein, weil ich ungeimpft bin.“ Die Kontrolle vor dem Modegeschäft
habe ihn dazu animiert, sich seiner Mutter zu widersetzen. „Ich will im
Winter auch mal shoppen oder Freund*innen im Café treffen dürfen“, sagt
er. Seiner Mutter wolle er die Impfung verheimlichen – aus Angst davor,
dass sie ausrastet.
Für Menschen ohne Corona-Impfung wird es ungemütlicher in Deutschland. Auf
der [2][Ministerpräsidentenkonferenz haben sich Bund und Länder am
Donnerstag] darauf geeinigt, deutschlandweit konsequent die 2G-Regel
umzusetzen. Weite Teile des Einzelhandels, Gastronomie, Theater und Kinos,
Sportstätten: Ungeimpfte müssen künftig draußen bleiben.
Damit kommt jetzt überall, was in einzelnen Ländern wie Sachsen schon seit
zwei Wochen gilt und anderswo zumindest schon in Ansätzen eingeführt worden
war. Wer nicht gegen das Coronavirus geimpft ist, wird aus vielen Bereichen
des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Dazu gilt seit letzter Woche
ohnehin schon bundesweit, dass sich Ungeimpfte testen lassen müssen, wenn
sie den Nahverkehr nutzen oder zur Arbeit gehen. Bevor sich in Deutschland
die vierte Welle in den letzten Wochen unübersehbar auftürmte, hatte sich
die Politik nicht an solche Schritte gewagt.
## Geschäften geht die Kundschaft verloren
Die Einschränkungen für die direkt Betroffenen sind, sofern sie im Alltag
tatsächlich durchgesetzt werden, enorm. [3][Wirtschaftliche Folgen] sind
ebenfalls absehbar, wenn auch nicht in einem solchen Ausmaß, wie es bei
einem allgemeinen Lockdown der Fall wäre: Einzelhandelsverbände klagen
beispielsweise darüber, dass den Geschäften mitten in der Vorweihnachtszeit
ein Teil der Kundschaft verloren geht, während durch Kontrollen zusätzliche
Kosten entstehen.
Dem gegenüber steht die aktuelle [4][Lage in den Krankenhäusern]: Die
Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts stagnierten in dieser Woche zwar
zum ersten Mal seit Langem. Der Sieben-Tage-Mittelwert von 57.341 täglichen
Neuinfektionen ist aber immer noch enorm hoch und es ist unklar, warum die
Kurve im Moment nicht noch weiter steigt: Wirken die Maßnahmen der
vergangenen Wochen schon? Haben genügend Menschen aus eigenem Antrieb ihre
Kontakte reduziert? Oder gibt die Statistik die Wirklichkeit einfach nur
falsch wieder? In seinem Wochenbericht gibt das RKI zu bedenken, dass ein
Teil des Stillstands „regional auch auf die zunehmend überlasteten
Kapazitäten im Öffentlichen Gesundheitsdienst und die erschöpften
Laborkapazitäten zurückzuführen“ sei.
Eine kurzfristige Hoffnung von Bund und Ländern: Die jetzt beschlossene
2G-Regel soll neben einer Reihe anderer Maßnahmen helfen, die Zahl der
besonders riskanten Kontakte zu reduzieren und die vierte Welle auf diese
Weise zu brechen.
## Der Trotz ist offenbar groß
Die zweite Hoffnung, wenn auch eher mittelfristig gedacht: Je mehr der
Alltag ohne Impfung eingeschränkt wird, desto eher könnte die
Impfbereitschaft doch noch steigen – so wie bei dem jungen Mann aus
Leipzig, der gerne shoppen gehen möchte und sich dafür nun seiner Mutter
widersetzt. Im Bundestag mehren sich zwar auch die Stimmen für eine
allgemeine Impfpflicht, einen Beschluss dazu wird es voraussichtlich aber
erst im neuen Jahr geben. Kann in der Zwischenzeit die 2G-Regel die
Impfquote entscheidend nach oben treiben?
Eine Umfrage, die [5][Forsa im Oktober] im Auftrag des
Gesundheitsministerium durchgeführt hat, stimmt da eher skeptisch. Zwei
Drittel der Ungeimpften sagten damals, sie würden sich in nächster Zeit auf
keinen Fall impfen lassen – komme, was wolle. Nur 5 Prozent der Ungeimpften
gaben an, dass sie sich doch noch umentscheiden würden, falls 2G im
Freizeitbereich eingeführt werde. Mehr als ein Viertel wollte sich in dem
Fall hingegen erst recht nicht impfen lassen. Der Trotz ist offenbar groß.
Andererseits war das Szenario zum Zeitpunkt der Umfrage noch eher
hypothetisch. Sobald die Einschränkungen wirklich spürbar sind, könnte es
anders aussehen. Darauf deutet das Beispiel Österreich hin, wo Anfang
November nach Einführung einer strengen 2G-Regel die Zahl der Erstimpfungen
gestiegen ist. Und die [6][Cosmo-Studie der Uni Erfurt], die regelmäßig
Einstellungen zur Pandemie abfragt, kommt zum Ergebnis: In den
Bundesländern, die sich schon im November für relativ strenge Regeln
entschieden haben, ist die Bereitschaft unter Ungeimpften zumindest leicht
gestiegen.
Das schlägt sich auch in den Arztpraxen und Impfzentren nieder. Bundesweit
steigt die Zahl der Erstimpfungen seit Anfang November wieder. Waren vor
vier Wochen 69,9 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, so sind
es heute zumindest schon 71,7 Prozent. Besonders stark fällt der Anstieg
unter anderem im 2G-Vorreiter-Land Sachsen aus. Haben sich dort in der
ersten Novemberwochen nicht mal 10.000 Bürger*innen erstimpfen lassen,
sind es nach der Verschärfung der Regeln zuletzt mehr als 27.000 gewesen.
## „Ich habe ja keine andere Wahl mehr“
Ob der Fortschritt bei den Erstimpfungen allein auf die harten
Coronamaßnahmen zurückzuführen ist oder ob auch Faktoren wie die
dramatische Situation in den Krankenhäusern dazu geführt haben, dass sich
mehr Menschen im Freistaat immunisieren lassen, lässt sich nicht sicher
sagen. Die Umfrage der taz vor der mobilen Impfstelle im Leipziger
Amtsgericht deutet jedoch darauf hin, dass die Einschränkungen für
Ungeimpfte eine erhebliche Rolle spielen.
Ein 46 Jahre alter Handwerker sagt, dass er wegen 3G am Arbeitsplatz
gekommen sei. „Ich habe keine Lust, mich jeden Tag testen zu lassen“, sagt
er. Angst, sich mit Covid-19 zu infizieren und vielleicht auf der
Intensivstation zu landen, habe er keine. Er ist wütend, dass die Politik
ihn durch die Maßnahmen zur Impfung zwinge. „Ich habe ja keine andere Wahl
mehr“, sagt er. Warum er die Corona-Impfung bislang abgelehnt hat, will der
Mann nicht erzählen.
Eine 24-jährige Frau mit schwarz gefärbten Haaren und Septum in der Nase
hatte bislang „keinen Bock“, sich impfen zu lassen. Sie habe erst mal
abwarten wollen, wie andere Menschen die Impfung vertragen. Der Impfstoff
sei schließlich erst wenig erforscht, sagt sie. Warum sie sich nun doch
impfen lasse? „Ich kann ja sonst nichts mehr machen, nicht in Cafés gehen,
nicht auf Konzerte.“
Wenige Meter weiter steht eine Frau Anfang 30 in der Schlange. Sie wird von
zwei Freundinnen begleitet. „Sie leisten mir emotionalen Beistand“, sagt
die Leipzigerin. „Ich habe Super-Angst vor Nebenwirkungen, der Impfstoff
ist ja noch so neu.“ Eigentlich, erzählt sie, wollte sie auf [7][den
Totimpfstoff warten]. Nun aber habe sie keine andere Möglichkeit. Sie wolle
sich nicht jeden Tag testen lassen, um zur Arbeit gehen oder mit der
Straßenbahn fahren zu dürfen.
Niemand, mit dem die taz hier spricht, nennt die Überlastung der
Krankenhäuser oder die Angst, andere Menschen anzustecken und damit zu
gefährden, als Grund, sich nun doch noch impfen zu lassen. Freizeit,
Arbeit, Nahverkehr: Das hat auch bei allen anderen Befragten in der
Schlange den Ausschlag gegeben.
Wenn man es denn positiv sehen will: 2G und 3G bewegen offenbar tatsächlich
Menschen zur Impfung. Die Impfbereitschaft müsste jedoch weiter sehr an
Fahrt aufnehmen, um die Impflücke tatsächlich zu schließen. Beispiel
Sachsen, bundesweites Schlusslicht mit einer Quote von nur rund 60 Prozent:
Selbst bei dem aktuellen, bereits gestiegenen Impftempo würde es ein Jahr
dauern, bis die ganze Bevölkerung durchgeimpft ist. Und das auch nur in der
Theorie. Denn 2G hin oder her – Komplettverweigerer gibt es am Ende immer
noch.
3 Dec 2021
## LINKS
[1] /Querdenken-Bewegung/!t5718280
[2] /Merkels-letztes-Bund-Laender-Treffen/!5816080
[3] /Mittelstand-in-Coronapandemie/!5811365
[4] /Coronaentwicklung-in-Deutschland/!5814490
[5] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/ungeimpft…
[6] https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/files/COSMO_W56.pdf
[7] /Impfung-gegen-Corona/!5813830
## AUTOREN
Rieke Wiemann
David Muschenich
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Impfung
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Dilek Kalayci
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