| # taz.de -- Kunstfest Weimar: Blick aus einer wissenden Zukunft | |
| > Kunstfest und Nationaltheater Weimar bieten mit „missing in cantu“ neues | |
| > Musiktheater. Und eine Dystopie, die Kräfte fürs Handeln freisetzen | |
| > könnte. | |
| Bild: Szene aus der Oper „missing in cantu (eure paläste sind leer)“ am De… | |
| Wie politisch sollte Kunst werden, wenn die Zeit sie herausfordert? Der | |
| Blick Richtung Buchenwald gehört beim Kunstfest Weimar per se dazu: Das | |
| Gedenken an die Opfer der Nazi-Barbarei als [1][Installation (von Günther | |
| Uecker] zu Füßen von Goethe und Schiller vor dem Deutschen Nationaltheater) | |
| ebenso wie das offene Bekenntnis gegen die, die gleich den „Müll der | |
| Moderne“ wegräumen wollen. | |
| In Thüringen gehören solche Tiraden vom rechten Rand des Parteienspektrums | |
| längst zum Ton der politischen Auseinandersetzung. Theater und Kunstfest | |
| behaupten sich vor diesem Hintergrund als Foren für die Suche nach dem | |
| nicht rechten, sondern richtigen Weg in die Zukunft. Die Kunst selbst | |
| freilich kann da nur ihrem eigenen Stern folgen. Geschichten erzählen. | |
| Utopien entwerfen. Oder mit Dystopien Denken anstoßen und so indirekt | |
| Kräfte fürs Handeln freisetzen. | |
| Auch vor diesem Hintergrund war es eine gute Idee, dass das Kunstfest und | |
| das Deutsche Nationaltheater (DNT) einen gemeinsamen Auftrag für eine neue | |
| Oper vergeben haben. Der ging an zwei Österreicher; [2][Thomas Köcks | |
| Schauspiel „eure paläste sind leer“] war vor zwei Jahren an den Münchner | |
| Kammerspielen ein hochgelobter Erfolg und ist nun die Vorlage seines | |
| Librettos für Johannes Maria Stauds Komposition „missing in cantu“. | |
| Operndirektorin Andrea Moses übernahm, wie schon vor fünf Jahren an der | |
| Wiener Staatsoper bei Stauds „Weiden“ (nach Durs Grünbein), die | |
| Uraufführungsinszenierung. Im Graben führte Andreas Wolf die Staatskapelle | |
| Weimar imponierend sicher durch eine stilistisch recht vielfältige | |
| Musiktheater-Novität. Mit „missing in cantu“ ist ein Stück Musiktheater | |
| herausgekommen, das den Ehrgeiz hat, eine Dystopie mit der Möglichkeit zu | |
| kombinieren, aus einer wissenden Zukunft auf eine blinde Gegenwart und | |
| Vergangenheit zurückzublicken. | |
| ## Optisch ein apokalyptischer Grundton | |
| Für die drei Handlungsstränge hat Raimund Bauer eine Bühne gebaut, die den | |
| Titel von Köcks Stück „eure paläste sind leer“ faszinierend opulent | |
| umsetzt, ohne in Naturalismus zu verfallen. Ein angekippter, leerer | |
| Goldpalast, den sich der Urwald längst wieder zurückholt, beherrscht die | |
| Drehbühne und gibt optisch den apokalyptischen Grundton vor. Hier haust ein | |
| wissend gewordener Seher im Teiresias-Habitus und beklagt melancholisch | |
| resignierend, nie gehört worden zu sein. Otto Katzameier singt ihn ebenso | |
| souverän wie er ihn spricht. Er hat nur Echo (Emma Moore) an seiner Seite. | |
| Ein Dreh der Bühne genügt für einen historischen Ausfallschritt in die | |
| Schuld-Geschichte der Europäer. Konquistadoren erobern mit ziemlichem | |
| Getöse auf der Suche nach dem sagenhaften Eldorado den Amazonaswald; | |
| verbrennen eine Ureinwohnerin als Hexe, kämpfen um die Macht und lassen den | |
| Wahnsinn aus dem 16. Jahrhundert exemplarisch eskalieren. | |
| Wenn Don Gairre (Alexander Günther) mit dem Missionar Don Stepano | |
| (Oleksandr Pushniak) um die Macht kämpft und dabei auf den Spuren von Klaus | |
| Kinsky (im Kampf mit Werner Herzog) wandelt, gehört das zum subtil dunklen | |
| Humor, der immer mal wieder aufploppt. | |
| ## Gut gebaut und zielend | |
| Die dritte Das-kommt-davon-Ebene ist die [3][tödlich eskalierende | |
| Opiatkrise in den USA] von heute. Samt Schlachthausszene, | |
| Klischee-Vorstadt, Amoklauf und Medienrummel. Stauds Musik, die durch | |
| ausgedehnte Sprechpassagen unterbrochen wird, bietet, was zwischen fein | |
| ziselierter Elektronik, großem Orchester und swingendem, melodiös Populärem | |
| zu haben ist. Gut gebaut und auf die durchweg exzellenten Protagonisten | |
| zielend. | |
| Die Verflechtung der drei Handlungsstränge bleibt allerdings eine | |
| Behauptung. Auch die lakonisch bedeutungsschwangere Sprachpoesie rutscht | |
| ein paar mal zu oft auf überstrapazierten „Scheiß“-Vorsilben aus; kann so | |
| nicht wirklich einen eigenständigen Sog entfalten. | |
| Dass das kongeniale Bühnenbild und die präzise Personenführung, der Einsatz | |
| der Protagonisten (inklusive des Chores!), meist auch die Musik von Staud | |
| solche Schwächen zu überdecken vermögen, gehört zu den Vorzügen, die das | |
| Gesamtkunstwerk Oper zu bieten hat. Der einhellige Beifall im nicht | |
| ausverkauften DNT nach 90 Minuten war angemessen. | |
| 5 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kunstfest-Weimar/!5953049 | |
| [2] /Urauffuehrung-in-Muenchen/!5815402 | |
| [3] /Doku-ueber-Kuenstlerin-Nan-Goldin-im-Kino/!5933558 | |
| ## AUTOREN | |
| Joachim Lange | |
| ## TAGS | |
| Weimar | |
| Oper | |
| Rechtsruck | |
| Theater | |
| Festival | |
| Oper | |
| Thüringen | |
| Festival | |
| Theater | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Staatsoper Hamburg: Die Dämonen der Vergangenheit | |
| In Hamburg wurde die Spielzeit mit Mussorgskys „Boris Godunow“ eröffnet. | |
| Die Inszenierung von Frank Castorf war pandemiebedingt verschoben werden. | |
| Kunstfest Weimar: Gedenken und Gartenflucht | |
| Beim Kunstfest in Thüringen kreisen Performances und Aufführungen um | |
| private Paradiese, Nietzsches Schwester sowie die Deutschen und den | |
| Klimaschutz. | |
| Schräge Formen auf dem Kunstfest Weimar: Wenn Putin wie bei Wagner singt | |
| Klimawandel, Waldgeschichten, Tyrannen und Populisten: Das alles wird beim | |
| Kunstfest Weimar bearbeitet, oft mit originellem Zugriff auf harte Stoffe. | |
| Uraufführung in München: Was wir alles verkackt haben | |
| Regisseur Jan-Christoph Gockel inszeniert in München Thomas Köcks Stück | |
| „Eure Paläste sind leer“ – ein Abgesang auf die Welt, wie wir sie kannte… |