# taz.de -- Flüchtlingspolitik der EU: Grenzen dicht, schnelle Abschiebung | |
> Die EU-Kommission will mit einem Sondermechanismus Lettland, Litauen und | |
> Polen Schnellverfahren erlauben. Doch den Osteuropäern reicht das nicht. | |
Bild: Ein Geflüchteter aus Syrien wird am 1. Dezember von einem polnischen Gre… | |
Die Genfer Flüchtlingskonvention wird 70 Jahre alt. Zum „Geburtstag liefert | |
die EU einen Sarg“, [1][schrieb am Mittwoch der Jurist Maximilian Pichl]. | |
Ein Sargnagel war es allemal. Pichl spielte auf einen Sondermechanismus an, | |
den die EU-Kommission präsentiert hatte. | |
Er [2][erlaubt Lettland, Litauen und Polen], Asylschnellverfahren direkt an | |
der Grenze durchführen und Asylsuchende dafür – bei gekürzter Versorgung �… | |
bis zu 16 Wochen zu internieren. Wessen Antrag abgelehnt wird, den dürfen | |
sie „vereinfacht und schneller“ abschieben. Grund sei eine „Notlage“ der | |
drei Staaten durch die Flüchtlingsankünfte aus Belarus. | |
Notlage? Die drei Länder haben in der Vergangenheit praktisch überhaupt | |
keine Flüchtlinge aufgenommen. Wie viele zuletzt in Polen ankamen, hat die | |
Regierung nicht veröffentlicht. Die Zahl dürfte sich im vierstelligen | |
Bereich bewegen. Gleichwohl hat Polen so getan, als sei das Land durch die | |
Flüchtlinge aus Belarus einer kriegsartigen Gefahr ausgesetzt – und die EU | |
hat dazu kräftig genickt. | |
Statt das teils tödliche Vorgehen Polens an der Grenze zu kritisieren, | |
spendiert die Kommission nun auch noch Sonderrechte. Bei dem angekündigten | |
Sondermechanismus soll es indes nicht bleiben. Am kommenden Mittwoch wird | |
die Kommission zwei Reformen der Schengen-Vorschriften vorlegen. Die sollen | |
Möglichkeiten schaffen, künftigen Fällen „einer politischen | |
Instrumentalisierung von Migranten zu begegnen“. | |
## Null-Flüchtlings-Linie der Osteuropäer | |
Alle 27 [3][EU-Staaten sollen künftig die Rechte von Flüchtlingen] noch | |
weiter einschränken dürfen, wenn eine Fluchtroute geöffnet wird, um der EU | |
zu schaden – wie es zuletzt der belarussische Präsident Lukaschenko oder | |
2020 der türkische Präsident Erdoğan taten. Der Begriff | |
„Instrumentalisierung“ wird dabei bewusst dehnbar gehalten worden sein. | |
Anders als man denken könnte, ist Polen mit den aus Brüssel angedachten | |
Verschärfungen keineswegs glücklich. Den speziell für den Konflikt mit | |
Belarus gedachten Sondermechanismus wies es als „kontraproduktiv“ zurück, | |
weil darin weiter die Prüfung von Asylanträgen vorgesehen ist. | |
Asylverfahren müssten stattdessen gänzlich eingestellt werden, sagte Polens | |
EU-Botschafter. | |
Deshalb blockieren die Visegrád-Staaten die Verhandlungen über den großen | |
EU-Pakt zur Reform des Asylwesens insgesamt. Auch der Pakt setzt unter | |
anderem auf Schnellverfahren. | |
Die Visegrád-Staaten aber wollen rundheraus gar keine Asylsuchenden mehr. | |
Der Kommission fällt da auf die Füße, dass sie – anders als beim | |
Rechtsstaatlichkeitsstreit mit Polen – die offensive Null-Flüchtlings-Linie | |
der Osteuropäer als „gleichwertiges Interesse“ geschluckt hat. Bleibt es | |
dabei, wird die Genfer Konvention am Ende wirklich zu Grabe getragen. | |
5 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://mobile.twitter.com/MXPichl/status/1466147605453447169 | |
[2] /Lage-an-der-Grenze-Belarus-und-Polen/!5819567 | |
[3] /EU-Fluechtlingspolitik/!t5035223 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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