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# taz.de -- Teures Telefon-Monopol in der Haft: Hamburg soll Gebühren offenleg…
> Wie teuer Gefangene den Kontakt zur Außenwelt bezahlen, hält Hamburg
> geheim. „Frag den Staat“ will die Herausgabe von Verträgen einklagen.
Bild: Ob im TV oder im echten Leben: Telefone im Knast sind die Verbindung nach…
Bremen taz | Die Internetplattform „Frag den Staat“ verklagt gemeinsam mit
einer Privatperson die Stadt Hamburg. Der Grund: Sie verweigert die
Herausgabe von Verträgen, die die Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand
[1][mit dem Kommunikationsunternehmen Telio ausgehandelt hatte]. Telio
betreibt Telefonanlagen in Gefängnissen. Die Verträge würden „Aufschluss
geben, zu welchen Preisen Insass*innen sich den Kontakt zur Außenwelt
erkaufen müssen“, heißt es in einer Mittwoch veröffentlichten Erklärung v…
„Frag den Staat“.
Die Stadt Hamburg jedoch, sagen die Betreiber*innen des Portals weiter,
stelle sich quer – mit dem Argument, dass die Preise für Telefongespräche
„Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens“ seien und „deren
Bekanntwerden die Wettbewerbsposition von Telio schmälern könnte“. [2][Das
wollen die Kläger:innen nicht hinnehmen.] Vor dem Verwaltungsgericht
wollen sie nun die Herausgabe der Verträge erzwingen.
Das Hamburger Unternehmen ist nach eigenen Angaben „globaler Marktführer“
bei der Aufstellung von Telefonen in Gefängnissen – Frag den Staat nennt es
einen „de facto Monopolisten“. In mehr als 650 Haftanstalten in 20 Ländern
betreibe es die Telefon-Infrastruktur, klärt Telio auf seiner Website auf.
Belia Brückner ist formal die Klägerin im laufenden Verfahren, wird dabei
von Frag den Staat unterstützt. Laut Frag den Staat-Projektleiter Arne
Semsrott ist sie über ihre Kunstprojekte mit der JVA Hahnöfersand
verbunden. Bei ihrer ersten Anfrage nach den Verträgen im August 2020
verwies sie auf das Hamburgische Transparenzgesetz: Laut dem Gesetz müssen
Behörden amtliche Informationen aktiv bereitstellen – Hamburg ist damit
transparenter unterwegs als andere Länder, landete bei einem entsprechenden
Ranking aus dem Sommer sogar auf Platz eins.
## Ausgerechnet die Tarife wurden geschwärzt
Wenige Länder, darunter Niedersachsen, haben kein solches Gesetz; viele
andere lediglich ein Informationsfreiheitsgesetz. Dieses ermöglicht es
Bürger*innen, amtliche Informationen zu erhalten, auch wenn sie selbst
nicht davon betroffen sind: etwa Gutachten, Haushaltsbeschlüsse oder die
Jahresbilanz von staatlichen Unternehmen. Die Anfragen dazu können über das
Portal Frag den Staat laufen.
Die Korrespondenz von Brückner mit verschiedenen Behörden der Stadt ist
[3][dort einsehbar]. In der ersten Antwort der Justizbehörde ist von
„strikten und umfassenden Geheimhaltungsklauseln“ die Rede. Später habe die
JVA verschiedenen Dokumente geschickt, doch nur Teile der Verträge mit
Telio, sagt Semsrott, „und geschwärzt war immer das, was eigentlich
relevant ist“. Also die Tarife. Zu der Begründung der Stadt, sich zu
weigern, sagt Semsrott: „Gefangene sind gegenüber dem Staat in einer
besonders vulnerablen Position. Das macht die Möglichkeit zur Kontrolle
besonders wichtig.“
Wie vulnerabel, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2013: Ein Häftling der JVA Burg
in Sachsen-Anhalt hatte gegen eine Rechnung von Telio über 12.000 Euro
geklagt. [4][Das Landgericht Stendal urteilte], dass die Gebühren nicht
deutlich über dem Niveau außerhalb des Gefängnisses liegen dürften. Es
forderte die JVA auf, die Kosten entsprechend anzupassen. Ein
Sachverständiger berechnete, dass die Kosten für den Kläger 272 Prozent
über dem Angebot des günstigsten Anbieters lagen.
Vor vier Jahren [5][urteilte auch das Bundesverfassungsgericht] zum
Kostenproblem: Ein Häftling in der JVA Lübeck hatte nach einem Tarifwechsel
des Telefonanbieters Telio versucht, gegen die Kosten vorzugehen. Doch erst
wies das Landgericht Lübeck seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung
zurück; seine darauffolgende Rechtsbeschwerde verwarf auch das
Oberlandesgericht. In beiden Begründungen ging es auch darum, dass das
Justizministerium nun einmal in einem Vertrag sei, daher die Kosten nicht
senken könne und eine Neuausschreibung bereits geplant sei.
Das reichte dem Bundesverfassungsgericht nicht: Eine Vertragsbindung sei
„nicht maßgeblich“ für die Beurteilung, ob Preise marktgerecht seien. „…
erfolglose Bemühungen um Tarifanpassungen entbinden die
Justizvollzugsanstalt nicht von ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen.“
Zumal die Insass*innen ja keine Alternative zur Auswahl hätten. Außerdem
verletze die Entscheidung des Oberlandesgerichts das Grundrecht des
Häftlings auf Resozialisierung.
## Anbieter wechselt im Frühjahr
Reichlich Material also, welches das Unrecht zeigt, das Insass*innen
durch hohe Telefonkosten erfahren. „Ob die Bundesländer als Reaktion auf
die Gerichtsentscheidungen wirklich angemessen die Telefongebühren in den
Gefängnissen gesenkt haben, ist fraglich“, sagt nun Frag den Staat. Im Fall
der JVA Hahnöfersand lasse sich eben nicht ohne die Verträge prüfen, welche
Gebühren Häftlinge dort derzeit zahlen.
Der Sprecher der Hamburger Justizbehörde, Dennis Sulzmann, bestätigte der
taz, dass Telio in mehreren Hamburger JVAs seine Dienstleistungen erbringe.
Der Vertrag mit der JVA Hahnöfersand bestehe seit 2004. „In
Nachverhandlungen wurden noch günstigere Tarife mit dem Anbieter
ausgehandelt“, sagt Sulzmann.
Wie hoch die Tarife sind und ob die Stadt diese, gemessen an der bisherigen
Rechtsprechung, für angemessen hält, sagt er hingegen nicht. Man wolle sich
zu einem laufenden Verfahren nicht äußern. Aber: Inzwischen wurde die
Dienstleistung für die Gefangenentelefonie für alle Hamburger JVAs neu
ausgeschrieben. Die taz berichtete bereits.
Den Zuschlag habe das Unternehmen Gerdes Communications GmbH erhalten; die
Vertragslaufzeit beginne im April nächsten Jahres. Sulzmann sagt: „Die
Tarife werden sich noch einmal reduzieren.“ Solange die Tarife aber nicht
veröffentlicht werden, bleibt die Höhe der Reduktion unbekannt.
9 Dec 2021
## LINKS
[1] /Telefonkosten-im-Knast/!5810712
[2] https://fragdenstaat.de/blog/2021/12/08/gefangene-telefon-gebuehren-telio/
[3] https://fragdenstaat.de/anfrage/vetrage-des-telekommunikationsdienstungsunt…
[4] https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE150000793
[5] /Verfassungsbeschwerde-zu-Gefaengnissen/!5466547
## AUTOREN
Alina Götz
## TAGS
Transparenzgesetz
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