# taz.de -- Theaterstück „Klimatrilogie“ in Hannover: Rückblick nach dem … | |
> Im Schauspiel Hannover erzählt Thomas Köck eine Geschichte der | |
> Ausbeutung. Die „Klimatrilogie“ ist drastisch und vielschichtig zugleich. | |
Bild: Szene aus der „Klimatrilogie“ im Schauspiel Hannover | |
„ Unter den Applaus mischen sich bisweilen Jubel und Bravorufe“, verspricht | |
bereits die Regieanweisung in Thomas Köcks „Klimatrilogie“ – und Hannover | |
hat geliefert. Der Moment ist auch wirklich zu schön: Zwischen den Trümmern | |
eines im Theater gebruchlandeten Schnellzugs hat der steppende Schaffner | |
(Alban Mondschein) eben noch „You'll Never Walk Alone“ zum Besten gegeben | |
und beginnt nun, die Fahrgäste zu erschießen. Grausam mag das wohl sein und | |
auch ein bisschen lustig, fürs Publikum bedeutet das Massaker vor allem | |
aber einen Moment doppelter Erleichterung: Erstens, weil die aus der Rolle | |
Geschossenen wenig später als wunderschöner Chor wiederauferstehen – und | |
zweitens, weil die Toten zuletzt auch wirklich ziemlich genervt hatten. | |
Als Klimatrilogie“ bekannt geworden sind die Stücke „ paradies fluten“, … | |
paradies hungern“ und „ paradies spielen“, mit denen der österreichische | |
[1][Autor Thomas Köck] seit 2015 für Furore sorgt. Er hat dafür diverse | |
Preise bekommen und durfte mitunter gefeierte Uraufführungen erleben. In | |
Hannover hat Regisseurin Marie Bues diese Texte zwar nicht zum ersten Mal | |
auf die Bühne gebracht, diesmal aber doch anders: als einen Abend nämlich, | |
und damit in einer Fassung, die auf das Gemeinsame der drei Stücke abhebt. | |
Doch was so naheliegend klingt, ist tatsächlich problematisch, weil gerade | |
diese Klammer große Fragezeichen vor sich herträgt. Oder anders: dass die | |
Stücke überhaupt etwas miteinander zu tun haben, ist wahrscheinlich bereits | |
ihre aufregendste These. | |
## Kfz-Mechaniker und Lohnsklav:innen | |
Aber worum geht’s? Zwei Schicksalswesen oder -göttinnen (Tabitha Frehner | |
und Caroline Junghanns) schleichen auf hohen Absätzen in glitzernden | |
Jumpsuits vom Weltuntergang aus zurück durch die Menschheitsgeschichte. Von | |
Kolonialismus und Kautschuk zu Autoreifen und den Familien selbstständiger | |
Kfz-Mechaniker. Und wenig später noch zu Lohnsklav:innen, die in ihren | |
baufälligen Fabriken verbrennen. | |
Der Abend erzählt eine so drastische wie vielschichtige Geschichte der | |
Ausbeutung von Menschen, Kontinenten, der Natur und sich selbst als Kunst | |
und Künstler:in. Und auch wenn die Ökologie im Hintergrund vorkommt, meint | |
das „ Klima“ im Titel doch vorwiegend ein soziales, weshalb sich das Stück | |
so ohne Weiteres auch nicht einreihen lässt in die Öko-Premieren, die aller | |
Pandemie zum Trotz doch unbestreitbar den inhaltlichen Schwerpunkt dieses | |
Saisonauftakts stiften. | |
Nun bieten die drei Stücke schon für je einen Abend reichlich Stoff, gelten | |
auch wegen Sprach- und Diskursdichte als schwer verdaulich und schwer zu | |
spielen. Dass die Eindampfung im Schauspiel Hannover trotzdem recht | |
aufgeräumt daherkommt, dürfte daran liegen, dass Marie Bues sich treiben | |
lässt von diesem Material: von assoziativen Monologen, Szenen, Bildern und | |
immer wieder Pop-Songs. | |
Besonders Letztere sind richtig schön, wenn Johannes Frick vom Livemusiker | |
am Bühnenrand zum süffisanten Erzähler changiert und auf der Bühne eine | |
Show mit Bandeinlagen und Soli bis hart an die Grenzen der Revue moderiert, | |
bei der es doch eigentlich nicht viel zu lachen gäbe. | |
## Zweifel an „totdiskutierten Begriffen“ | |
Es liegt auch nicht am Ensemble, dass man irgendwann doch müde wird – | |
sondern am Text und seinem vielleicht doch überhöhten Anspruch, sich | |
permanent vom eigenen Sinn zu emanzipieren. Die Behauptung nämlich, dass | |
Geschichte sich – wie der Chor sagt – auflöst in „ totdiskutierte Begrif… | |
und „ Bruchstücke längst unverständlicher Diskurse“, zieht sich penetrant | |
oberflächlich durch diesen Abend. Und es ist schon gewagt, sprachlich | |
Bilder über Bilder zu beschwören und gleichzeitig in Dauerschleife die | |
Unwahrheit von eben Bildern zu betonen. | |
Dennoch funktioniert das dort, wo es noch um Ideen geht: So ist die | |
Kautschuk-Episode so gut, gerade weil Bernhard Conrad oder auch Nicolas | |
Matthews zwar spielfreudig und provokativ den „ Gummibaron“ mit Tropenhelm | |
zum Tanzen bringen, die Inszenierung aber eben zugleich verhandelt, dass | |
wir es hier mit Charaktermasken des Kolonialkapitalismus zu tun haben. | |
Auf den Punkt bringt das Kaspar Locher als Architekt Felix Nachtigal, der | |
in den Kolonien ein Opernhaus errichten soll und sich in wirklich | |
aufwühlender Selbstgerechtigkeit zunehmend aufseiten von edlen Wilden | |
fantasiert. Es ist fast körperlich unangenehm, diesen bruchlosen Übergang | |
zu erleben von Empathie und Engagement zu Hybris und absoluter | |
Lächerlichkeit. Schönster Moment in diesem Sinne: wie Nachtigal der | |
spärlich bekleideten Ureinwohnerin mit sich überschlagender Stimme | |
nachkrächst: „Wie heißt du? Pocahontas vielleicht?!“ | |
## Steinbruch vergrößert | |
Die anderen Episoden kommen da nicht mit. Die Monologe bleiben fast alle | |
hermetisch. Auch die sich zerlegende Familie des Kfz-Mechanikers (Bernhard | |
Conrad), seiner de facto alleinerziehenden Frau (Birte Leest) und Tochter | |
(Alrun Hofert) ist zwar schön anzusehen als präzises Familienbild, nur | |
verbleibt das so sonderbar unexemplarisch – als wäre zur Gesellschaft | |
bereits am Amazonas alles gesagt worden. | |
Schlimm ist das nicht. Der Text und seine Belebung sind so klug wie | |
unterhaltsam und lassen auf Heike Mondscheins von Licht und Vorhängen | |
dominierter Bühne auch treffsicher die großen Bilder weitgehend beiseite, | |
an die der Text ja ohnehin nicht glauben will. Nur an der Verdichtung der | |
Trilogie kommen Zweifel auf, weil die so wahnsinnig dicht eben gar nicht | |
ist, sondern über weite Strecken doch nur den Steinbruch an Material | |
vergrößert – an dem bei Köck aber ohnhein kein Mangel bestand. | |
12 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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