# taz.de -- Zustände in der JVA Fuhlsbüttel: „Mittlerweile unerträglich“ | |
> Was in der JVA Fuhlsbüttel so alles passiert, kommt derzeit bei einem | |
> Prozess um eine Sex-Erzählung zu Tage – und in einem Brandbrief der | |
> Häftlinge. | |
Bild: Was passiert hinter diesen Türen? Ein Gang in der JVA Fuhlsbüttel aka S… | |
HAMBURG taz | Vor dem Hamburger Amtsgericht wird aktuell ein kurioser Fall | |
verhandelt. Ein Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel hatte | |
im Jahr 2018 mehrere Briefen an verschiedene Behörden geschrieben, in denen | |
er behauptete, eine Wärterin habe in den 90ern mit Gefangenen Sex gehabt. | |
Die Wärterin hatte ihn daraufhin angezeigt, deshalb muss der Gefangene Otto | |
F. nun vor Gericht beweisen, dass die sexuellen Kontakte wirklich | |
stattgefunden haben. | |
Im Gerichtssaal betonen Richter und Staatsanwältin mehrfach, dass die | |
Verhandlung nicht zum Schauprozess über die Zustände in der JVA | |
Fuhlsbüttel, auch Santa Fu genannt, werden soll. Doch genau das ist er von | |
Anfang an. Die Zuschauer:innen erfahren viel über eine Welt, die den | |
Augen der Öffentlichkeit eigentlich verborgen ist. | |
Am zweiten Verhandlungstag sitzt der verurteilte Doppelmörder Peter Z. im | |
Zeugenstand. Er wird mit Hand- und Fußfesseln von vier JVA-Beamten in den | |
Gerichtssaal geführt und erzählt detailreich, wie er seinen Kumpel Spencer | |
– ebenfalls ein verurteilter Schwerverbrecher – beim Sex mit der Wärterin | |
erwischte. Spencer, der immer noch im Gefängnis sitzt, wird zwei | |
Verhandlungstage später alles abstreiten und behaupten, er sei | |
erfolgreicher Manager. | |
Der Prozess ist zermürbend und aufwendig – für ein eher geringes Strafmaß, | |
über das verhandelt wird. Das liegt auch daran, dass Verteidigung und | |
Staatsanwaltschaft sich nichts schenken. Die Staatsanwältin versucht | |
tatkräftig, die Zeugen als unglaubwürdig darzustellen, die Verteidigung von | |
Otto F. hat immer noch einen weiteren Beweisantrag im Ärmel, wenn die | |
Situation ausweglos erscheint. | |
Immer wieder meldet sich auch F. zu Wort. Er ist bis zum Hals tätowiert und | |
trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „hate & kill Prison Crew“. Der | |
56-Jährige hat eine lange Gefängniskarriere hinter sich. Er sei das erste | |
Mal mit 15 im Jugendknast gelandet und danach immer wieder. Insgesamt seien | |
es 30 Jahre gewesen, sagt er gegenüber der taz nach einem Verhandlungstag. | |
„Ich möchte danach neu anfangen und nie wieder ins Gefängnis“, sagt er. Er | |
habe eine Tochter und eine Lebensgefährtin, um die er sich kümmern wolle. | |
Vor Gericht ist er ruhig. Er ist freundlich zu Richter und Staatsanwältin, | |
aber auch bestimmt. Eine Einstellung des Verfahrens gegen eine geringe | |
Geldauflage lehnt er zweimal ab. Es gehe ihm um die Wahrheit. Damit pokert | |
er hoch, denn mit dem laufenden Verfahren gefährdet er auch eine mögliche | |
Entlassung auf Bewährung, über die bald entschieden werden soll. | |
F. ist auch Mitglied der Gefangenenvertretung von Santa Fu. Ein Wärter sagt | |
vor Gericht aus, F. sei ein Gefangener, der sich gut benehme, nie Ärger | |
mache. Die Vorstrafen von F. sind der taz teilweise bekannt, sollen in | |
diesem Text aber keine Rolle spielen. Denn F. ist bewusst, warum im | |
Gefängnis sitzt. „Wir machen hier keinen Urlaub, sondern wir sind alle zu | |
recht hier“, sagt er am Telefon. | |
In einem Rechtsstaat haben auch verurteilte Verbrecher bestimmte Rechte. Im | |
Juli schrieb er mit anderen Gefangenenvertretern weitere Briefe an | |
verschiedene Behörden und die Hamburger Bürgerschaft. Diese liegen der taz | |
vor. Darin beklagen die Häftlinge „katastrophale Zustände“. Der | |
Hauptvorwurf: Es gebe kaum Maßnahmen zur Resozialisierung und es fände fast | |
keine Entlassungsvorbereitung mehr statt. | |
Otto F. und die anderen Unterzeichner warnen vor einer Revolte. Im Mai 2020 | |
kam es dazu schon fast, nachdem rund 60 Häftlinge sich weigerten, nach dem | |
Hofgang wieder in ihre Zellen zurückzukehren. Die Insassenvertretung | |
fordert seitdem ein Gespräch mit der Anstaltsleitung, doch diese verweigere | |
sich, schreiben die Häftlinge. | |
Nachprüfbar sind die Vorwürfe nur teilweise, da sich alles, was hinter den | |
Mauern von Santa Fu passiert, der Öffentlichkeit entzieht. Die Hamburger | |
Justizbehörde teilt auf Anfrage schriftlich mit, dass sie umfassende | |
Maßnahmen zur Resozialisierung anbiete. Laut Justizbehörde gab es am 5. | |
Juli, kurz vor Versendung der Brandbriefe, ein Gespräch mit der | |
Insassenvertretung. Seitdem allerdings keines mehr. | |
Der NDR, der den Prozess auch begleitet, veröffentlichte [1][einen | |
Beitrag], in dem ein anonymer JVA-Beamter über schlimmste rassistische | |
Misshandlungen und Verhaltensweisen anderer Wärter berichtet. | |
## Ermittlungsverfahren gegen Beamten | |
Otto F. schickt nach Ausstrahlung des Beitrags zwei Briefe an den | |
verantwortlichen NDR-Autor. Darin bedankt er sich herzlich im Namen aller | |
Gefangenen und auch vieler Wärter:innen. Er beklagt, seine Situation habe | |
sich noch weiter verschlechtert nach der Veröffentlichung. Er sei auf die | |
Isolierstation C1 verlegt worden, nachdem Beamte seine Zelle durchsucht und | |
ihn aufgefordert hätten, Bilder von seiner Tochter abzuhängen. „Deshalb | |
habe ich folgendes zu ihm gesagt, Zitat: ‚Sie sollten mal aufhören, ihr | |
Hoheitsgebiet so zu missbrauchen, ansonsten können sie mich am Arsch | |
lecken.‘ Das war in elf Jahren Haft meine einzige ‚Beleidigung‘ eines | |
Beamten“, schreibt F. in einem der Briefe. | |
Gegen den Beamten, der F.s Zelle durchsuchte, lief im Jahr 2019 ein | |
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, dieser habe Drogen in die JVA | |
geschmuggelt. F. hätte gegenüber einem anderen JVA-Bediensteten angeboten, | |
gegen den Beamten auszusagen und einen Drogendeal zu bezeugen, sagt F. Das | |
Ermittlungsverfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Die | |
Staatsanwaltschaft weiß nichts von F.s Angebot, beteuert aber, umfassend | |
ermittelt zu haben. F. kündigte am Telefon gegenüber der taz an, aus Angst | |
vor weiteren Repressalien erst einmal freiwillig auf der Isolierstation C1 | |
zu bleiben. | |
Im aktuellen Prozess gegen ihn soll nun geklärt werden, ob die Beamtin, die | |
angeblich mit Häftlingen sexuell verkehrt haben soll, eine intime | |
Tätowierung hat. Dies würde die Aussage des Doppelmörders Peter Z. | |
bestätigen. An den Brandbrief der Insassen kann sich im Justizausschuss der | |
Bürgerschaft niemand erinnern – offenbar ist er irgendwo nicht | |
weitergeleitet worden. | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Santa-Fu-Beschwerden-wegen-schlechte… | |
## AUTOREN | |
Finn Walter | |
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