| # taz.de -- Hamburger CDU zur Sicherungsverwahrung: „Es steht Aussage gegen A… | |
| > Nach einem Beschwerdebrief von Sicherungsverwahrten kritisiert die CDU | |
| > die Resozialisierungsmaßnahmen. Die Behörde sieht keinen Handlungsbedarf. | |
| Bild: Ein Leben weitgehend aus dem Blick der Gesellschaft: ein Sicherungsverwah… | |
| taz: Herr Seelmaecker, es hat ein Jahr gedauert, bis Ihre Anfrage zur | |
| [1][Situation der Sicherungsverwahrten] nun auf die Tagesordnung des | |
| Hamburger Justizausschusses gekommen ist. Ist das symbolisch für das | |
| Interesse am Thema? | |
| Richard Seelmaecker: Das ist insofern symbolisch, als es zeigt, wie | |
| ängstlich die Behörde im Umgang mit diesen Fällen gewesen ist und sich | |
| lange Zeit darauf vorbereiten wollte. | |
| Warum ängstlich? | |
| Weil die Justizbehörde sich um solche Menschen nicht groß kümmern möchte: | |
| Es werden Therapiemöglichkeiten nicht ausreichend genutzt und nicht | |
| ausreichend empirische Daten gesammelt, etwa für Entlassungsprognosen. So | |
| ist vieles im Umgang mit Sicherungsverwahrten immer nur eine | |
| Einzelfallentscheidung. | |
| Hinsichtlich der empirischen Daten: Reichen die Fallzahlen in Hamburg aus, | |
| um eine sinnvolle Statistik zu führen? | |
| Nein, die Zahl würde ich auf gar keinen Fall als ausreichend erachten. Es | |
| sind momentan 15 Sicherungsverwahrte und die Behörde geht von einer | |
| abnehmenden Tendenz aus. Aber Hamburg ist ja nicht alleine, das ist ja | |
| geradezu ein exemplarischer Fall für eine vernünftige bundesweite | |
| Zusammenarbeit. | |
| Sie sagen, die Behörde wolle sich nicht um die Sicherungsverwahrten | |
| kümmern. Was meinen Sie damit? | |
| Die Sicherungsverwahrten sind diejenigen, denen am wenigsten Aufmerksamkeit | |
| geschenkt wird, weil sie im Grunde genommen den [2][absoluten Rand der | |
| Gesellschaft bilden.] Sie gelten, auch wenn sie ihre Strafe bereits | |
| abgesessen haben, als gefährlich und sind aus Sicht der Behörde nur noch zu | |
| verwalten. Und deswegen steckt kein Herzblut dahinter – wenn ich das mal | |
| flapsig formulieren darf –, diese Menschen bestmöglich zu versorgen. Es | |
| wird nicht der ernsthafte Versuch gemacht, eine Besserung und Heilung zu | |
| finden. | |
| Ins Rollen kam Ihre Anfrage durch einen anonymen Beschwerdebrief der | |
| Sicherungsverwahrten. Laut Senat gibt es die Zustände, die darin kritisiert | |
| werden, gar nicht. Nimmt Ihnen das den Wind aus den Segeln? | |
| Nein, das tut es nicht. Uns sind als Abgeordnete, die ja die Verwaltung und | |
| die Behörde hier kontrollieren sollen, Grenzen gesetzt. Ich bin nicht | |
| geneigt zu sagen, dass die Anstaltsleitung die Unwahrheit sagt. | |
| Andererseits: Weil es „nur“ ein Sicherungsverwahrter ist, heißt es nicht, | |
| dass alles, was derjenige sagt, gelogen ist. [3][Hier steht Aussage gegen | |
| Aussage,] und es ist wie so häufig im Leben: 100 zu null ist selten. Und | |
| insofern befriedigt mich die Antwort auch nicht vollständig. | |
| Was war der Kern der Vorwürfe? | |
| Der Kern war, dass nicht ausreichend Therapiemöglichkeiten gegeben werden, | |
| dass die Zustände nicht ausreichend sind und auch nicht so, wie sie | |
| geschildert werden. Es kommen mehrere Dinge zusammen, die aber alle | |
| letztlich in dieselbe Richtung gehen: Diesem Teil des Vollzuges wird nicht | |
| genügend Aufmerksamkeit gegeben. | |
| Laut Behörde ist der Stellenplan weitestgehend erfüllt. Sieben Personen | |
| waren Anfang 2022 für 20 Sicherungsverwahrte zuständig. Insofern sei da | |
| nichts zu kritisieren. Wie stehen Sie dazu? | |
| Auf den Personalschlüssel kommt es nicht alleine an.Wie so häufig steht und | |
| fällt es mit den handelnden Personen und mit dem Spezialwissen, das | |
| vorhanden ist. | |
| Und wie ist es damit bestellt? | |
| Wir haben auf jeden Fall noch Ausbaumöglichkeiten bei den Ärzten mit | |
| entsprechendem psychiatrischem Spezialwissen. Auch hier wäre die | |
| Möglichkeit, im Verbund mit den anderen Bundesländern Spezialisten für die | |
| verschiedenen Krankheitsbilder einzusetzen. | |
| Wie eng ist Ihr eigener Kontakt zu den Hamburger Sicherungsverwahrten? | |
| Es ist natürlich die Aufgabe eines Abgeordneten, sich um alle Probleme zu | |
| kümmern. Deswegen habe ich auch Kontakt zu Sicherungsverwahrten und bekomme | |
| entsprechend geschildert, wie die Lage ist. Das ist immer mit Vorsicht und | |
| einer professionellen Distanz zu betrachten. Aber den Menschen kein | |
| rechtliches Gehör zu geben, wäre schlichtweg falsch. Man muss die andere | |
| Seite hören, auch das ist immer wichtig. Und dann kann man sich letztlich | |
| nur anhand der Aussagen sein Urteil bilden. Denn anders als ein Gericht | |
| habe ich ja nicht die Möglichkeiten, weitere Beweisbeschlüsse oder | |
| ähnliches zu erlassen, um der Sache bis auf den Grund zu gehen. | |
| In Ihrer Anfrage liegen zwei ganz unterschiedliche Tendenzen: einerseits | |
| ein anwaltliches Interesse für die Sicherungsverwahrten, andererseits ein | |
| Fokus auf Disziplinarmaßnahmen, etwa im Bereich Betäubungsmittelkonsum. | |
| Das eine geht Hand in Hand mit dem anderen. Natürlich werden wir den | |
| Vollzug nie drogenfrei bekommen. Ich bin aber weiterhin der festen | |
| Überzeugung: Je weniger Drogen genommen werden, desto vielversprechender | |
| sind die Voraussetzungen für eine Besserung oder Heilung der | |
| Sicherungsverwahrten. | |
| Die CDU ist eigentlich nicht bekannt als Partei, die anwaltlich für | |
| Häftlinge oder Sicherungsverwahrte eintritt. Ist das eine neue Rolle? | |
| Das sehe ich ganz und gar nicht so, sondern das gehört nicht nur zum | |
| christlichen Menschenbild, sondern zur Menschenwürde, dass jeder Mensch und | |
| gerade auch diejenigen, die von der Gesellschaft zu Recht bestraft werden | |
| oder im Falle der Sicherungsverwahrten sogar als gefährlich weggeschlossen | |
| sind, auch die Behandlung bekommen, die erforderlich ist. Dazu gehört ganz | |
| maßgeblich die Resozialisierung. Denn die Resozialisierung oder häufig | |
| erstmalige Sozialisierung bedeutet immer, dass die Rückfallquote geringer | |
| wird. | |
| Eine geringe Rückfallquote wollen theoretisch alle. | |
| Dieser Drehtürvollzug, den wir über Jahrzehnte erfahren haben, zeigt uns, | |
| dass alleiniges hartes Durchgreifen nicht hilft. Es muss immer einhergehen | |
| mit einer Therapie, es muss immer einhergehen mit einer Struktur und einer | |
| Perspektive. Das Wegschließen alleine hilft nichts. Das hat die CDU so auch | |
| noch nie vertreten. Dass es manchmal nicht so im Fokus ist, mag daran | |
| liegen, dass wir für härtere Strafen dem Grunde nach sind. | |
| 29 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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