# taz.de -- Uraufführung in München: Was wir alles verkackt haben | |
> Regisseur Jan-Christoph Gockel inszeniert in München Thomas Köcks Stück | |
> „Eure Paläste sind leer“ – ein Abgesang auf die Welt, wie wir sie | |
> kannten. | |
Bild: Szene aus „Eure Paläste sind leer“ mit Michael Pietsch, Nancy Mensah… | |
Da haben sich zwei gefunden: Der [1][österreichische Dramatiker Thomas | |
Köck], der auch in seinem neuen Stück „Eure Paläste sind leer“ vom | |
kapitalismuskritischen Großen bis zur gar nicht kleinen privaten Song-Liste | |
nahezu alles seinem satzzeichenlosen musikalischen Sprachstrom einverleibt, | |
ihn mit gelehrtem Latein beschwert und mit Flüchen pfeffert. Und der | |
Regisseur Jan-Christoph Gockel, der sich gemeinsam mit seinem | |
puppenbauenden Schauspieler-Kompagnon Michael Pietsch einem Theater der | |
Opulenz verschrieben hat. Das ist akustisch opulent mit Live-Musik quer | |
durch alle Stimmungen, Genres und Epochen und optisch opulent mit | |
assoziationsoffenen Bühnen- und Kostüm-Zitaten, diesmal ganzen 27 Puppen | |
und Kamera-Einblicken in emotionale Hinterstübchen. | |
Julia Kurzwegs Bühne spiegelt den ersten Rang im Schauspielhaus der | |
Münchner Kammerspiele, aber in abgerockt. Die vom bröckeligen | |
Jugendstil-Rund herunterschauen und wegen dem, was sie sehen, Stühle | |
zerschlagen, tun dies in einem dystopischen Morgen. In einer anderen der | |
vielen Zeitzonen von Köcks Stück ist das Theater einem Parkhaus gewichen. | |
Zur Premiere hat die gestiegene Inzidenz große Löcher in die realen | |
Zuschauerreihen gerissen. Daher hallt es gruselig-prophetisch wider, wenn | |
zu Beginn jede kurze Spielsequenz mit leichten Abwandlungen des Titelsatzes | |
endet, „Eure Paläste sind leer“. | |
„Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“ ist ein Abgesang auf die | |
Welt, wie wir sie kannten, der allerlei Motive von Werner Herzogs Film | |
„Aguirre – der Zorn Gottes“ bis zu Dantes „Göttlicher Komödie“ anst… | |
„Inferno“, „Purgatorio“, „Paradiso“ prangen denn auch als Zwischent… | |
dem zerschlissenen Schmuckvorhang, der sich anfangs unablässig öffnet und | |
wieder schließt. In den Momenten dazwischen geht es im Wesentlichen darum, | |
auf wie viele Weisen wir es schon heute verkackt haben. | |
## Mitschuldig wider besseres Wissen | |
Köcks durch einen zerstörten Palast wandelndes lyrisches Ich, das Gockel | |
als den blinden Seher Teiresias identifiziert, hat sich durch Nichtstun | |
wider besseren Wissens am Untergang mitschuldig gemacht. Dessen Beginn | |
datiert Köck auf das 16. Jahrhundert, als die spanischen Konquistadoren den | |
christlichen Glauben und den Tod ins Amazonasgebiet einschleppten und Gold | |
heraus. Die Suche nach dem sagenumwobenen Eldorado und die gegenwärtige | |
amerikanische Opioidkrise sind nur zwei Stränge im katastrophischen | |
Erzählfadengewirr. | |
Deutlicher als [2][Köcks viel inszenierte „Klima-Trilogie“] oder seine die | |
verlogene Haltung Europas in der Flüchtlingskrise anprangernde „Antigone“ | |
zeigen die „Paläste“, dass der zweifache Gewinner des Mülheimer | |
Dramatikerpreises sich im Zweifel für Sprachklang und -Rhythmus statt für | |
analytische Schärfe entscheidet – ganz so wie Gockel im Zweifel für das | |
Bild. Deshalb passen die beiden einerseits prima zusammen – an Sprachmacht | |
und Bilderpracht sucht der Abend seinesgleichen –, man fühlt sich als | |
Zuschauer aber auch immer weiter weg vom bitteren Glutkern des Themas | |
segeln. | |
Dass der Törn Spaß macht, dafür sorgen ein famoses Schauspielersextett und | |
zwei tolle Musiker. Während Anton Berman und Maria Moling mit Jazz, | |
liturgischen Klängen und Wagner-Pathos musikalische Leitplanken setzen, | |
wechseln Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Christian Löber, Nancy | |
Mensah-Offei, Michael Pietsch und Leoni Schulz permanent die Rollen. | |
## Empörte, aber untätige Zuschauer wie wir | |
Empörte, aber untätige Zuschauer wie wir oder Teiresias sind sie alle mal, | |
dann wieder fahren sie als Ronald McDonalds in buntem Latex auf Rollschuhen | |
herum oder hüllen sich in einer zum Kringeln komischen selbstbesoffenen | |
Intellektuellen-Talkrunde in Nikotinnebel. | |
Arias Porras, der Schlacks mit dem Jesusblick, ist unter anderem auch der | |
ehemalige „Spitzenverdiener“ im Drogendelir oder der Schlachthofbetreiber, | |
dem reihenweise kollabierende Hilfskräfte die Bilanz verpfuschen. | |
Zwischendurch drängeln sich alle hinter den von ihnen geführten und | |
gesprochenen Konquistadoren-Puppen in einem alten VW. | |
Eine wilde, als Video auf den Vorhang projizierte Szene ist das. An die | |
Nieren oder ans Herz gehen andere, in denen zum Beispiel die in Ghana | |
geborene Mensah-Offei einer Armee von Mini-Kolonialisten auf Elefantenjagd | |
ihre beeindruckende Stimme leiht. | |
Und dann gibt es noch die von dem Puppenspieler Michael Pietsch geführte | |
Figur eines kleinen Jungen mit großen traurigen Augen. Es ist das Kind von | |
Drogentoten, das ein weißes Laken über die Bühne zieht, mit dem es die | |
Leichen bedeckt, die die Gier seiner Eltern ihm hinterlassen haben. | |
„und alles was ich aus der geschichte gelernt habe ist dass wir nichts aus | |
der geschichte lernen“, heißt es einmal im Text. Am Ende ist die Bühne von | |
hohläugigen Gespenstern bevölkert. Es sind die Geister der Ausbeutung der | |
Menschen und der Erde, die wir nicht loswerden, solange wir nicht handeln. | |
16 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kunstfest-Weimar/!5799356 | |
[2] /Theaterstueck-Klimatrilogie-in-Hannover/!5807701 | |
## AUTOREN | |
Sabine Leucht | |
## TAGS | |
Theater | |
Uraufführung | |
Kammerspiele München | |
Kapitalismuskritik | |
Krise | |
Gold | |
Kolonialismus | |
GNS | |
Weimar | |
Performance | |
Theater | |
Theater | |
Theater | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kunstfest Weimar: Blick aus einer wissenden Zukunft | |
Kunstfest und Nationaltheater Weimar bieten mit „missing in cantu“ neues | |
Musiktheater. Und eine Dystopie, die Kräfte fürs Handeln freisetzen könnte. | |
Performance über die Teilung Zyperns: Die Partitur der Grenze | |
Worauf beruhen Grenzen? Wie Politik und Zufall zusammenspielen, erkundet | |
die Performance „Green Line“ am Beispiel Zyperns in den Uferstudios Berlin. | |
Theaterstück „Klimatrilogie“ in Hannover: Rückblick nach dem Weltuntergang | |
Im Schauspiel Hannover erzählt Thomas Köck eine Geschichte der Ausbeutung. | |
Die „Klimatrilogie“ ist drastisch und vielschichtig zugleich. | |
Uraufführung in München: Die fieseste Lüge überhaupt | |
Sivan Ben Yishais Drama „Like Lovers do“ wird in München uraufgeführt. Es | |
ist eine neonfarbene Hölle aus Gewaltfantasien. | |
Theaterstück über Ernst Toller: Ein zerbrechlicher Held | |
Jan-Christoph Gockel inszeniert Ernst Tollers „Eine Jugend in Deutschland“. | |
Er spielt dabei mit zu vielen Einfällen in den Kammerspielen München. |